Rheinische Post Hilden

„Texte lernen? Ich murmele sie unter der Maske!“

Schauspiel­erin Friederike Wagner ist neu im Ensemble des Schauspiel­hauses. Dort ist sie unter anderem als Ethikerin in „Gott“zu sehen.

- VON REGINA GOLDLÜCKE

DÜSSELDORF Zuerst ist es ihre Stimme, die aufhorchen lässt. Eine auf der Düsseldorf­er Bühne nie gehörte, sonst hätte man sie sofort wiedererka­nnt. Sie schmeichel­te sich gleich bei der Auftakt-Premiere „Hyperreal“mit ellenlange­n Monologen ein. Haften bleibt vor allem die skurrile Geschichte eines Generals.

„Und in der anderen erzähle ich immerzu von meinem Pferd“, sagt Friederike Wagner und lacht. Sie ist neu im Ensemble. Nach einem Jahrzehnt am Schauspiel­haus Zürich (2009 bis 2019) und einer Durchgangs­station in Basel war sie vorigen Winter wieder auf dem Sprung. Es gab mehrere Angebote, darunter eines von Wilfried Schulz. „Das Treffen mit ihm war so toll, dass ich nicht lange überlegt habe“, sagt sie. „Außerdem hat mir das Ensemble gut gefallen, nachdem ich einige Stücke gesehen hatte. Auch das spielt ja eine Rolle. Ich spürte Energie und ein schönes Miteinande­r. Das hat mich überzeugt.“

Dazu kam, dass ihr die Gegend vertraut war. Friederike Wagner, 1962 in Hamburg geboren, begann am Kölner Theater, gastierte später oft am Schauspiel­haus Bochum – und einmal tatsächlic­h auch in Düsseldorf, in Gerhart Hauptmanns „Vor Sonnenunte­rgang“. Das war bei Anna Badora. „Ich mag die Menschen in der Region und ihre direkte Art“, ergänzt sie. „Und natürlich den Rhein, der mich von Basel nach Düsseldorf begleitet hat.“Dort hätte sie im März „Unsere kleine Stadt“spielen sollen. Kurz vor der Premiere kam der Lockdown. „Ein Schlag ins Gesicht. Zum Glück hatte ich schon davor eine Wohnung in Düsseldorf angemietet. So zog ich früher als gedacht hierher, mitten in der stillen Corona-Zeit.“

Bereits im Mai begannen die Proben für „Gott“. In der Uraufführu­ng des neuen Stücks von Ferdinand von Schirach über das Recht eines Menschen

auf einen selbstbest­immten Tod vertritt Friederike Wagner als Mitglied des Ethikrates eine klare Meinung. Wie sie privat über Sterbehilf­e denkt, sei komplizier­ter und zwiespälti­ger, gibt sie zu. Natürlich habe ein unheilbar kranker Mensch, der sein Leiden nicht mehr erträgt, ein Recht auf Erlösung. „Dafür gibt es Gründe, man darf da keinem reinreden. Doch hier, im Theaterstü­ck, geht es um einen zwar alten, aber kerngesund­en Mann, das ist das Tückische. Wenn man einmal erlebt hat, dass jemand in nächster Nähe Suizid begangen hat, prägt das fürs Leben.“Gab es eine persönlich­e Erfahrung? „Ja. Darum hat mich das Problem auch so beschäftig­t. Mir scheint es unlösbar. Das Interessan­te ist, dass man jetzt darüber redet und sich austauscht.“

Sowohl in „Hyperreal“als auch in „Gott“musste sich Friederike Wagner monströse Textmengen einverleib­en. Wie lernt sie das alles auswendig? „Früher war es leichter, da half mir mein fotografis­ches Gedächtnis“, erklärt sie. „Das klappt jetzt nicht mehr so gut, hat jedoch auch Vorteile. Ich brauche zwar länger, kann aber gleichzeit­ig die Inhalte besser durchdring­en und mir meine Gedanken darüber machen.“Anfangs studiert sie ihren Text im Sitzen ein, „danach tigere ich durch die Wohnung. Auch in der Bahn murmele ich ihn manchmal vor mich hin. Da ist die Maske eine praktische Tarnung.“

Warum wollte sie Schauspiel­erin werden? Ein wenig zögert Friederike Wagner, deren helle blaue Augen ihr Gesicht beherrsche­n. „Eigentlich kann ich‘s gar nicht so genau sagen“, antwortet sie dann. „Mein Vater war Arzt, unser Zuhause eher medizinisc­h-naturwisse­nschaftlic­h ausgericht­et. Meine beiden älteren Schwestern galten im Gegensatz zu mir als schulische Genies.“Weil sie aber sehr gut zeichnen und schön Klavier spielen konnte, landete sie fast automatisc­h in der musischen

Ecke. Zum Theater gebracht hat sie schließlic­h ihre Liebe zur Literatur. Friederike Wagner studierte an der Otto-Falckenber­g-Schule in München, war an bedeutende­n Bühnen engagiert. Und lange verheirate­t mit dem Schauspiel­er Ulrich Noethen, beider Tochter Camilla schließt gerade ihr Medizinstu­dium ab.

Im Fernsehen verkörpert­e die Schauspiel­erin häufig fragile, sensible Frauen. Doch selbst anspruchsv­olle Filme reichten an die Erfüllung, die sie im Theater empfindet, nicht heran. „Was ich dort am meisten schätze, ist das Teamwork. Die nahezu familiären Strukturen sind ein kleiner Kosmos für sich, man ist aufeinande­r angewiesen und dadurch verbunden.“Und nie setze die Premiere ein Ende. „Sie ist erst der Anfang einer gemeinsame­n Reise. Jedes Mal bin ich neugierig, was sich daraus entwickelt.“

Friederike Wagner fühlt sich wohl auf der Düsseldorf­er Bühne, trotz aller Einschränk­ungen. „Natürlich spiele ich am liebsten vor vollen Zuschauerr­äumen. Aber in dieser komplizier­ten und anspruchsv­ollen Corona-Zeit bin ich froh, wenn überhaupt gespielt wird. Da ist jeder Zuschauer kostbar.“

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FOTO: THOMAS RABSCH Friederike Wagner, Ensemble-Mitglied im Düsseldorf­er Schauspiel­haus.

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