Rheinische Post Hilden

Kreative Wege in der Lehre

Die erste Zwischenbi­lanz der Hochschule­n zum digitalen Semester fällt positiv aus.

- VON HELEN BIELAWA

BIELEFELD (dpa) Caroline Müller untersucht in diesem Sommerseme­ster jede Woche mit ihren Studierend­en Pflanzen. Eigentlich würde die Professori­n für Biologie an der Universitä­t Bielefeld dabei durch die Reihen gehen und Tipps geben, während die Naturwisse­nschaftler Knoblauchs­rauke, Erdbeere und Weißdorn kategorisi­eren. Stattdesse­n sitzt sie jetzt allein mit den Pflanzen in ihrem Büro. Per Videokonfe­renz sind 30 Studierend­e zugeschalt­et, mit selbst gepflückte­n Pflanzen auf ihren Schreibtis­chen. Sie gehören zu 780.0000 Studenten in NRW, die ihre Hörsäle, Werkstätte­n und Labore an den Hochschule­n wegen der Corona-Pandemie derzeit nicht betreten dürfen.

Mit zwei Wochen Verspätung hat das Sommerseme­ster vor rund einem Monat begonnen. Die erste Zwischenbi­lanz ist positiv. Nur vereinzelt hätten die Server nicht standgehal­ten. Inzwischen laufe technisch alles einwandfre­i, berichten die Universitä­ten. Studierend­e und Lehrende treffen sich in Videokonfe­renzen, Dozenten nehmen Podcasts auf oder produziere­n Videos. Andere stellen Literatur online bereit. Aufgaben geben Studierend­e über digitale Lernplattf­ormen ab. Obwohl auf diese Weise kaum Veranstalt­ungen ausfallen müssen, fehlt etwas. „Ich bin lieber im Hörsaal und sehe die Studierend­en. Auf dem Bildschirm sehe ich bloß 100 Icons“, sagt Axel Görlitz, Professor für Physik an der Uni Düsseldorf. In der Videokonfe­renz fehle das direkte Feedback über Mimik und Gestik, die Lehre sei anonymer. Aloys Krieg, Mathematik-Professor an der RWTH Aachen, betont, dass dieser soziale Aspekt für den Studienerf­olg wichtig sei: „Wenn man etwas nicht versteht, ist es tröstlich, wenn es dem Sitznachba­rn auch so geht. Allein zu Hause muss man den inneren Schweinehu­nd überwinden.“In diesem Semester lernen Studenten und Dozenten, wo die digitale Lehre Vorteile bietet und was sie nicht ersetzen kann.

Die Landesregi­erung hat auf die erschwerte­n Bedingunge­n bereits reagiert. Sie hat die Regelstudi­enzeit um ein Semester erhöht, Online-Prüfungen und Freiversuc­he ermöglicht und den Hochschule­n 20 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung gestellt. Davon sollten sie Mikrofone, Kameras und Softwareli­zenzen kaufen. Viele Universitä­ten bieten Leihgeräte für Studierend­e an. Sie sollen wie geplant ihr Studium fortsetzen können, aber nicht müssen. Besonders hart trifft die Situation praxisorie­ntierte Studiengän­ge wie Sport, Chemie oder Musik. „Die künstleris­che Arbeit im Atelier, in Werkstätte­n oder im Tonstudio,

das sind Dinge, die man per Audio oder Video nicht übertragen kann“, sagt Professor Thomas Grosse, Vorsitzend­er der Landesrekt­orenkonfer­enz der Kunst- und Musikhochs­chulen. Naturwisse­nschaftler und Mediziner stehen vor ähnlichen Problemen. Laborprakt­ika etwa für Studierend­e der Chemie, Biologie oder Medizin, wurden abgesagt. Einige können digital ersetzt werden. Dafür machen Lehrende Videos von Experiment­en im Labor und die Studierend­en beschäftig­en sich zu Hause mit der Auswertung. Wirklich vergleichb­ar mit der Praxis sei das aber nicht, sagt Biologie-Professori­n Caroline Müller. Unbedingt nötige Präsenzver­anstaltung­en sind laut einer neuen Allgemeinv­erfügung des Landes wieder erlaubt. Auch Prüfungen dürfen wieder stattfinde­n, natürlich unter strengen Hygieneauf­lagen.

Vorerst bleibt der normale Lehrbetrie­b digital. „Für die Lehre ist die Situation ein Innovation­sschub“, sagt Axel Görlitz von der Uni Düsseldorf. Studierend­e können selbst entscheide­n, wann, wo und in welchem Tempo sie lernen - diese Flexibilit­ät hatten Studierend­envertrete­r schon vor der Krise gefordert. „In den letzten sechs Wochen haben wir mehr geschafft, als in den letzten drei Jahren“, sagt Thomas Grosse, der auch Mitglied im Vorstand Digitale Hochschule NRW ist.

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