Hochbetrieb im geschlossenen Jobcenter
Die Zahl der Anträge auf Grundsicherung hat sich verdreifacht. Die Mitarbeiter bearbeiten sie bis spät in den Abend.
DÜSSELDORF Es ist still in der großen Empfangshalle des Jobcenters an der Grafenberger Allee. Die einzigen Menschen hier sind zwei Security-Mitarbeiter, die an den beiden verschlossenen Eingängen sitzen. Wo sich in Zeiten vor Corona Schlangen bildeten, sind die Schalter am Empfang nun verlassen. Eine große Leere ist auf den Fluren der Agentur für Arbeit und einem Standort des Jobcenters eingezogen, seit das Gebäude aufgrund des Infektionsrisikos für Besucher gesperrt ist. Doch während das Haus fast wie ausgestorben wirkt, müssen die Mitarbeiter einen nie dagewesenen Ansturm bewältigen. Allerdings hinter geschlossenen Türen.
Ungefähr 150 bis 200 Neuanträge auf Grundsicherung müssen normalerweise pro Woche im Jobcenter bearbeitet werden. „Im Moment sind es etwa 600“, sagt der Leiter Ingo Zielonkowsky in einem der Büros des Hauses. Der Austausch mit den Menschen, die diese Anträge stellen, laufe nun fast ausschließlich digital oder per Telefon. 11.000 Anrufe erreichten allein im April die Einrichtung, die ausgehenden nicht mitgezählt.
Einen Stau bei der Bearbeitung gebe es aber nicht. Damit das auch so bleibt und kein Corona-Ausbruch die Mitarbeiterschaft lahmlegen kann, sind die fast 800 Angestellten auf die drei Standorte in der Stadt und zwei Schichten mit festen Arbeitszeiten zwischen 6 und 21.15 Uhr aufgeteilt. Zudem gebe fast nur noch Einzelbüros, wobei rund 25 Prozent der Mitarbeiter im Homeoffice arbeiteten.
Des Weiteren helfen Arbeitsvermittler mit, die Flut von Anträgen zu bewältigen. Dabei gelten nach Vorgabe des Gesetzgebers vereinfachte Verfahren, erklärt Tina Kühnel, Teamleiterin Neukunden-Service, die für das Gespräch mit unserer Redaktion per Video auf Zielonkowskys Bildschirm geschaltet ist. Sie betont, dass etwa die Vermögensprüfung vorläufig entfalle und auch eigentlich zu hohe Wohnkosten komplett anerkannt würden. Das sei nicht nur eine Erleichterung für die Kunden, sondern auch für die Mitarbeiter, die mehr Fälle pro Tag bewältigen könnten. Dennoch brauche es weiterhin seine Zeit, bis ein Antrag komplett und korrekt ausgefüllt vorliegt. „Zwischen dem ersten Anruf und der Bewilligung vergehen zwei bis vier Wochen.“
Neu ist für das Jobcenter die besonders hohe Zahl von Soloselbstständigen. Da die finanzielle Unterstützung aus den staatlichen Hilfspaketen nur zur Deckung der Betriebskosten, aber nicht des Lebensunterhalts dient, benötigen viele zum ersten Mal Grundsicherung. Da gebe es eine „hohe Schamschwelle“. Manche entschuldigten sich sogar, dass sie anriefen. Kühnel sagt, dass sie deshalb oft den Satz sagen müsse: „Dafür sind wir doch da!“Und trotz der oft existenziellen Nöte der Hilfsbedürftigen erlebe sie eher einen respektvollen Ton als einen aggressiven.
Das bestätigt Arbeitsvermittler Dirk Wolf, ebenfalls per Video zugeschaltet. Er sei wie seine Kollegen darum bemüht, den Kontakt zu den vielen Langzeitarbeitslosen zu halten. „Viele freuen sich einfach, dass wir aus eigener Initiative anrufen und fragen, ob wir irgendwie helfen können.“So versucht das Jobcenter einem Problem zu begegnen, das sich nun stellt. Leiter Zielonkowsky: „Für einige Menschen sind wir der einzige persönliche Kontakt, den es noch gibt. Jetzt steigt die Gefahr, dass wir diesen noch mehr verlieren, da die persönlichen Begegnungen ausbleiben.“Auch Sprachschwierigkeiten könnten am Telefon schwer überbrückt werden.
Von der Vermittlung von Arbeit ist da noch nicht mal die Rede. Denn sie ist aktuell bei 65 Prozent weniger offenen Stellen in Düsseldorf als vor der Krise natürlich nicht leichter geworden. Wolf betont aber auch positive Aspekte. Für Langzeitarbeitslose, 30 Prozent der aktuell gut 25.336 Arbeitslosen in der Stadt, ergäben sich möglicherweise neue Perspektiven. Die gebe es beispielsweise in der Pflege, im Lebensmittel-Einzelhandel und im Security-Sektor. Weiterbildungen seien bei den Trägern oft digital möglich. Über in der Krise wichtige Ein-Euro-Jobs wie das Abpacken von Hygieneartikeln habe man zudem zumindest sinnvolle Tätigkeiten vermitteln können.
Und vorübergehend habe Wolf auch mal Neukunden in für sie fremde Branchen vermittelt. Eine Büroangestellte aus Düsseldorf arbeite jetzt als Erntehelferin in Ratingen.