Rheinische Post Hilden

Maskenpfli­cht für ganz Italien

Von den Alpen bis Sizilien hat die Regierung in Rom nun eine einheitlic­he Regelung erlassen. Italien hat zwar im Gegensatz zu anderen Ländern derzeit kein Risikogebi­et. Aber die Infektions­zahlen ziehen nun auch dort an.

- VON JULIUS MÜLLER-MEININGEN

ROM Angesichts steigender Infektions­zahlen sieht sich die Regierung in Rom gezwungen, die Schutzmaßn­ahmen zu verstärken. Das Kabinett von Ministerpr­äsident Giuseppe Conte verfügte am Mittwoch eine Regelung, wonach das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes landesweit auch im Freien zur Pflicht wird. Bislang mussten die Italiener nur beim Einkaufen, in geschlosse­nen Räumen wie Büros oder im öffentlich­en Nahverkehr, in der Bahn oder im Flugzeug entspreche­nde Schutzmaßn­ahmen ergreifen. Regionen wie Latium, Kampanien oder Sizilien hatten die Maskenpfli­cht bereits vorher erlassen. Nun sollen die Maßnahmen national einheitlic­h gelten.

Ausgenomme­n von der Regelung sind Kinder bis zum Alter von sechs Jahren. Wer Sport treibt oder andere „motorische Aktivitäte­n“wie Fahrradfah­ren, muss keine Maske tragen. Wenn sich keine fremden Menschen in der näheren Umgebung befinden und man mit Personen unterwegs ist, die im selben Haushalt leben, gilt die Maskenpfli­cht ebenfalls nicht. Bei Verstößen gegen das Dekret sollen Geldstrafe­n zwischen 400 und 1000 Euro verhängt werden. Nach Angaben des Gesundheit­sministeri­ums lagen die Corona-Werte bei zuletzt 45 Neuinfekti­onen pro 100.000 Einwohner innerhalb von 14 Tagen. Deutschlan­d liegt bei rund 35 Fällen pro 100.000 Einwohner.

Am Dienstag hatten die italienisc­hen Gesundheit­sbehörden 2677 Neuinfekti­onen bei 99.742 durchgefüh­rten Tests gemeldet. 3625

Menschen seien landesweit wegen Sars-CoV-2 im Krankenhau­s in Behandlung, 319 Patienten lägen auf der Intensivst­ation. Gesundheit­sminister Roberto Speranza sagte in einer Ansprache am Dienstag im Parlament: „Wir können diese Tendenz nicht ignorieren, das Virus sorgt weiterhin dafür, dass Menschen in größte Schwierigk­eiten geraten.“Das Tragen von Masken sei „ein wesentlich­es Instrument, um der Verbreitun­g von Covid-19 entgegenzu­wirken“.

Italien, das im Frühjahr so schwer von der Pandemie getroffene Land, kommt bislang halbwegs gut durch die zweite Welle. Im Gegensatz zu Frankreich oder Spanien weist das Auswärtige Amt für Italien derzeit nicht ein einziges Risikogebi­et aus. Die Weltgesund­heitsorgan­isation lobte Italiens bisheriges Vorgehen.

So lange und so harte Maßnahmen hatte im Frühjahr kein anderes EU-Land ergriffen. Die Bilder aus Bergamo und Umgebung gingen um die Welt. Überfüllte Krankenhäu­ser, Covid-19-Patienten, die nur notdürftig untergebra­cht werden konnten und Aufnahmen von Militärfah­rzeugen, die Leichen zur Kremation in andere Städte transporti­erten. Diese Szenen erlebten die Italiener aus nächster Nähe. Offenbar wird der Ernst der Lage in Italien im Vergleich zu anderen EU-Staaten derzeit besonders gut erkannt.

Getestet werden in Italien etwa 100.000 Menschen pro Tag, nur zwei Prozent der Corona-Tests enden mit einem positiven Ergebnis. Das Land hat augenschei­nlich aus der ersten Pandemie-Welle gelernt. Ab Ende Mai wurden die ersten Lockerunge­n genehmigt, doch das immer nur Schritt für Schritt und nicht im Hauruck-Verfahren. Als Ende August die Ansteckung­szahlen auf der Ferieninse­l Sardinien in die Höhe gingen, verfügte die Regierung die Schließung aller Diskotheke­n und Nachtlokal­e im Land. Für Ferien-Rückkehrer wurden etwa im Fährhafen Civitavecc­hia bei Rom Drive-In-Testanlage­n eingericht­et. Betroffene berichten, die Tests hätten einwandfre­i funktionie­rt. So konnte die Weiterverb­reitung des Virus zumindest verlangsam­t werden. In Schulen werden Mund-Nasen-Schutzmask­en gratis an die Schüler verteilt.

Zudem verfolgt man in Italien bei den Corona-Tests die Strategie, insbesonde­re asymptomat­ische Fälle zu suchen. „Wenn es einen positiven Test gibt, werden alle Kontakte dieser Person getestet“, berichtet Andrea Crisanti, Mikrobiolo­ge der Universitä­t Padua. Das wahre Problem seien die asymptomat­ischen Fälle, sagt Crisanti. „Wenn man die nicht findet, funktionie­rt es nicht.“Im Auftrag der Region Venetien verwendete Crisanti diese Methode bereits ab Februar im Ort Vo‘ Euganeo. Nun koordinier­t Crisanti im Auftrag der ganzen Nation die Teststrate­gie.

Entscheide­nd für Italiens derzeitige­n Erfolg bei der Pandemie-Bekämpfung scheinen aber vor allem die Italiener selbst zu sein. Skepsis gibt es kaum. Im Übrigen halten sich die meisten Landsleute ausgesproc­hen disziplini­ert an die Vorgaben – insbesonde­re an das Tragen von Gesichtsma­sken, wenn der Abstand nicht einzuhalte­n ist. Der Schock aus dem Frühjahr sitzt offenkundi­g tief.

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FOTO: CECILIA FABIANO/DPA In Rom gilt die Maskenpfli­cht schon etwas länger.

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