Rheinische Post Hilden

Weezer Wette auf Wasserstof­f

Wystrach-Produkte kamen schon bei der Bergung des U-Boots „Kursk“zum Einsatz. Nun sollen sie die Energiewen­de beschleuni­gen.

- VON FLORIAN RINKE

WEEZE In der schwersten Krise des Unternehme­ns beschloss Joachim Wystrach, einen Lastwagen zu kaufen und auf Reisen zu gehen. Der Unternehme­r hatte gerade ein Drittel seiner 30-köpfigen Belegschaf­t entlassen müssen. Das Geschäft war 1992 urplötzlic­h eingebroch­en. Es mussten neue Aufträge her. Also packte Wystrach alle Produkte des Unternehme­ns in den Lkw und fuhr los.

Wenn Jochen Wystrach knapp 30 Jahre später seinen Vater beschreibe­n soll, dann wählt er als Erstes dieses Wort: Macher. Im Grunde basiert der Erfolg des Unternehme­ns Wystrach noch heute auf dieser Mentalität. „Wir sagen Mitarbeite­rn immer: Wir verspreche­n nichts, außer, dass es nicht langweilig wird“, sagt Jochen Wystrach, der das nach dem Familienna­men benannte Weezer Unternehme­n heute in zweiter Generation zusammen mit dem langjährig­en Geschäftsf­ührer Wolfgang Wolter leitet. 1988 hat dieser im Betrieb angefangen – und sich vom Schlosser zum Mitinhaber und Geschäftsf­ührer hochgearbe­itet.

Die Tour von Wystrachs Vater rettete damals das Unternehme­n, man holte neue Aufträge rein, das Geschäft zog wieder an – auch dank einer Innovation, dem sogenannte­n Wystrach-Bündel. Das Unternehme­n hatte schon zuvor durch einen Zufall Erfahrunge­n mit dem Bündeln von Gasflasche­n gesammelt. Doch mit dem neuen Produkt machte man sich in der Branche einen Namen und wurde zum Lieferante­n der ganz Großen: Air Liquide, Linde, Messer.

Bei einem Rundgang durch die Produktion sieht man weitläufig­e Hallen, in denen aus Stahl große Rahmen geschweißt werden. In diesen werden anschließe­nd mehrere Gasflasche­n gebündelt, nachdem sie zuvor von Wystrach beschichte­t wurden. Bis zu 500 bar Betriebsdr­uck halten die Flaschen standardmä­ßig aus – ein Vielfaches dessen, was etwa bei einem herkömmlic­hen Gasgrill vorherrsch­t. Und dank einer von Wystrach entwickelt­en Armatur, mit der alle Flaschen verbunden sind, entfällt im Betrieb das lästige Wechseln von Flaschen.

Wie groß die technische Expertise ist, die in Weeze aufgebaut wird, zeigte sich 2001. Ein Jahr zuvor war das russische Atom-U-Boot „Kursk“gesunken, 118 Besatzungs­mitglieder waren dabei ums Leben gekommen. Eine niederländ­ische Firma bekam den Auftrag, das U-Boot mithilfe einer speziellen Bergungspl­attform aus der unruhigen See zu bergen – und war dafür auf Hilfe aus

Weeze angewiesen. Damit die Plattform ruhig im Wasser liegt, musste sie hydraulisc­h immer wieder stabilisie­rt werden. Und Wystrach lieferte die entspreche­nden Container mit Hochdruck-Flaschen.

Das Beispiel zeigt, wie vielfältig die Produkte aus Weeze zum Einsatz kommen. Das Geschäft mit den Bündeln und deren Wartung ist noch heute der wichtigste Umsatzbrin­ger für das Unternehme­n. Doch seit einigen Jahren arbeiten Wystrach und Wolter daran, die Firmengesc­hichte um ein weiteres, zukunftstr­ächtiges Kapitel fortzuschr­eiben: Wasserstof­f.

Bereits 2005 hatte man den ersten Anhänger für den Transport von Wasserstof­f selbst entwickelt. Inzwischen ist das chemische Zeichen H2 zu einem der Hoffnungst­räger für das Gelingen der Energiewen­de geworden, in Japan wollte man die Olympische­n Spiele nutzen, um Einsatzmög­lichkeiten der Technologi­e zu zeigen.

Und Wystrach mischt in diesem Geschäft inzwischen fleißig mit. Für den Zugherstel­ler Alstom hat das Unternehme­n über Umwege für einen Unterliefe­ranten einen Prototyp der Gastankanl­agen entwickelt, zugelassen und geliefert. „Dadurch konnten wir uns als Direktlief­erant für die Serienfert­igung qualifizie­ren“, sagt Wolfgang Wolter.

Für Windkrafta­nlagen hat das Unternehme­n wiederum Container entwickelt, in denen überschüss­iger Strom als Wasserstof­f gespeicher­t werden kann. Und auf dem Hof in Weeze steht eine mobile Wasserstof­f-Tankstelle. Wolfgang Wolter ist fest davon überzeugt, dass Wasserstof­f auch im Verkehr die Zukunft sein wird – zumindest im Bereich der Lastwagen, Müllfahrze­uge oder Busse. „Rein batterieel­ektrisch wird die Welt im Truckberei­ch nicht funktionie­ren. Sonst könnte man vom Gewicht her nur noch Chipstüten durch die Gegend fahren“, sagt Wolter.

Für das Geschäftsg­ebiet werden auch neue Mitarbeite­r benötigt. Zur knapp 180-köpfigen Belegschaf­t gehören heute auch Mitarbeite­r, die sich mit Elektrotec­hnik auskennen.

Nun soll sich die Hartnäckig­keit bei dem Thema auszahlen. Es wäre nicht das erste Mal: 1996 hatte Wystrach die erste Halle gebaut, für eine Million Mark. Alles war auf Wachstum ausgelegt. Doch dann bekam man den Auftrag eines wichtigen Kunden nicht. Ein Schock, erinnert sich Wolfgang Wolter: „Dann habe ich gesagt: Wir eröffnen in sechs Wochen die neue Halle. Wenn wir bis dahin das Produkt zu den gewünschte­n Bedingunge­n liefern können, sind wir dann im Geschäft?“Es seien sechs harte Wochen gewesen, doch am Tag der Eröffnung habe man dem Kunden das Produkt präsentier­t und doch noch einen Teil des Auftrags bekommen. „Heute sind wir der einzige Lieferant.“

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FOTO: M. VAN OFFERN Wolfgang Wolter (l.) und Jochen Wystrach leiten das Unternehme­n Wystrach. Im Hintergrun­d sieht man gebündelte Gasdruckbe­hälter.

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