Wunsch-Szenario der DEL
Wolfgang Gastner macht sich derzeit nicht gerade verdächtig, die Situation zu beschönigen. Die Stimmung in der DEL? „Jeder ist völlig deprimiert“, sagt der Geschäftsführer der Nürnberg Ice Tigers in der aktuellen Ausgabe der „Eishockey News“. Da Starttermin der Saison wurde bereits zweimal verschoben. Auch der neue (inoffizielle) Wunschtermin 18. Dezember ist unsicher. Selbst wenn die Obergrenze für Zuschauer von 20 auf 40 oder gar 50 Prozent angehoben würde, wäre das kein Befreiungsschlag. Lokale Ausbrüche können jederzeit dafür sorgen, dass an einzelnen Standorten überhaupt keine Zuschauer zugelassen werden, zudem ist es ja alles andere als sicher, dass auch genügend Fans kommen wollen.
Also hat Gastner eine andere Idee, die die Saison retten würde: Das Hilfspaket der Politik, das jedem Klub bis zu 800.000 Euro für entgangene Zuschauereinnahmen garantieren soll, muss umgebaut werden. Erstens soll die Hürde umgangenwerden können, nach der Antragssteller nicht bereits Ende 2019 in finanziellen Schwierigkeiten gewesen sein dürfen – was mindestens auf dem Papier auf zahlreiche DEL-Klubs zutrifft, da sich in ihren
Jahresabschlüssen Verbindlichkeiten in Millionenhöhe finden. Zweitens soll die Deckelung von 800.000 Euro abgeschafft werden. Gastner wünscht sich eine „Vollkaskoversicherung“, wie es sie in Österreich gibt. Dort wird gespielt, sämtliche Corona-bedingten Ausfälle werden kompensiert.
Dafür würden die ohnehin bereitgestellten 200 Millionen Euro reichen, sagt der Nürnberger. Dann wäre der Spielbetrieb unabhängig von der Pandemie-Lage und der Anzahl zahlender Zuschauer gesichert. Also könnten die Angestellten bezahlt werden, Abgaben an Stammvereine und Verbände für die Jugendarbeit könnten geleistet werden, die Nationalspieler würden sich vernünftig auf die WM vorbereiten können. Und wenn die vielleicht noch mal verschoben wird (Starttermin ist der 21. Mai 2021), wäre sogar eine DEL-Saison mit Hauptrunde und Play-offs drin.
Die DEL hätte Spieler, Fans, Sponsoren sowie TV-Partner versöhnt, wirtschaftliche Vernunft bewiesen, nicht ins Ungewisse gestartet zu sein, und einen Lobbyerfolg bei der Politik gefeiert. Kurzum: Sie wäre mit einem blauen Auge davongekommen. Auf mehr kann derzeit niemand hoffen.
Es vergeht kaum eine Woche, ohne dass Verbände, Vereine oder die Liga Schreckensszenarien entwerfen. Da ist von der „Existenzbedrohung“der Klubs und „katastrophalen“Folgen für Nationalmannschaft und Nachwuchs die Rede. Zumindest dann, wenn die DEL ihre Saison absagen muss – was nicht ausgeschlossen ist. Nun sollte niemand denken, eine Sportart würde verschwinden, weil die erste Liga nicht spielt. Aber zu unterschätzen wären die Folgen sicher nicht. Am Spielbetrieb der 14 Vereine hängt nämlich einiges. Zunächst mal sportlich, weil zahlreiche (National-)Spieler dann eineinhalb Jahr keine echten Wettkämpfe hätten. Man könne ganze Teams ja nicht „ausknipsen und dann einfach wieder anknipsen“, sagt der Kölner Moritz Müller. Wie soll die Nationalmannschaft bei der WM bestehen, wenn ihre Spieler im Gegensatz zur Konkurrenz monatelang nicht gespielt haben?
Hinzu kommt: Die DEL-Klubs helfen mit ihren Abgaben an Stammvereine und Verbände bei der Finanzierung der Jugendarbeit. Und sie sorgen für die meiste der medialen ohnehin nicht großen Aufmerksamkeit. Spielt die DEL als einzige Liga nicht, verschwindet der Sport Eishockey
aus der Öffentlichkeit. Was ein herber Imageverlust wäre: bei Fans, Medien, Sponsoren, Politik. Auch mit Blick auf die vielerorts maroden Eishallen. Seit Jahren kämpft die Branche um öffentliche Gelder für Sanierung oder Neubauten. Und die jüngsten Erfolge – Olympiasilber, gute WM-Ergebnisse, Leon Draisaitl als bester Spieler in der NHL, weitere Toptalente wie Tim Stützle auf dem Sprung – lieferten Argumente, dass der Sport unterstützenswert ist. Diese Argumente und der generelle Aufschwung wären wertlos, würde die neue Saison nicht gespielt werden.
Das schlimmste Szenario allerdings: Die DEL beginnt unter dem Druck von Fans und Sponsoren auch ohne Staatshilfen, die ersten Vereine müssen aber nach ein paar Monaten aufgeben, weil sie sich finanziell verhoben haben. Oder es müssen wegen lokaler Ausbrüche oder Corona-Fällen innerhalb der Teams so viele Spiele verschoben werden, dass der enge Spielplan nicht gehalten werden kann.
Die Saison müsste abgebrochen werden, Vereine könnten verschwinden, Hallen geschlossen werden, Jugendspieler abwandern. Die Folgen wären über Jahre im deutschen Eishockey spürbar.
Horror-Szenario für die DEL