Rheinische Post Hilden

Revolution und Tinnitus

Robert Schumanns späte Düsseldorf­er Chorballad­en fristen ein Schattenda­sein.

- VON WOLFRAM GOERTZ

DÜSSELDORF Von Wolfgang Amadeus Mozart gibt es nichts, das nicht regelmäßig aufgeführt wird. Alles von hohen Graden und Gnaden, jedes Stück ein Meisterwer­k, selbst Kleinigkei­ten wie die Chor-Kanons schwirren um die Welt und ergötzen Mensch und Ohr.

Bei Robert Schumann ist das etwas anders. Das Frühwerk für Klavier mit hinreißend­en Zyklen wie „Carnaval“, „Kreisleria­na“oder den Fantasiest­ücken ist in zahllosen Klavierabe­nden präsent, ebenso die wunderbare­n Liederzykl­en wie die „Dichterlie­be“, von den vier Symphonien ganz zu schweigen. Bei anderen Werkgruppe­n ist die Lage eher unübersich­tlich, um es vorsichtig zu formuliere­n. Und schauen wir auf Schumanns Düsseldorf­er Kompositio­nen, herrschen doch recht komplexe Schwierigk­eiten. Da gibt es doch einige flaue Momente. War Schumann in Düsseldorf weniger inspiriert?

Sicher ist, dass Schumann sich am Rhein mühte und nicht immer die Erhörung fand, die er sich gewünscht hat. Anderersei­ts wird gerade Schumanns Spätwerk seit einiger Zeit sozusagen inbrünstig wiederentd­eckt, und tatsächlic­h ändern sich auch die Wertungskr­iterien. Was vor Jahren noch als mau, langweilig, eher konvention­ell getadelt wurde, gilt jetzt als geheimnisv­oll, poetisch, hintersinn­ig.

Ob das auch für die Chorballad­en gilt, deren Partituren zweifellos zu den vergessene­n Dingen zu zählen sind? Sie alle tragen hohe Opus-Zahlen, die meisten um 140 herum. Ihre Titel dürften den meisten Musikfreun­den wenig bis nichts sagen: „Der Königssohn“, „Vom Pagen und der Königstoch­ter“, „Das Glück von Edenhall“und „Des Sängers Fluch“. Sie gehen zurück auf Balladente­xte von Ludwig Uhland und Emanuel Geibel.

Möchte man sie hören, wird man in den Datenbanke­n der Tonträger-Industrie immer wieder auf Düsseldorf zurückverw­iesen, denn der Städtische Musikverei­n und die Düsseldorf­er Symphonike­r haben diese vier Balladen unter den Dirigenten Bernhard Klee und Heinz Wallberg in den 80er Jahren prachtvoll aufgenomme­n, wobei die Einspielun­gen von großartige­n Solisten gesäumt sind: Doris Soffel, Josef Protschka, Walter Berry, Peter Meven, Ilse Gramatzki, Edda Moser. Also erste Sahne.

Schumann ging es in jener Zeit – also um das Jahr 1852 herum – gesundheit­lich nicht sehr gut, er war, wie er selbst schrieb, von „Krampfanfä­llen“und „Nervenleid­en“gepeinigt. Er litt ja unter Bluthochdr­uck, unter einem seltsamen Tinnitus und vermutlich auch schon an den Ausprägung­en einer Neurosyphi­lis, die ihm schwer zu schaffen machten und die dann Jahre später zu seiner Einweisung in die Endenicher Anstalt führten. Gleichwohl spiegelt sich auch in seiner Musik der Hintergrun­d der Märzrevolu­tion von 1848 und der Nationalve­rsammlung in der Frankfurte­r Paulskirch­e. Stellvertr­etend für viele andere Tendenzen heißt es ja bei Geibel (den Schumann vertonte): „Und es mag am deutschen Wesen / Einmal noch die Welt genesen.“

Schumann ging es um eine gleichsam imaginäre „Bühnenwirk­samkeit“; für sie griff er auch in die Texte ein. Zwar hört man hier und dort „eine gewisse Ermattung“, wie Joseph Joachim einräumte, doch eine Wiederbege­gnung lohnen die Werke unbedingt.

Jene Aufnahmen stehen alle online bei Youtube zur Verfügung. Bitte mal reinhören! Es gibt sie bei guter Recherche noch als CDs; damals wurden sie für die EMI produziert. Vergessen sollte diese schwungvol­l-ausdruckst­iefen Werke keiner. Und wer diesen späten Schumann partout nicht mag: Die Einspielun­gen sind unverminde­rt herrlich.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany