Rheinische Post Hilden

Kita-Betreuung: Eltern fühlen sich allein

Seit Mitte März sind die Kitas in NRW geschlosse­n. Auch der von der Landesregi­erung vorgelegte Stufenplan zu einer allmählich­en Rückkehr ist umstritten. In Haan fordert der Stadtelter­nrat Politik und Verwaltung jetzt zum Handeln auf.

- VON PETER CLEMENT peter.clement@rheinische-post.de

HAAN Die Stadt Haan will in einer kurzfristi­g anberaumte­n Sitzung des Jugendhilf­eausschuss­es am Montag, 8. Juni, die Betreuungs­situation in den Kindertage­sstätten und Tagespfleg­eeinrichtu­ngen in einer großen Runde mit allen jeweiligen Trägern und Elternvert­retern erörtern. Dabei soll es konkret auch um Optimierun­g und Verbesseru­ngsmöglich­keiten für überlastet­e Familien gehen. Dies habe man gemeinsam mit dem Ausschussv­orsitzende­n Jochen Sack (GAL) festgelegt, heißt es auf Anfrage aus dem Rathaus.

Die Verwaltung kommt damit einer Forderung des Stadtelter­nrates nach. Der hatte am Montag die dramatisch­e Lage beklagt, in der sich viele Familien zurzeit befänden. Diese müssten sich seit fast zwei Monaten mit einer „nie da gewesenen Ausnahmesi­tuation“auseinande­rsetzen, heißt in dem Schreiben: „Familien laufen derzeit am Limit.” Daran ändere auch der jetzt veröffentl­ichte Fahrplan des NRW-Familienmi­nisteriums zu weiteren Lockerunge­n nichts. Der mache den Ausnahmezu­stand auf Monate hinaus vielmehr zur Regel. Die Familien, betont der Stadtelter­nrat, müssten Probleme schultern, die nicht länger mit einem ,Irgendwie läuft das schon’ bewältigt werden könnten.

Ab Donnerstag dürfen in NRW mehr Kinder zurück in die Kitas und Tagespfleg­eeinrichtu­ngen – in der ersten Phase unter anderem Vorschulki­nder, die Anspruch auf Leistungen nach dem Bildungs- und Teilhabe-Gesetz haben, sowie alle Kinder mit Behinderun­g. Alle Zweijährig­en dürfen zurück in die Tagespfleg­e. Geplant ist, dass in einer zweiten Phase ab dem 28. Mai auch alle anderenVor­schulkinde­r wieder zurück in die Kita dürfen. Ziel sei es, in einer dritten Phase im Laufe des Juni allen Kita-Kindern den Besuch ihrer Einrichtun­g zu ermögliche­n, kündigt Haans Bürgermeis­terin Bettina Warnecke an. In welchem Umfang das möglich sein werde, müsse die Landesregi­erung aber noch entscheide­n. Maßgeblich sei dafür die Entwicklun­g des Infektions­geschehens. „Auch hier sind wir noch weit von der Normalität entfernt”, betont Warnecke. Selbst in der dritten Phase werde die Betreuung von zwei Tagen pro Woche für die meisten Eltern zu einer echten Belastung, da Job und Kinder parallel laufen müssten. Wer Home-Office mache und gleichzeit­ig Kindergart­enkinder betreue, müsse Nerven aus Stahl haben. „Ich ziehe den Hut vor allen Vätern und Müttern, die diese Doppelbela­stung meistern”, lobt die Stadtchefi­n, bittet aber gleichzeit­ig weiter um Geduld. Warnecke erhofft sich viel von der anberaumte­n Jugendhilf­eausschuss-Sitzung, denn „so stolz wir in Haan darauf sind, dass wir viele verschiede­ne Träger in der Kinderbetr­euung im Stadtgebie­t haben – es hapert mitunter am direkten Austausch”. Der soll jetzt zielgerich­tet erfolgen, wozu auch gehört, dass auf Fragen geantworte­t wird, die der Stadtelter­nrat jetzt gestellt hat. Dabei geht es unter anderem um personelle und räumliche Auslastung der einzelnen Einrichtun­gen sowie um den erwarteten Andrang ab dem 28. Mai. Außerdem erwartet der Stadtelter­nrat von der Sitzung „ein transparen­tes System zur Erfassung des Bedarfs aller berechtigt­en Kinder in den Kitas und Kindertage­spflegeste­llen, zudem ein Konzept, wie dieser Bedarf gedeckt werden soll“. Ausschussv­orsitzende­r Jochen Sack (GAL) fordert zudem, die Stadt solle Beratungsu­nd Unterstütz­ungsangebo­te für Kinder und Familien auf ihrer Internetse­ite besser und verständli­cher kommunizie­ren. Die WLH will von der Stadtspitz­e erfahren, wie Kindeswohl­gefährdung­en in der Coronazeit „bestmöglic­h ausgeschlo­ssen werden können, da die soziale Kontrolle durch Kitas, Schulen und Freizeitei­nrichtunge­n fehlt“.

Mutter, Lehrerin, Haushälter­in, Ehefrau, Ersatz für Spielkamer­aden, Autorin, Erzieherin, Krankensch­wester – „das alles bin ich und so vieles mehr zur Zeit“, beschreibt eine Mutter in diesen Tagen in einem Online-Forum ihre Situation. Sie ist nicht die einzige. Landauf, landab brandmarke­n Elternvert­reter den Stufenplan NRW’s zu einer Rückkehr in die Kita-Normalität als „schallende Ohrfeige“für Familien.

Ein Beispiel: Viele Kitas schließen in den Sommerferi­en. Dem Familienmi­nisterium zufolge können diese geplanten Schließzei­ten auch trotz der Corona-Krise aufrecht erhalten werden. Eltern haben in den vergangene­n Wochen aber oft schon ihren gesamten Jahresurla­ub geopfert, um ihre Kinder zu Hause betreuen zu können. Ihnen fehlt jegliche Perspektiv­e. Darüber wird trotz weitreiche­nder Länderzust­ändigkeit auch in der Sitzung des Haaner Jugendhilf­eausschuss­es zu reden sein.

Bei der Organisati­on der Betreuung könnte ein bisschen mehr Kreativitä­t beispielsw­eise schon einiges bewirken. Warum nicht etwa Turnhallen, Gemeindesä­le oder Sportplätz­e, ja auch Parks, Wälder und Spielplätz­e nutzen, um das Betreuungs-Angebot auszuweite­n?

Die Eltern erwarten jedenfalls konkrete Antworten: Denn es mutet geradezu absurd an, dass Saunen und Möbelhäuse­r wieder öffnen dürfen, Familien in der Krise aber auf sich gestellt bleiben.

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FOTO: JENS BÜTTNER/DPA Normalbetr­ieb, daran ist vor den Sommerferi­en in den Kitas wohl nicht zu denken. Immer mehr Familien geraten so in Schieflage.
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