Ein Land, ein System
Mit der Vorlage eines neuen Sicherheitsgesetzes für Hongkong, das sich gegen subversive Aktivitäten und ausländische Einmischung richten soll, hat China den Druck auf die Sonderverwaltungszone weiter erhöht.
PEKING Mit einem Paukenschlag eröffnet Peking seine wichtigste politische Veranstaltung des Jahres: Auf dem Volkskongress beschlossen die fast 3000 Parteikader in der Großen Halle des Volkes, ein umstrittenes nationales Sicherheitsgesetz für Hongkong zu verabschieden. Zuletzt war die lokale Verwaltungsregierung der Finanzmetropole 2003 an einem solchen Vorhaben gescheitert, da der Protest innerhalb der Bevölkerung zu groß war. Doch eine demokratische Grundlage braucht das Gesetz ohnehin nicht: Aufgrund eines umstrittenen Schlupflochs innerhalb der Hongkonger Verfassung kann Peking die Legislative der einst britischen Kolonie umschiffen.
Der wohl schwerste Angriff auf die Autonomie Hongkongs seit der Übergabe 1997 soll sämtliche Akte der Sezession, Subversion und ausländischer Einflussnahme unter Strafe stellen – und könnte Peking eine rechtliche Grundlage bieten, seine eigenen Sicherheitskräfte vor Ort in Hongkong zu installieren, um das Gesetz umzusetzen. Der prodemokratische Abgeordnete Dennis Kwok sprach wenig überraschend vom „Ende von Hongkong“. Amnesty International nennt es „einen fundamentalen Angriff auf die Menschenrechte in Hongkong“. Der Aktivist Joshua Wong rief in einer Stellungnahme vor der internationalen Presse verbündete Regierungen zur Unterstützung auf.
Viele Alliierte bleiben der Protestbewegung angesichts der zu befürchteten Wirtschaftsrepressalien Pekings allerdings nicht mehr. Doch Washington dürfte der Vorstoß Pekings gerade recht kommen: US-Präsident
Donald Trump drohte mit einer „starken“Reaktion, ohne diese jedoch näher zu benennen. Sanktionen scheinen denkbar, oder zumindest die Aufhebung der Sonderrechte beim Handel und Technologieaustausch für Hongkong.
Fakt ist: Die Beziehungen zwischen den USA und China sind so schlecht wie seit 1989 nicht mehr, als Peking die Studentenbewegung auf dem Tiananmen-Platz blutig von seinem Militär niederschlagen ließ. Die Hongkong-Frage entwickelt sich nun zu einem Stellvertreterkonflikt der zwei Weltmächte. Die Kommunistische Partei argwöhnt, Washington
missbrauche die Finanzmetropole mit Denkfabriken und Spionen zur Einflussnahme, um Festlandchina zu destabilisieren.
In seiner Eröffnungsrede vor den 3000 Parlamentariern in der Großen Halle des Volkes sprach Premierminister Li Keqiang auch den zweiten großen Krisenherd vor der eigenen Haustür an. Er ermutigte sämtliche Bewohner Taiwans, eine Wiedervereinigung mit dem Festland zu unterstützen. Damit dürfte Chinas Premier wohl nur ein Promille der Taiwaner erreichen, schließlich haben diese erst im Januar ihre pekingkritische Präsidentin Tsai Ing-wen wiedergewählt. Auch die tendenziell pekingfreundlichere Oppositionspartei Kuomintang hat sich seither noch einmal deutlich vom Festland distanziert.
Aufmerksamen Beobachtern fiel auf, dass Li das sonst von Peking bemühte Adjektiv „friedfertig“ausließ, als es um die „Wiedervereinigung“ging. Auch das liest sich wie eine Drohung. Die dahinter liegende Botschaft ist deutlich: Die Welt muss sich an eine Volksrepublik China gewöhnen, die ihre geopolitischen Ziele selbstbewusster verfolgt. Dazu passt auch, dass das Land sein Militärbudget als fast einzigen Posten
um satte 6,5 Prozent im laufenden Jahr erhöht.
Ein Wachstumsziel für 2020, welches unter normalen Umständen die wohl interessanteste Kenngröße des alljährlichen Volkskongresses ist, gab Li Keqiang diesmal nicht aus. Stattdessen wolle man den Fokus vor allem auf die Stabilisierung des Arbeitsmarkts legen – unter anderem mithilfe einer satten Finanzspritze an die Lokalregierungen von umgerechnet knapp 130 Milliarden Euro. Es ist erfreulich, dass die Staatsführung mit einer starren Kenngröße die lokalen Parteikader nicht unnötig unter Druck setzt, für das Erreichen des Wirtschaftsziels die Gefahr einer zweiten Infektionswelle in Kauf zu nehmen. Ebenso positiv ist, dass die Volksrepublik trotz der Wirtschaftskrise an seinen selbst gesteckten Umweltzielen zur Verbesserung der Luftqualität festhalten wird. Diese sind ganz offensichtlich in der Priorität nach oben gerückt.