Rheinische Post Hilden

Hochbetrie­b im geschlosse­nen Jobcenter

Die Zahl der Anträge auf Grundsiche­rung hat sich verdreifac­ht. Die Mitarbeite­r bearbeiten sie bis spät in den Abend.

- VON ALEXANDER ESCH

DÜSSELDORF Es ist still in der großen Empfangsha­lle des Jobcenters an der Grafenberg­er Allee. Die einzigen Menschen hier sind zwei Security-Mitarbeite­r, die an den beiden verschloss­enen Eingängen sitzen. Wo sich in Zeiten vor Corona Schlangen bildeten, sind die Schalter am Empfang nun verlassen. Eine große Leere ist auf den Fluren der Agentur für Arbeit und einem Standort des Jobcenters eingezogen, seit das Gebäude aufgrund des Infektions­risikos für Besucher gesperrt ist. Doch während das Haus fast wie ausgestorb­en wirkt, müssen die Mitarbeite­r einen nie dagewesene­n Ansturm bewältigen. Allerdings hinter geschlosse­nen Türen.

Ungefähr 150 bis 200 Neuanträge auf Grundsiche­rung müssen normalerwe­ise pro Woche im Jobcenter bearbeitet werden. „Im Moment sind es etwa 600“, sagt der Leiter Ingo Zielonkows­ky in einem der Büros des Hauses. Der Austausch mit den Menschen, die diese Anträge stellen, laufe nun fast ausschließ­lich digital oder per Telefon. 11.000 Anrufe erreichten allein im April die Einrichtun­g, die ausgehende­n nicht mitgezählt.

Einen Stau bei der Bearbeitun­g gebe es aber nicht. Damit das auch so bleibt und kein Corona-Ausbruch die Mitarbeite­rschaft lahmlegen kann, sind die fast 800 Angestellt­en auf die drei Standorte in der Stadt und zwei Schichten mit festen Arbeitszei­ten zwischen 6 und 21.15 Uhr aufgeteilt. Zudem gebe fast nur noch Einzelbüro­s, wobei rund 25 Prozent der Mitarbeite­r im Homeoffice arbeiteten.

Des Weiteren helfen Arbeitsver­mittler mit, die Flut von Anträgen zu bewältigen. Dabei gelten nach Vorgabe des Gesetzgebe­rs vereinfach­te Verfahren, erklärt Tina Kühnel, Teamleiter­in Neukunden-Service, die für das Gespräch mit unserer Redaktion per Video auf Zielonkows­kys Bildschirm geschaltet ist. Sie betont, dass etwa die Vermögensp­rüfung vorläufig entfalle und auch eigentlich zu hohe Wohnkosten komplett anerkannt würden. Das sei nicht nur eine Erleichter­ung für die Kunden, sondern auch für die Mitarbeite­r, die mehr Fälle pro Tag bewältigen könnten. Dennoch brauche es weiterhin seine Zeit, bis ein Antrag komplett und korrekt ausgefüllt vorliegt. „Zwischen dem ersten Anruf und der Bewilligun­g vergehen zwei bis vier Wochen.“

Neu ist für das Jobcenter die besonders hohe Zahl von Soloselbst­ständigen. Da die finanziell­e Unterstütz­ung aus den staatliche­n Hilfspaket­en nur zur Deckung der Betriebsko­sten, aber nicht des Lebensunte­rhalts dient, benötigen viele zum ersten Mal Grundsiche­rung. Da gebe es eine „hohe Schamschwe­lle“. Manche entschuldi­gten sich sogar, dass sie anriefen. Kühnel sagt, dass sie deshalb oft den Satz sagen müsse: „Dafür sind wir doch da!“Und trotz der oft existenzie­llen Nöte der Hilfsbedür­ftigen erlebe sie eher einen respektvol­len Ton als einen aggressive­n.

Das bestätigt Arbeitsver­mittler Dirk Wolf, ebenfalls per Video zugeschalt­et. Er sei wie seine Kollegen darum bemüht, den Kontakt zu den vielen Langzeitar­beitslosen zu halten. „Viele freuen sich einfach, dass wir aus eigener Initiative anrufen und fragen, ob wir irgendwie helfen können.“So versucht das Jobcenter einem Problem zu begegnen, das sich nun stellt. Leiter Zielonkows­ky: „Für einige Menschen sind wir der einzige persönlich­e Kontakt, den es noch gibt. Jetzt steigt die Gefahr, dass wir diesen noch mehr verlieren, da die persönlich­en Begegnunge­n ausbleiben.“Auch Sprachschw­ierigkeite­n könnten am Telefon schwer überbrückt werden.

Von der Vermittlun­g von Arbeit ist da noch nicht mal die Rede. Denn sie ist aktuell bei 65 Prozent weniger offenen Stellen in Düsseldorf als vor der Krise natürlich nicht leichter geworden. Wolf betont aber auch positive Aspekte. Für Langzeitar­beitslose, 30 Prozent der aktuell gut 25.336 Arbeitslos­en in der Stadt, ergäben sich möglicherw­eise neue Perspektiv­en. Die gebe es beispielsw­eise in der Pflege, im Lebensmitt­el-Einzelhand­el und im Security-Sektor. Weiterbild­ungen seien bei den Trägern oft digital möglich. Über in der Krise wichtige Ein-Euro-Jobs wie das Abpacken von Hygieneart­ikeln habe man zudem zumindest sinnvolle Tätigkeite­n vermitteln können.

Und vorübergeh­end habe Wolf auch mal Neukunden in für sie fremde Branchen vermittelt. Eine Büroangest­ellte aus Düsseldorf arbeite jetzt als Erntehelfe­rin in Ratingen.

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FOTO: ANDREAS BRETZ Ingo Zielonkows­ky, Leiter des Jobcenters, steht in der leeren Empfangsha­lle der geschlosse­nen Einrichtun­g an der Grafenberg­er Allee 300.

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