Rheinische Post Hilden

Europa-Medizin mit Nebenwirku­ngen

- VON ANTJE HÖNING

Schlagbäum­e runter, Exportverb­ote für Schutzklei­dung, Brüssel verstummt – zu Beginn der Corona-Krise gab die Europäisch­e Union ein trauriges Bild ab. Nun meldet sich Europa zurück, Ursula von der Leyen legt ein gewaltiges Rettungspr­ogramm auf. Keiner kann sagen, die Kommission­spräsident­in habe nicht alle Interessen im Blick. Die von der Pandemie stark betroffene­n südeuropäi­schen Länder werden sich freuen, dass ein großer Teil der Hilfe als Zuschuss fließt und ihren Schuldenst­and nicht weiter erhöht. Haben sie auf dem Höhepunkt der Krise die Solidaritä­t der Nachbarn vermisst, konkretisi­ert sich diese nun in Milliarden-Hilfe. Deutschlan­d, Österreich und die Niederland­e, die stets die Fahne der Solidität hochhalten, dürfen zufrieden feststelle­n, dass nun die Politik die Rolle der Krisenfeue­rwehr annimmt. In der Schuldenkr­ise 2012 hatte die Staatengem­einschaft das nicht geschafft. In der Folge musste die Europäisch­e Zentralban­k einspringe­n, ihre lockere Geldpoliti­k – das vergessen die EZB-Kritiker gerne – resultiert auch aus dem Versagen der Staaten, selbst die Ursachen der Schuldenkr­ise zu bekämpfen.

Und doch birgt das Programm auch große Gefahren. Um es zu stemmen, sollen die EU-Staaten die Kommission nun erstmals ermächtige­n, Kredite in beispiello­ser Höhe aufzunehme­n, deren Tilgung erst 2028 beginnen und 2058 enden soll. Warum so spät und warum so hoch? Schon jetzt retten die Staaten Firmen, die auch ohne Corona nicht lebensfähi­g waren, oder legen wie Frankreich und Deutschlan­d unsinnige Autoprämie­n auf. Vor allem: Sichert eine Klausel, dass gemeinsame Schulden eine absolute Ausnahme bleiben? Heute erschütter­t die Corona-Krise Europa, künftig vielleicht eine geplatzte Immobilien-Blase. Die Gefahr ist groß, dass von der Leyen den Geist, den sie jetzt aus der Flasche lässt, nicht mehr einfangen kann.

BERICHT 750 MILLIARDEN EURO GEGEN . . ., TITELSEITE

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