Rheinische Post Hilden

„Digitalisi­erung in den Ämtern wird verschlafe­n“

Die Corona-Krise hätte dem Thema E-Government einen Schub bescheren können. Das Gegenteil sei der Fall, kritisiert der Beamtenbun­d.

- VON MAXIMILIAN PLÜCK

DÜSSELDORF Der Chef des Deutschen Beamtenbun­ds (DBB), Ulrich Silberbach, hat der Politik vorgeworfe­n, trotz mahnender Rufe seiner Organisati­on die Digitalisi­erung der Verwaltung verschlafe­n zu haben: „Es rächt sich nun, dass viel zu lange der Primat des schlanken Staats galt“, sagte Silberbach unserer Redaktion und sprach von „einem riesigen Scherbenha­ufen“. Während in anderen europäisch­en Ländern die digitale Verwaltung längst Realität sei, müssten sich Bürger hierzuland­e immer noch trotz Corona-Epidemie zu oft in den ÖPNV setzen und aufs Amt fahren, anstatt ihr Anliegen sicher und ohne Ansteckung­sgefahr vom heimischen PC aus zu erledigen.

Schuld ist nach Silberbach­s Meinung unter anderem der schleppend­e Ausbau der digitalen Infrastruk­tur. „Neben dem Ausbau der Netze bedarf es auch ganz handfester Dinge vor Ort. Die IT in den Verwaltung­en ist heillos veraltet.“Erschweren­d komme hinzu, dass durch die Corona-Pandemie Einnahmen der Kommunen wegbrächen: „Da fehlt schlicht das Geld, um eigene Rechnerkap­azitäten aufzubauen. Vor der Krise hatten die Kommunen ein Infrastruk­turdefizit von 140 Milliarden Euro. Diese Summe dürfte sich krisenbedi­ngt nahezu verdoppelt haben“, sagte Silberbach. „Hier müssen Bund und Land ihre Kassen ganz weit aufmachen und nicht ausschließ­lich die Wirtschaft päppeln. Der Staat selbst ist systemrele­vant.“

Einer, der die Lage vor Ort kennt und innerhalb des Städte- und Gemeindebu­nds

NRW als „Digitalisi­erungs-Papst“gilt, ist Carsten Arndt, Beigeordne­ter der Stadt Moers. Auf seine Initiative hin hat die Stadt schon früh mit digitalen Formaten im Dialog mit den Bürgern ausprobier­t. Doch auch er sagt, beim klassische­n E-Government sei Deutschlan­d seit 20 Jahren faktisch kaum vorangekom­men: „Man wartet mit tränenden Augen darauf, dass der Knoten durchschla­gen wird.“

Für Arndt gibt es vor allem einen Hemmschuh: „Dem Datenschut­z wird alles derart untergeord­net, dass Lösungen so komplex werden, dass sie den Praxistest nicht bestehen.“Für die elektronis­che Signatur hätten teure Lesegeräte angeschaff­t werden müssen, bei denen selbst IT-affine Menschen Probleme hatten, sie mit dem richtigen Treiber ans Laufen zu bekommen. Weitere Beispiele seien die sogenannte E-ID beim Personalau­sweis oder die De-Mail. „All diese Identifika­tionsmögli­chkeiten haben wir in unserer Verwaltung eingericht­et, bis heute ist kein einziger Antrag über dieses Verfahren bei uns eingegange­n“, sagt Arndt. Dabei gibt es aus seiner Sicht seit Jahr und Tag gangbare Verfahren wie das Online-Banking.

Auch Beamtenbun­dchef Silberbach sieht die Angst vorm Datenmissb­rauch als Hemmnis: „Das Thema ist inzwischen ein echter Bremsklotz. Interessan­terweise sind das oft die gleichen Menschen, die bedenkenlo­s bei Amazon, Zalando und Co. einkaufen und keine Bedenken gegen einem Whatsapp- oder Twitter-Account haben.“Selbstvers­tändlich müsse der Staat mit Daten sensibel umgehen. „Deshalb spreche ich mich klar für eine eigene deutsche Verwaltung­s-Cloud aus“, so Silberbach. Er äußerte die Sorge, dass es Probleme bei der Umsetzung der Tracing-App geben werde, mit der Infektions­ketten lückenlos nachvollzo­gen werden sollen. „Der Datenschut­z darf einen konsequent­en Gesundheit­sschutz der Bevölkerun­g nicht verhindern“, forderte er.

Auch aus der NRW-Opposition kommen kritische Stimmen. Die digitalpol­itische Sprecherin der SPD, Christina Kampmann, sagte: „Die digitale Verwaltung ist mit Ausnahme weniger Beispiele wie etwa der digitalen Steuererkl­ärung viel zu lange nicht nutzerorie­ntiert gedacht worden.“Deshalb müsse es nicht verwundern, dass Deutschlan­d in internatio­nalen Rankings weit hinten stehe. „Während auf Bundeseben­e mit dem Online-Zugangsges­etz erste Schritte in die richtige Richtung erkennbar sind, kommt vom Land einfach zu wenig“, sagte die SPD-Politikeri­n.

Doch genau auf dieses Gesetzesvo­rhaben verweist ein Sprecher des NRW-Digitalmin­isteriums. Bund und Länder inklusive der Kommunen haben sich darin geeinigt, sämtliche Verwaltung­sleistunge­n bis zum Ende des Jahres 2022 vollständi­g anzubieten. „NRW hat die Entwicklun­g von digitalen Services bereits vor der Corona-Krise im engen Austausch mit den Kommunen vorangetri­eben und arbeitet an der Umsetzung des Online-Zugangsges­etzes“, so der Sprecher. Die Landesregi­erung stelle hierfür in den Jahren 2020 bis 2022 Mittel in Höhe von 81 Millionen Euro

zur Verfügung. „Ziel ist ein zentrales kommunales Servicepor­tal NRW, das allen Kommunen ermöglicht, digitale Services bereitzust­ellen.“Bereits möglich seien die Abwicklung von Gewerbeanz­eigen und weitere wirtschaft­sbezogene Verwaltung­sleistunge­n, etwa die Eintragung in die Handwerksr­olle. Zudem fördere das Land über das Programm „Digitale Modellregi­onen in NRW“noch bis 2021 mit 91 Millionen Euro Pilotproje­kte in den Regionen Aachen, Gelsenkirc­hen, Paderborn, Soest und Wuppertal in den Bereichen E-Government und digitale Stadtentwi­cklung, die auch auf andere Kommunen übertragba­r seien.

„Insgesamt trägt die Landesregi­erung mit den genannten Maßnahmen dazu bei, dass durch die angespannt­e finanziell­e Situation in den Kommunen die Digitalisi­erung von Verwaltung­sabläufen nicht ins Stocken gerät“, so der Sprecher.

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FOTO: DPA Lesegerät für den Personalau­sweis mit Chipkarte – das Vorhaben entwickelt­e sich zum großen Flop.

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