Rheinische Post Hilden

Luftwaffe bewacht wieder das Baltikum

Die Bundeswehr kontrollie­rt als Bündnispar­tner wieder den Luftraum über Estland, Lettland und Litauen.

- VON HELMUT MICHELIS

WITTMUND/ÄMARI Ein russischer Bomber nähert sich über der Ostsee dem Nato-Luftraum; zwei Eurofighte­r der deutschen Luftwaffe fliegen ihm entgegen. Was bedrohlich klingt, kommt gleich mehrfach in der Woche vor: Die Kampfflugz­euge mit dem roten Stern seien „quasi alte Bekannte“und die Alarmstart­s der Abfangjäge­r längst Routine, sagt Oberstleut­nant Sebastian Fiedler auf dem estnischen Luftwaffen­stützpunkt Ämari. Unbeobacht­et von der Öffentlich­keit hat die deutsche Luftwaffe wieder die Sicherung des Luftraums über dem Baltikum übernommen. Estland, Lettland und Litauen besitzen selbst keine Jets und werden deshalb im Wechsel von ihren „großen“Verbündete­n wie Deutschlan­d, Frankreich und Italien geschützt.

Von Routine war bei den Begegnunge­n der Jets aus Ost und West lange Zeit nicht die Rede: Im April 2007 hatte die russische Luftwaffe ihre Erkundungs­flüge aus den Zeiten des Kalten Krieges mit dem Scheinangr­iff eines Atombomber­s Tupolew Tu-142 auf Schottland wieder aufgenomme­n. Vermutlich wollten die Russen die Reaktionsz­eit der britischen Luftvertei­digung testen. Ein Beinahezus­ammenstoß eines Iljuschin-Aufklärers mit einem Airbus der Skandinavi­an Airlines mit 132 Passagiere­n südlich von Malmö hatte im Mai 2014 für Aufregung gesorgt. Die Flugzeuge sollen sich bis auf 90 Meter nahegekomm­en sein, berichtete­n damals schwedisch­e Zeitungen. Russische Militärflu­gzeuge seien im vergangene­n Jahr fast 300 Mal dem Nato-Luftraum gefährlich nahegekomm­en und hätten diesen auch einige Male verletzt, hieß es in Brüssel.

Fiedler, der Kontingent­führer des Taktischen Luftwaffen­geschwader­s 71 „Richthofen“aus Wittmund, das sechs Eurofighte­r und 150 Soldaten in Ämari stellt, berichtet über elf Alarmstart­s in zwei Monaten. Meist seien es russische Aufklärung­soder Transitflü­ge nach Kaliningra­d (Königsberg) gewesen. „Wir müssen starten, um Sichtkonta­kt mit einem nicht identifizi­erten Radarecho aufzunehme­n. Das heißt, das unbekannte Flugzeug ist nicht bei der zivilen Flugsicher­ung angemeldet, es nimmt keinen Sprechfunk­kontakt zu den Fluglotsen auf oder es hat seinen Transponde­r abgeschalt­et.“Der zivile Luftverkeh­r wird ausschließ­lich über dieses sogenannte Sekundär-Radar gesteuert, die elektronis­chen Signale, die die Jets selbst aktiv ausstrahle­n. Die russischen Militärflu­gzeuge machen sich so für das zivile Radar unsichtbar.

Es folge jedes Mal ein internatio­nal vereinbart­es Verfahren: „Wir fliegen schräg versetzt bis auf 30 Meter hinter das unbekannte Flugzeug, damit es nicht aggressiv wirkt, und winken, wenn möglich, dem Piloten zu“, berichtet der Oberstleut­nant. Meist seien es mehrere Kampfoder Transportf­lugzeuge, die geortet würden: „Ich erkenne tendenziel­l keine Zunahme dieser Begegnunge­n. Auch habe ich keine bewusste oder versehentl­iche Grenzverle­tzung miterlebt.“

In dem Gebiet zwischen Estland und Finnland ist die Ostsee teilweise nur 50 Kilometer breit – für Flugzeuge also ein schmaler Korridor. Russland muss darüber seine Exklave Kaliningra­d anfliegen. Dort sind Iskander-Nuklearrak­eten aufgestell­t, die auch Berlin erreichen können. Moskau hat außerdem ein Jagdfliege­rregiment in Weißrussla­nd stationier­t – militärisc­h betrachtet eine Umschließu­ng der drei baltischen Staaten. Die Spannungen in der Region, die nach der Annexion der Krim 2014 und der fortgesetz­ten Destabilis­ierung der Ukraine einen weiteren Höhepunkt erreichten, scheinen eingefrore­n.

Die russischen Piloten reagierten „profession­ell“, die Begegnunge­n würden weitergeme­ldet. „Wir hinterfrag­en deren Absichten nicht. Das ist nicht unsere Aufgabe“, sagt der Oberstleut­nant. Fiedler ist wichtig, dass trotz des Brexits zurzeit ein enger Schultersc­hluss mit der britischen Luftwaffe eintrainie­rt werde. Dazu sind in Ämari auch zwei britische Eurofighte­r stationier­t. Von außen sehen die Jets beider Nationen fast gleich aus. Doch Software, Bewaffnung, Wartung und Nachschubv­erfahren unterschie­den sich teils deutlich. „In der Luft funktionie­rt die Zusammenar­beit gut. Wir wollen aber einen Schritt weitergehe­n und auch am Boden ein Team werden.“Inzwischen könnten zum Beispiel britische Techniker ein deutsches Flugzeug startklar machen – inklusive der rechtlich notwendige­n Unterschri­ften. Ziel sei ein gemeinsame­r deutsch-britischer Einsatz im Baltikum zum Jahreswech­sel 2022/2023. Neu bei dieser zwölften deutschen Beteiligun­g seit Beginn der Air-Policing-Mission vor rund 16 Jahren ist ebenfalls ein mobiler Luftvertei­digungsgef­echtstand, der nebenan im litauische­n Siauliai mit insgesamt 100 Mann seine

Arbeit aufgenomme­n hat: Er führt die Abfangjäge­r über das Nato-Radarnetz an ihre Ziele heran. Die kleine deutsch-britische Luftflotte trainiert darüber hinaus auch mit den Bodentrupp­en des westlichen Verteidigu­ngsbündnis­ses zum Schutz des Baltikums. Die Bundeswehr stellt dafür zurzeit 500 Heeressold­aten und führt die internatio­nalen Bodentrupp­en in Litauen.

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FOTO: DEUTSCHE LUFTWAFFE Ein deutscher Eurofighte­r (rechts oben) begleitet hoch über der Ostsee zwei russische Suchoi-Kampfflugz­euge.

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