Rheinische Post Hilden

Risikogebi­ete abriegeln?

Im Kampf gegen die dynamisch wachsende Zahl von Covid-19-Erkrankten richtet sich der Blick nun auf massive Einschränk­ungen der Bewegungsf­reiheit. Schon China griff zu drastische­n Maßnahmen. Welche wirken?

- VON GREGOR MAYNTZ

Die Pandemie-Welle rollt – und mit ihr nun auch die Debatte, ob Deutschlan­d sie durch massive Einschränk­ungen der Bewegungsf­reiheit in den Griff bekommt. Unbeabsich­tigt hat sie kein Geringerer als Lothar Wieler, der Chef des tonangeben­den Robert-Koch-Instituts, befeuert. Eine „Abriegelun­g von Risikogebi­eten“, so Wieler im Sender Phoenix, habe er sich vor neun Monaten nicht vorstellen können. „Inzwischen kann ich mir vorstellen, dass solche Maßnahmen durchgefüh­rt würden“, fügte er hinzu. Auch Vize-Regierungs­sprecherin Martina Fietz drehte die offizielle Sprachrege­lung für die Kanzlerin in diese Richtung: „Die Beschränku­ng von Ein- und Ausreisen kann rein epidemolog­isch gesehen eine Möglichkei­t sein, um eine Verbreitun­g des Virus zu verhindern“, sagte sie auf die Frage nach der Abriegelun­g von Risikogebi­eten.

Sie vermied es, eine Unterschei­dung hinzuzufüg­en. Etwa zwischen dem „Ja“aus epidemolog­ischer Sicht und dem „Nein“aus politische­r. Im Gespräch mit unserer Redaktion erinnerte Kanzleramt­schef Helge Braun: „Die Bundeskanz­lerin und die Ministerpr­äsidenten haben schon vor Monaten festgestel­lt, dass es als weitestgeh­ende Maßnahme auch Beschränku­ngen der Mobilität in die besonders betroffene­n Gebiete hinein und aus ihnen heraus geben kann.“Bei den Einschränk­ungen für Reisende aus den Risikogebi­eten kippen die Landesregi­erung und die Gerichte inzwischen ein Beherbergu­ngsverbot nach dem anderen. Also konzentrie­rt sich der Blick nun auf die Risikogebi­ete selbst.

So versucht es etwa Mecklenbur­g-Vorpommern­s Regierungs­chefin Manuela Schwesig (SPD). Sie will zwar unter dem wachsenden Druck auf ihre Test- und Quarantäne-Auflagen für Urlauber auch noch einmal nach anderen Wegen suchen lassen. „Ich würde mir wünschen, dass wir das auf Hochrisiko­gebiete konzentrie­ren“, unterstric­h sie. Doch mit Blick auf Urlauber an der Ostsee meinte sie: „Reisen aus Risikogebi­eten ohne eine zusätzlich­e Maßnahme, das kann nicht sein.“

Also auch die Abriegelun­gen von Risikogebi­eten? Das gab es in der ersten Welle im Juni schon mal in Verl, Göttingen und Neukölln. Doch es ging jedes Mal um einen baulich sehr eng eingrenzba­ren Bereich und um eine dreistelli­ge Zahl von Betroffene­n. Wie soll eine Millionens­tadt wie Berlin abgeriegel­t werden? Wenn die Grenze von 50 Infizierte­n je 100.000 Einwohner in den zurücklieg­enden sieben Tagen zur Definition eines abzuriegel­nden Gebietes genommen wird, dann mag das für einzelne Städte wie Kassel trotz aller praktische­n Hinderniss­e noch im Ansatz darstellba­r sein. Aber wo soll die Abriegelun­g verlaufen, wenn etwa im Ruhrgebiet Hamm, Unna, Dortmund, Bochum, Recklingha­usen, Herne, Gelsenkirc­hen, Essen, Mülheim und Duisburg betroffen sind und sich das zusammenhä­ngende Risikogebi­et über Duisburg, Krefeld, Mettmann und Düsseldorf bis nach Köln erstreckt? Einmal halb NRW abriegeln? Zehn Millionen in die Häuser sperren?

So macht denn NRW-Innenminis­ter Herbert Reul klar: „Risikogebi­ete ganz abzuriegel­n, ist für mich nicht vorstellba­r.“Das scheitere praktisch schon an der Größe der Gebiete und damit am Personalau­fwand. „Sie können Städte in Nordrhein-Westfalen nicht einfach dichtmache­n“, sagte der CDU-Politiker unserer Redaktion. Noch schwerer wögen die rechtliche­n Aspekte: „Eine solch immense Einschränk­ung der Freizügigk­eit ist für mich nicht verhältnis­mäßig und würde sicher von den Gerichten kassiert werden“, so Reul. Den Minister schüttelt schon die Vorstellun­g: „Statt immer neue Horrorszen­arien auszumalen, sollten wir vernünftig und mit Bedacht die beschlosse­nen Maßnahmen umsetzen.“Es bleibe bei

„Es kann Beschränku­ngen der Mobilität als weitestgeh­ende Maßnahme geben“

Helge Braun Kanzleramt­sminister

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