Die Kaufprämie ist falsch, aber sie kommt
DÜSSELDORF Nach dem Rausch kam der Kater. Weit über eine Million Autobesitzer hatten dabei geholfen, die Folgen der Finanzkrise für Deutschland mit dem Kauf eines Neu- oder Jahreswagens zu mildern. Der Staat assistierte mit 2500 Euro staatlicher Unterstützung, wenn die Käufer ihre Altfahrzeuge gleichzeitig verschrotten ließen. Das Interesse war so groß, dass der Staat die Mittel von zunächst 1,5 Milliarden Euro noch auf fünf Milliarden Euro aufstockte – denn die Leute kauften und kauften. Die „Abwrackprämie“wurde 2009 zum Wort des Jahres gekürt. Die Euphorie war bald vorbei. 2010 brach der Absatz um fast eine Million Autos ein. Die 2,9 Millionen Neuzulassungen waren der niedrigste Wert seit der Wiedervereinigung. Und obwohl sich führende Ökonomen einig sind, dass die Abwrackprämie viel gekostet, aber wenig gebracht hat, ruft die Branche in der Corona-Krise erneut nach dieser Hilfe. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat bereits Kaufprämien angekündigt, um Renault & Co. zu retten. Auch die Ministerpräsidenten von Niedersachsen, Baden-Württemberg oder Bayern zeigen sich willig. Dabei wäre eine solche Prämie nicht nur ökonomisch fragwürdig, sondern auch unsozial – aus fünf Gründen.
Die Autohersteller rufen nach Staatshilfe, schütten aber Milliarden an ihre Aktionäre aus.
Das Geschäft der Auto-Industrie ist massiv eingebrochen. Allein in Europa betrug das Minus bei den Neuzulassungen im April 67 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. An der Dividende halten die Unternehmen jedoch fest. Die Chefin des Automobil-Verbands VDA, Hildegard Müller, verteidigte das Vorgehen zuletzt im „Deutschlandfunk“damit, dass es auch wichtig sei, Kleinaktionäre an Bord zu halten. Doch diese sind bei den großen Autobauern eine Minderheit. Von den 1,6 Milliarden Euro Dividende, die BMW in diesem Jahr ausschüttet, gehen rund 750 Millionen Euro an die Großaktionäre Susanne Klatten und Stefan Quandt, laut „Manager Magazin“mit einem geschätzten Vermögen von mehr als 25 Milliarden Euro im vergangenen Jahr die drittreichsten Deutschen. Auch Daimler will Aktionären, darunter der chinesische Milliardär
Li Shufu (9,7 Prozent) sowie der Staatsfonds von Kuwait (6,8 Prozent), weiterhin Dividenden zahlen. Bei Volkswagen soll diese sogar um 1,70 Euro erhöht werden – wovon besonders die Milliardärsfamilien Porsche und Piëch, die über die Porsche Automobil Holding rund ein Drittel am Konzern halten, sowie das Emirat Katar (rund 15 Prozent) und das Land Niedersachsen (rund zwölf Prozent) profitieren. Auch Müllers Befürchtung, dass die Aktionäre von Bord gehen, ist zumindest bei den Porsches und Piëchs unwahrscheinlich. Als die Börsen im März abstürzten, erhöhte die Porsche Holding für 81 Millionen Euro ihren Anteil am Unternehmen – und profitiert seitdem vom gestiegenen Börsenkurs.
Würden die Autohersteller auf die Dividende verzichten, könnten sie problemlos selbst die Milliardensumme aufbringen, um Fahrzeuge günstig in den Markt zu drücken – oder einen Hilfsfonds für gebeutelte Zulieferer aufzulegen.
Eine Kaufprämie für Neuwagen wäre sozial ungerecht.
Die Arbeitslosigkeit stieg im April im Vergleich zum Vorjahresmonat um 18,6 Prozent auf 2,6 Millionen Menschen. Für zehn Millionen Beschäftigte in Deutschland wurde Kurzarbeit angemeldet. Wie viele Betriebe diese letztlich in Anspruch nehmen, ist unklar. Einen Einblick gibt allerdings eine Studie der Universität Mannheim, derzufolge Menschen mit einem monatlichen Nettoeinkommen zwischen 1000 und 2500 Euro deutlich häufiger von Kurzarbeit betroffen sind als Menschen mit einem höheren Einkommen. Geringverdiener mit weniger als 1000 Euro netto im Monat sind hingegen häufiger arbeitslos. Plakativ ausgedrückt: Die Kellnerin wird entlassen, der Industriearbeiter in Kurzarbeit geschickt und der Anwalt wechselt einfach ins Homeoffice.
Doch wer von Kurzarbeit oder Arbeitslosigkeit betroffen oder dies fürchten muss, wird sich die Anschaffung eines neuen Fahrzeugs zweimal überlegen. Wohlhabende könnten den staatlichen Zuschuss hingegen verwenden, um ihren Zweitwagen auszutauschen.
Eine Kaufprämie ist ökologisch wenig sinnvoll.
Obwohl die Abwrackprämie 2009 nicht an Umweltkriterien gebunden war, führte sie allein durch den technischen Fortschritt dazu, dass schmutzigere Fahrzeuge durch solche mit einem geringeren Verbrauch und weniger CO2-Emissionen ausgetauscht wurden. Allerdings: Obwohl mehr als eine Million Fahrzeuge verschrottet wurden, war der Effekt auf den gesamten Verkehr gering. Die Einsparung entspreche nur knapp einem Prozent aller Pkw-Emissionen in Deutschland, hielt das Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg in einem Zwischenfazit fest. Die Prämie könnte jetzt zwar an Umweltaspekte gekoppelt werden. Eine Prämie für Elektroautos würde aber kaum helfen, weil die Hersteller diese nicht ausreichend liefern könnten. Die Hersteller wollen daher gerne Diesel- und Benzin-Fahrzeuge mit der Prämie verkaufen.
Den Auto-Beschäftigten dürfte die Prämie kaum helfen.
Daimler und BMW profitierten 2009 kaum von der deutschen Abwrackprämie. Der Marktanteil der ausländischen Hersteller, die günstigere und oft auch kleinere Fahrzeuge anbieten, stieg hingegen sprunghaft an. Das dürfte diesmal ähnlich sein. Nur für VW hat sich die Prämie damals gelohnt. Der Wolfsburger Konzern hatte den größten Marktanteil. Doch das ist auch ohne Prämie so. Hinzu kommt: Die Autobranche leidet in ganz Europa unter Überkapazitäten, der Effekt für die kommenden Jahre droht durch Kaufprämien noch heftiger auszufallen. „Durch Kaufanreize werden Käufe vorgezogen, die in den Folgejahren fehlen“, sagt beispielsweise die Wirtschaftsweise Monika Schnitzer. Gleichzeitig könnten viele Menschen, die sich in diesem Jahr sowieso ein neues Auto kaufen wollten, nun einfach abwarten, in der Hoffnung, durch eine Prämie Geld zu sparen. Unter dem Strich wäre durch das Geld des Steuerzahlers kein Auto zusätzlich verkauft worden.
Steuergelder sollen Fehler der Vergangenheit ausbügeln.
In der Europäischen Union gelten inzwischen strenge Klimaziele, bei denen die Hersteller über alle Fahrzeuge hinweg einen bestimmten Grenzwert erreichen müssen. Schaffen sie es nicht, drohen Strafen. Laut dem Car-Center Automotive Research lag der Anteil der Fahrzeuge mit einem Kohlendioxid-Ausstoß bis zum langfristig vorgegeben EU-Grenzwert von 95 Gramm im Gesamtmarkt 2019 nur bei sechs Prozent. Vielen Herstellern fehlen in der Breite die entsprechenden Modelle – speziell den Deutschen, denen hohe Strafen drohen. Mit einem Schlussspurt im Jahr 2020 wollten sie die Strafen noch abwenden. Doch die eingebrochenen Absätze machen dieses Ziel nur schwer erreichbar. Dafür sollte im Zweifel aber nicht der Steuerzahler aufkommen, sondern die Eigentümer, sprich: Aktionäre, die diese Modellpolitik all die Jahre hinweg akzeptiert haben.
Fazit Die deutsche Auto-Industrie hat viele Chancen in der Vergangenheit verspielt. Und doch dürfte die Politik schwach werden – niemand will sich im Jahr vor der Bundestagswahl vorwerfen lassen, Tausende Arbeitsplätze gefährdet zu haben. Sinnvoll ist das nicht, aber darüber kann man ja in der nächsten Krise nochmal diskutieren.