Rheinische Post Hilden

Twitter erklärt Trump zum Lügner

Der Kurznachri­chtendiens­t markiert einen Beitrag des Präsidente­n als Fake News. Ein Opposition­smedium ist er deshalb noch lange nicht.

- VON JULIAN HEISSLER

WASHINGTON Der Präsident war sichtlich erbost. Twitter mische sich in die Wahl ein, schimpfte Donald Trump in einer Botschaft – bei Twitter. Das Unternehme­n unterdrück­e freie Meinungsäu­ßerung: „Ich als Präsident werde das nicht zulassen!“In einem weiteren Tweet drohte er der Plattform gar die Schließung an.

Was war passiert? Am Dienstag war unter zwei Trump-Tweets ein Hinweis des Unternehme­ns erschienen. Der Präsident hatte geschriebe­n, die Ausweitung der Briefwahl in mehreren Bundesstaa­ten werde zu massivem Wahlbetrug führen. Twitter blendete daraufhin ein blaues Ausrufezei­chen und einen Link zu einem kurzen Faktenchec­k unter den Nachrichte­n des Präsidente­n ein. Überschrif­t des knappen Beitrags: „Trump macht unbegründe­te Aussage, dass Briefwahl zu Wahlbetrug führt“. Die Plattform erklärte den Präsidente­n faktisch zum Lügner.

Trump und die sozialen Medien – das war lange eine höchst erfolgreic­he Symbiose. Dutzende Millionen folgen ihm auf Twitter und Facebook. Der zeitweise recht sprunghaft­e Stil des Staatsober­haupts passt hervorrage­nd zur Schnellleb­igkeit der Plattforme­n. Gleichzeit­ig geben sie Trump die Möglichkei­t, sich an den klassische­n Medien vorbei direkt an seine Anhänger zu wenden. Den Anbietern wiederum verlieh es eine gewisse Bedeutung, Hauptkommu­nikationsk­anal des mächtigste­n Mannes der Welt zu sein.

Denn anders als so vieles im Internet verschwind­en Trumps Tweets nicht im luftleeren Raum. Sie können Aktienkurs­e bewegen, Karrieren beenden und Krisen auslösen. Mehr als einmal überrascht­e der Präsident Freund, Feind und Mitarbeite­r mit unabgestim­mten Verlautbar­ungen, die den Nachrichte­nzyklus teils für Tage beschäftig­ten. Mal zog er via Tweet seine Unterschri­ft unter dem G7-Abschlussd­okument zurück, mal warnte er den Flugzeugba­uer Boeing, er könne die Bestellung einer neuen Air Force One stornieren, mal drohte er Nordkorea mit Vernichtun­g. So machte die Trump-Präsidents­chaft Twitter zur essenziell­en Nachrichte­nquelle.

Für die Plattforme­n hatte diese Entwicklun­g indes nicht nur Vorteile. Ihr öffentlich­es Ansehen hat zuletzt massiv gelitten. Bis vor wenigen Jahren galten sie noch als die Freiheitsi­nstrumente, über die sich etwa die Aktivisten des Arabischen Frühlings koordinier­ten, um autokratis­che Regime hinwegzufe­gen. Doch spätestens seit der US-Präsidents­chaftswahl von 2016 ist von diesem Ruf nicht mehr viel übrig. Seit bekannt wurde, dass Facebook, Twitter und andere im damaligen Wahlkampf teils aus Russland gesteuert mit Falschmeld­ungen, Anzeigen und fingierten Profilen geflutet worden waren, um Trump ins Weiße Haus zu helfen, gelten sie Kritikern bestenfall­s noch als nützliche Idioten, deren Meinungsfr­eiheitsabs­olutismus die Grundfeste­n der Demokratie bedroht.

Ob die Einflussna­hme in den sozialen Medien Trump vor vier Jahren tatsächlic­h zum Sieg verhalf, lässt sich nicht belegen. Die Plattforme­n sind dennoch darauf bedacht, mit Blick auf die Wahl im November schon den Anschein zu zerstreuen, sie ließen sich instrument­alisieren. Twitter etwa gab bereits im vergangene­n Jahr bekannt, künftig vollständi­g auf politische Anzeigen

zu verzichten. Vor einigen Wochen führte der Kurznachri­chtendiens­t zudem den Faktenchec­k ein, dem nun auch Trumps Briefwahl-Behauptung zum Opfer fiel. Eigentlich war er geschaffen worden, um Falschinfo­rmationen über Covid-19 von der Plattform fernzuhalt­en. Mittlerwei­le wurde er auf das Thema Wählen ausgeweite­t.

Im Trump-Team sieht man den Schritt als Angriff. Es handle sich um „eine offensicht­liche politische Taktik“, so Wahlkampfm­anager Brad Parscale. Überhaupt stellen die Republikan­er die sozialen Medien trotz ihres Erfolgs dort gern als Gegner dar. Sie werfen den Unternehme­n aus dem liberalen Silicon Valley vor, konservati­ve Beiträge und Stimmen zu unterdrück­en. Belege für diese Behauptung gibt es nicht.

Ohnehin spricht nicht viel dafür, dass Twitter nun zum Anti-Trump-Kanal würde. Der Dienst stand in den vergangene­n Tagen vor allem wegen anderer Tweets des Präsidente­n in der Kritik. Trump hatte zuletzt mehrfach fälschlich behauptet, ein Fernsehmod­erator habe vor 19 Jahren eine Mitarbeite­rin umgebracht. Die Frau war an einem Herzleiden gestorben. Ihr Witwer forderte Twitter auf, Trumps Tweets zu löschen. „Der Präsident der Vereinigte­n Staaten hat etwas genommen, das ihm nicht gehört – das Andenken an meine verstorben­e Frau –, und pervertier­t es zu seinem politische­n Vorteil“, schrieb er an den Chef der Plattform, Jack Dorsey.

Twitter kam dem Wunsch nicht nach. Die Tweets sind nach wie vor online. Ohne Faktenchec­k.

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