„Digitalisierung in den Ämtern wird verschlafen“
Die Corona-Krise hätte dem Thema E-Government einen Schub bescheren können. Das Gegenteil sei der Fall, kritisiert der Beamtenbund.
DÜSSELDORF Der Chef des Deutschen Beamtenbunds (DBB), Ulrich Silberbach, hat der Politik vorgeworfen, trotz mahnender Rufe seiner Organisation die Digitalisierung der Verwaltung verschlafen zu haben: „Es rächt sich nun, dass viel zu lange der Primat des schlanken Staats galt“, sagte Silberbach unserer Redaktion und sprach von „einem riesigen Scherbenhaufen“. Während in anderen europäischen Ländern die digitale Verwaltung längst Realität sei, müssten sich Bürger hierzulande immer noch trotz Corona-Epidemie zu oft in den ÖPNV setzen und aufs Amt fahren, anstatt ihr Anliegen sicher und ohne Ansteckungsgefahr vom heimischen PC aus zu erledigen.
Schuld ist nach Silberbachs Meinung unter anderem der schleppende Ausbau der digitalen Infrastruktur. „Neben dem Ausbau der Netze bedarf es auch ganz handfester Dinge vor Ort. Die IT in den Verwaltungen ist heillos veraltet.“Erschwerend komme hinzu, dass durch die Corona-Pandemie Einnahmen der Kommunen wegbrächen: „Da fehlt schlicht das Geld, um eigene Rechnerkapazitäten aufzubauen. Vor der Krise hatten die Kommunen ein Infrastrukturdefizit von 140 Milliarden Euro. Diese Summe dürfte sich krisenbedingt nahezu verdoppelt haben“, sagte Silberbach. „Hier müssen Bund und Land ihre Kassen ganz weit aufmachen und nicht ausschließlich die Wirtschaft päppeln. Der Staat selbst ist systemrelevant.“
Einer, der die Lage vor Ort kennt und innerhalb des Städte- und Gemeindebunds
NRW als „Digitalisierungs-Papst“gilt, ist Carsten Arndt, Beigeordneter der Stadt Moers. Auf seine Initiative hin hat die Stadt schon früh mit digitalen Formaten im Dialog mit den Bürgern ausprobiert. Doch auch er sagt, beim klassischen E-Government sei Deutschland seit 20 Jahren faktisch kaum vorangekommen: „Man wartet mit tränenden Augen darauf, dass der Knoten durchschlagen wird.“
Für Arndt gibt es vor allem einen Hemmschuh: „Dem Datenschutz wird alles derart untergeordnet, dass Lösungen so komplex werden, dass sie den Praxistest nicht bestehen.“Für die elektronische Signatur hätten teure Lesegeräte angeschafft werden müssen, bei denen selbst IT-affine Menschen Probleme hatten, sie mit dem richtigen Treiber ans Laufen zu bekommen. Weitere Beispiele seien die sogenannte E-ID beim Personalausweis oder die De-Mail. „All diese Identifikationsmöglichkeiten haben wir in unserer Verwaltung eingerichtet, bis heute ist kein einziger Antrag über dieses Verfahren bei uns eingegangen“, sagt Arndt. Dabei gibt es aus seiner Sicht seit Jahr und Tag gangbare Verfahren wie das Online-Banking.
Auch Beamtenbundchef Silberbach sieht die Angst vorm Datenmissbrauch als Hemmnis: „Das Thema ist inzwischen ein echter Bremsklotz. Interessanterweise sind das oft die gleichen Menschen, die bedenkenlos bei Amazon, Zalando und Co. einkaufen und keine Bedenken gegen einem Whatsapp- oder Twitter-Account haben.“Selbstverständlich müsse der Staat mit Daten sensibel umgehen. „Deshalb spreche ich mich klar für eine eigene deutsche Verwaltungs-Cloud aus“, so Silberbach. Er äußerte die Sorge, dass es Probleme bei der Umsetzung der Tracing-App geben werde, mit der Infektionsketten lückenlos nachvollzogen werden sollen. „Der Datenschutz darf einen konsequenten Gesundheitsschutz der Bevölkerung nicht verhindern“, forderte er.
Auch aus der NRW-Opposition kommen kritische Stimmen. Die digitalpolitische Sprecherin der SPD, Christina Kampmann, sagte: „Die digitale Verwaltung ist mit Ausnahme weniger Beispiele wie etwa der digitalen Steuererklärung viel zu lange nicht nutzerorientiert gedacht worden.“Deshalb müsse es nicht verwundern, dass Deutschland in internationalen Rankings weit hinten stehe. „Während auf Bundesebene mit dem Online-Zugangsgesetz erste Schritte in die richtige Richtung erkennbar sind, kommt vom Land einfach zu wenig“, sagte die SPD-Politikerin.
Doch genau auf dieses Gesetzesvorhaben verweist ein Sprecher des NRW-Digitalministeriums. Bund und Länder inklusive der Kommunen haben sich darin geeinigt, sämtliche Verwaltungsleistungen bis zum Ende des Jahres 2022 vollständig anzubieten. „NRW hat die Entwicklung von digitalen Services bereits vor der Corona-Krise im engen Austausch mit den Kommunen vorangetrieben und arbeitet an der Umsetzung des Online-Zugangsgesetzes“, so der Sprecher. Die Landesregierung stelle hierfür in den Jahren 2020 bis 2022 Mittel in Höhe von 81 Millionen Euro
zur Verfügung. „Ziel ist ein zentrales kommunales Serviceportal NRW, das allen Kommunen ermöglicht, digitale Services bereitzustellen.“Bereits möglich seien die Abwicklung von Gewerbeanzeigen und weitere wirtschaftsbezogene Verwaltungsleistungen, etwa die Eintragung in die Handwerksrolle. Zudem fördere das Land über das Programm „Digitale Modellregionen in NRW“noch bis 2021 mit 91 Millionen Euro Pilotprojekte in den Regionen Aachen, Gelsenkirchen, Paderborn, Soest und Wuppertal in den Bereichen E-Government und digitale Stadtentwicklung, die auch auf andere Kommunen übertragbar seien.
„Insgesamt trägt die Landesregierung mit den genannten Maßnahmen dazu bei, dass durch die angespannte finanzielle Situation in den Kommunen die Digitalisierung von Verwaltungsabläufen nicht ins Stocken gerät“, so der Sprecher.