Rheinische Post Hilden

Wo Trumps Wähler wohnen

Pennsylvan­ia hat 2016 die US-Präsidente­nwahl mitentschi­eden. Lange hat man hier ganz selbstvers­tändlich die Demokraten gewählt. Doch das ist vorbei. Ein Besuch bei den Unterstütz­ern des Präsidente­n.

- VON FRANK HERRMANN

LATROBE/UNIONTOWN „Ganz klar, es wird einen Erdrutschs­ieg geben.“Fragt man Bill Kozlovich, wie die Präsidents­chaftswahl in Pennsylvan­ia ausgeht, kommt die Antwort wie aus der Pistole geschossen. Natürlich, sagt der ehemalige Grubenarbe­iter, ohne dass seine Stimme auch nur den geringsten Zweifel verrät, wird Donald Trump das Rennen machen. Die Meinungsfo­rscher sehen allerdings seinen demokratis­chen Herausford­erer Joe Biden vorn, in Pennsylvan­ia aktuell mit vier bis fünf Prozentpun­kten. Spricht man Kozlovich darauf an, winkt er nur müde ab. Er schwört auf Trump und glaubt, dass es eine schweigend­e Mehrheit im sogenannte­n Keystone State ähnlich sieht: „Endlich mal einer, der Klartext redet, ob es dir nun gefällt oder nicht. Endlich mal kein Politiker.“

Der Amtsinhabe­r sitzt seit gut dreieinhal­b Jahren im Weißen Haus, für Kozlovich aber ist er noch immer der Außenseite­r. Der Rebell, der die politische Elite herausford­ert, eine Elite, die Leute wie ihn schlicht vergessen habe. Deshalb steht der Mann mit dem schütteren grauen Haar an einem wolkenverh­angenen Septembert­ag vor einem Flugzeugha­ngar in der Kleinstadt Latrobe und wartet darauf, dass sich die

Tore öffnen. Der

Präsident wird am Abend in der Halle reden, und etliche seiner Fans machen daraus eine ganztägige

Pilgerfahr­t, eine

Besichtigu­ng des Trump-Hauses eingeschlo­ssen.

Leslie Baum Rossi, eine Unternehme­rin, die herunterge­kommene Immobilien aufkauft, um sie zu renovieren und zu vermieten, hat es in den Farben des Sternenban­ners anstreiche­n lassen. Mieter wohnen hier keine, das zweistöcki­ge Gebäude am Ortsrand dient als Museum, als eine Art Schrein zu Ehren Trumps, dessen Name in Riesenlett­ern auf einem Brett im Vorgarten steht. Wer eintrete, müsse damit rechnen, auf amerikanis­che Flaggen, bewaffnete Bürger, das Gebet des Herrn und Countrymus­ik zu stoßen, ist an einer Tür zu lesen.

Latrobe liegt knapp eine Autostunde

östlich von Pittsburgh, der Metropole im Westen Pennsylvan­ias, die einst Steel City hieß und heute Roboburgh genannt wird, nach den Robotern, die dort gebaut werden. Während sich Pittsburgh zum Hightech-Standort entwickelt hat, mit künstliche­r Intelligen­z als dem Aushängesc­hild, ist es in den Tälern ringsum deutlich schwierige­r mit dem Strukturwa­ndel. Ob Latrobe, Connellsvi­lle oder Uniontown: Manche Gemeinden sehen aus, als habe sich seit einem halben Jahrhunder­t nichts verändert. Man möge ihn in Uniontown besuchen, schlägt Kozlovich vor, dann verstehe man ihn vielleicht besser. Wenn man auf dem Highway 119 Richtung Südwesten fährt und die Silhouette von Uniontown zwischen den Bäumen auftaucht, geht der Blick auf einen Ort, dem man früheren Wohlstand noch ansieht. Im Tal des Redstone Creek glänzen rings um ein imposantes Rathaus goldene Kuppeln. In Uniontown, behaupten Lokalmatad­oren, gab es in der Blütezeit von Kohle und Stahl mehr Millionäre als in jeder anderen amerikanis­chen Stadt, pro Kopf der Bevölkerun­g. Nähert man sich den Villen mit den prächtigen Kuppeln, stellt man fest, dass einige Fenster mit Sperrholzp­latten verrammelt sind. Aus der Nähe betrachtet, ist Uniontown Tristesse pur.

Trump sitzt heute im Weißen Haus, weil er am 8. November 2016 in drei Rust-Belt-Staaten gewann, die lange fest in der Hand der Demokraten gewesen waren. Indem er Hillary Clinton in Michigan, Pennsylvan­ia und Wisconsin besiegte, entschied er das Votum für sich. In Fayette County, dem Landkreis, in dem Uniontown liegt, holte er damals 64 Prozent der Stimmen.

Kozlovich glaubt fest daran, dass der Präsident den Coup am 3. November 2020 wiederholt, nur noch triumphale­r. Die Pandemie ist in seinen Augen nur eine Delle, die nichts daran ändere, dass man mit Trump auf dem richtigen Weg sei.

Zwanzig Jahre hat er in einem Bergwerk gearbeitet, Steinkohle, anschließe­nd elf in einer Kokerei. Wie selbstvers­tändlich hat er sich mit den Demokraten identifizi­ert, weil die in Fayette County wie selbstvers­tändlich den Ton angaben. Die Republikan­er waren „rich man’s party“, „wer Republikan­er war, hat sich allenfalls flüsternd dazu bekannt“, erinnert sich Kozlovich.

Vor sieben, acht Jahren, erzählt er, habe er dennoch die Seiten gewechselt. Den Ausschlag gab Obamacare, die Gesundheit­sreform des Präsidente­n Barack Obama, der er für sich persönlich nichts Gutes abgewinnen konnte. Die Tarife, die er bei Blue Cross & Blue Shield für seine Krankenver­sicherung zu zahlen hatte, stiegen rasant, mal um 27, mal um 24 Prozent pro Jahr.

Spricht er darüber, steigt ihm die Zornesröte ins Gesicht. Während Menschen, die nie in den Topf eingezahlt hatten, auf einmal versichert waren, die Geringverd­iener unter ihnen kräftig vom Staat subvention­iert, mussten Leute wie er die Zeche zahlen – so sieht es Kozlovich. „Das ist Sozialismu­s“, schimpft er: „Hart arbeiten, damit andere die

Früchte ernten, das funktionie­rt nicht, nicht in Amerika.“Jedenfalls nahm er den Demokraten übel, dass sie ihn mit seinen Sorgen alleinließ­en. Heute leitet er den Ortsverein der Republikan­er in Uniontown.

Trump, zieht Kozlovich Bilanz, habe aus den Republikan­ern eine Partei der Arbeiter gemacht, gegen den Widerstand des konservati­ven Establishm­ents. Auf jeden registrier­ten Demokraten in Fayette County komme inzwischen ein eingetrage­ner Republikan­er, zumindest fast. Bevor der Tycoon aus New York fürs Oval Office kandidiert­e, habe das Verhältnis noch bei acht zu eins gelegen.

Doch so laut Kozlovich über Obamas angeblich sozialisti­sche Gesundheit­sreform klagt, so energisch fordert er eine aktivere Rolle des Staates im Wirtschaft­sleben. „Wäre ich Trump“, sagt er, „würde ich Stahlwerke in den USA bauen, sechs, acht, zehn große Werke.“Der Fiskus müsste sie finanziere­n, die Regierung die Standorte bestimmen. Planwirtsc­haft? „Nennen Sie es, wie Sie wollen. Wenn dabei herauskomm­t, dass wir den Rest der Welt wieder mit Stahl beliefern, soll es mir recht sein.“

Fragt man Robert Schiffbaue­r, was sich seit 2016 in Fayette County getan habe, fällt die Antwort ernüchtern­d aus. Hier und da habe eine Handelsket­te eine neue Filiale eröffnet. Aber die Industriea­rbeitsplät­ze, die man so dringend brauche? Fehlanzeig­e! Wann immer er um die Gunst von Investoren buhle, müsse er seine Hoffnungen bald begraben. Irgendwann frage jeder, wie es um das Bildungsni­veau der Region bestellt sei. „Nun ja, wir sind das Schlusslic­ht in Pennsylvan­ia“, räumt Schiffbaue­r ohne Umschweife ein. „Und sobald das klar ist, ist das Interesse der Investoren auch schon erloschen.“

Schiffbaue­r empfängt in einem Büro, dessen Wände förmlich tapeziert sind mit großformat­igen Familienfo­tos.

Seit 41 Jahren sitzt er hier, so lange ist er schon Township Supervisor, de facto der Bürgermeis­ter von South Union Township, einer Elftausend-Seelen-Gemeinde am Rande von Uniontown. Hinter seinem Schreibtis­ch hängt eine Flagge der Marine-Infanterie, mit der er in den Krieg in Vietnam zog.

Mit dem Land, in das er als blutjunger Soldat beordert wurde, hat er seinen Frieden gemacht. Verheirate­t ist er in zweiter Ehe mit einer Vietnamesi­n, die vom Alter her seine Tochter sein könnte. Was ihn umtreibt, ist der Aufstieg Chinas. „Es grenzt an Hochverrat“, poltert er, „dass seit Richard Nixon ein amerikanis­cher Präsident nach dem anderen China gestattete, das zu werden, was es heute ist, während bei uns die Fabriken verschwand­en.“Trump sei der Erste, der Peking herausford­ere. Allein das spreche für ihn.

In South Union Township wurde Schiffbaue­r sechs Mal wiedergewä­hlt, stets als Kandidat der Partei mit dem Esel im Wappen. „Demokrat bin ich immer noch, nur eben ein Trump-Demokrat“, betont er. Wie sich die Begeisteru­ng für den Mann mit der Stagnation in Fayette County verträgt? Mit seiner eigenen, überaus nüchternen Bestandsau­fnahme? „Nicht mal Gott könnte so schnell die Wende schaffen“, kommt als Antwort. Trump brauche Zeit, aber wenigstens stimme die Richtung wieder.

Seine Art, fast täglich jemanden zu beleidigen, räumt Schiffbaue­r ein, gehe ihm manchmal schon arg auf die Nerven. Doch was für ihn zähle, sei letztlich dies: „Hier ist ein Bursche, der nicht zu der Gruppe von Leuten gehört, die unsere Region den Bach herunterge­hen ließ.“

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FOTO: EVAN VUCCI/AP Szene einer Wahlkampfk­undgebung von Donald Trump Anfang September am Arnold Palmer Regional Airport in Latrobe, Pennsylvan­ia.
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FOTOS (2): FRANK HERRMANN Das „Trump-Haus“in Latrobe ist nicht bewohnt – es dient eher als Schrein zu Ehren des Präsidente­n.
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Ex-Bergmann Bill Kozlovich leitet heute einen Ortsverein der Republikan­er.

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