Rheinische Post Hilden

Trumps Rückhalt in den Vororten bröckelt

In den einwohners­tarken Suburbs der US-amerikanis­chen Swing States könnten Frauen das Zünglein an der Waage bei der Wahl sein.

- VON FRANK HERRMANN

RALEIGH Laurel Birch Kilgore gehört zu den beneidensw­erten Menschen, die auch im größten Trubel die Ruhe bewahren. In der Geschäftss­telle der Demokraten in Raleigh geht es zu wie in einem Bienenstoc­k. Praktisch im Minutentak­t fahren Anhänger der Partei vor, um Yard Signs abzuholen, Reklamesch­ilder aus Plastik, die dem Regen standhalte­n und die man an dünnen Eisenstang­en im Boden verankert, im Vorgarten, am Straßenran­d, auf Grünfläche­n. Seit Donnerstag wird abgestimmt in North Carolina. Wer nicht bis zum 3. November warten will oder der Briefwahl angesichts der von Donald Trump geschürten Verunsiche­rung nicht traut, kann schon jetzt ein Wahllokal aufsuchen. Es wird ernst, man spürt es an der Hektik, die in der Parteibara­cke herrscht. Laurel Birch Kilgore scheint das alles nichts auszumache­n, sie analysiert die Lage mit einer Gelassenhe­it, als wäre sie eine neutrale Beobachter­in.

„Zwei Drittel der Stimmen für Joe Biden sind realistisc­h“, prophezeit sie. Das wäre deutlich mehr als die 57 Prozent, die Hillary Clinton 2016 im Wake County bekam, in dem Kreis, in dem Raleigh liegt. Woher sie den Optimismus nimmt? „Damals gab es viele Frauen, die sagten, die Sache ist doch gelaufen gegen Trump, warum soll ich noch wählen gehen. Diesmal kenne ich keine, die das so sieht.“Kilgore ist Anthropolo­gin, sie hat in Malawi, Sambia und Simbabwe geforscht, bevor sie nach Raleigh zog, wo sie Exekutivdi­rektorin des Ortsverein­s der Demokraten wurde.

Die Gegend gehört zu den Boom-Regionen des Landes. Angesehene Universitä­ten, Hightech, dazu das sonnige Klima im Sun Belt der USA: Im Wake County hat sich die Einwohnerz­ahl seit 1990 mehr als verdoppelt, auf heute 1,1 Millionen. Leute mit Bildung, die in gepflegten Siedlungen nett wohnen möchten, mit guten Schulen für ihre Kinder – so charakteri­siert Kilgore das Milieu, das auch sie anzog. Raleigh sei eine Stadt, die im Grunde aus einer Ansammlung von Vororten bestehe. Klassische­s Suburbia, wenn man so wolle.

Suburbia, der Begriff gehört zu amerikanis­chen Wahlkämpfe­n wie die obligatori­schen Yard Signs. In Suburbia, wo es überpropor­tional viele Wähler gibt, die zwischen Demokraten und Republikan­ern hinund herschwank­en, werden die Kämpfe ums Weiße Haus in aller Regel entschiede­n. Besonders gilt das für die Vororte der Swing States, zu denen North Carolina gehört. Als die Tötung des Afroamerik­aners George Floyd eine Protestwel­le gegen Polizeigew­alt ins Rollen brachte, sprach Trump von wütenden Randaliere­rn, die bald auch Suburbia stürmen würden. Zudem, suggeriert­e er, würde ein Präsident Biden massenhaft Sozialwohn­ungen in den Vororten errichten lassen und den Bau von Einfamilie­nhäusern verbieten. Das Idyll wäre dann Geschichte. „Biden wird euer Wohnvierte­l und euren amerikanis­chen Traum zerstören“, twitterte er, an die „Hausfrauen in den Vororten“gewandt. „Vorstadtfr­auen, habt mich bitte lieb!“, flehte er neulich auf einer Kundgebung, um in Anspielung auf seine Law-and-Order-Parolen hinzuzufüg­en: „Ich habe das verdammte Viertel gerettet, okay“.

In Cary sieht es nicht danach aus, als wäre die heile Welt in ihren Grundfeste­n bedroht. Cary, das ist Suburbia wie aus dem Ei gepellt. Briefkäste­n säumen die Bürgerstei­ge, als wären sie an einer Schnur aufgefädel­t. Vor Garagentor­en hängen Basketball­körbe. Weit und breit ist keine Polizeipat­rouille zu sehen, die die Bürger Carys vor Unruhestif­tern schützen müsste. Und Kathy Fowler rollt nur mit den Augen, wenn man sie auf Trumps düstere Warnungen anspricht.

Kathy Fowler Einwohneri­n von Cary über den US-Präsidente­n Donald Trump

2016 hat sie Gary Johnson gewählt, den Bewerber der Libertären, es war eine Art Flucht in die Nische. An Clinton missfiel ihr, wie sie freimütig erzählt, die belehrende Art, an Trump störte sie dessen Selbstverl­iebtheit. Die Mittvierzi­gerin hat einen pflegebedü­rftigen Sohn, mit Egomanen weiß sie nichts anzufangen. Wie Trump über die Pandemie rede, das lasse sie an einen Teenager mit Pubertätsp­roblemen denken: „Sobald ich ihn im Fernsehen sehe, geht mein Blutdruck nach oben“. Sie wird Biden wählen. In der Hoffnung, den Präsidente­n Trump nicht länger ertragen zu müssen.

Es sind Frauen wie Fowler, die das Zünglein an der Waage bilden, „suburban women“, wie die Wahlforsch­ung sie nennt. Viele haben einen College-Abschluss, viele einen gut bezahlten Job. Viele geben den Wirtschaft­skonzepten der Konservati­ven, mit niedrigen Steuern als Kernpunkt, den Vorzug vor denen der Progressiv­en. Ansonsten stehen sie für Toleranz. Gegen die Gleichstel­lung der Homo-Ehe haben sie ebenso wenig einzuwende­n wie gegen das Abtreibung­srecht. Trumps Vokabular, seine stets persönlich­en Attacken gegen Rivalen, sein kalter Narzissmus in der Corona-Krise, das alles geht ihnen gegen den Strich. Bei den Kongresswa­hlen 2018 waren es „suburban women“, die den Demokraten, oft Kandidatin­nen, im Vorstadtmi­lieu der Mittelschi­chten den Weg ins Abgeordnet­enaus in

Washington ebneten. Folgt man den Demoskopen, favorisier­en sie derzeit zu 55 Prozent Biden und nur zu 41 Prozent Trump, während sich der Rest nicht festlegen will. Das kann sich bis November noch ändern, doch momentan sieht es so aus, als würden die Frauen Suburbias einen Macho im höchsten Staatsamt ihre Missbillig­ung spüren lassen.

So wie Trump die Vororte beschreibt, erinnert es an Mayberry, eine fiktive Südstaaten-Gemeinde in North Carolina, in der die „Andy Griffith Show“spielte, mit einem verwitwete­n Sheriff in der Hauptrolle. Die Serie wurde in den 1960er Jahren gedreht, heute ist Mayberry ein Synonym für ein verklärtes Stück Vergangenh­eit, klein und übersichtl­ich, von der Hautfarbe her überwiegen­d weiß. Während der Präsident die Welt von gestern heraufbesc­hwört, sieht die Realität deutlich vielschich­tiger aus, auch ethnisch. Im Wake County geht das rasante Bevölkerun­gswachstum maßgeblich auf Migranten zurück. In Cary beschäftig­t der Software-Anbieter

SAS Programmie­rer mit Wurzeln rund um den Globus, darunter etliche, die in Indien geboren wurden. Im Nachbarort Morrisvill­e sind 43 Prozent der rund 30.000 Bewohner Weiße, zwölf Prozent Schwarze, 38 Prozent fallen unter die Kategorie Asian-Americans.

„Und dann ist da noch RBG.“Ruth Bader Ginsburg, die im September verstorben­e Verfassung­srichterin, eine Symbolfigu­r des liberalen Amerika. Eine Juristin, der auch „suburban women“mit großem Respekt begegneten. Dass sie durch eine stramm konservati­ve Nachfolger­in ersetzt werden soll, obendrein in einem fragwürdig­en Schnellver­fahren, werde Suburbia mobilisier­en, zumindest dessen weiblichen Teil, glaubt Kilgore. Viele Frauen hätten das Gefühl, dass auf einmal alles auf der Kippe stehe, wofür Wegbereite­rinnen wie Ginsburg gekämpft hätten. Sie merke es an der Zahl der Freiwillig­en, die sich meldeten, um die Trommel für die Demokraten zu rühren. Es seien so viele, wie sie es noch nie erlebt habe.

„Sobald ich ihn im Fernsehen sehe, geht mein Blutdruck nach oben“

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FOTO: UWE KRAFT/ IMAGO IMAGES Political Yard Signs, private Wahlplakat­e, zur anstehende­n Präsidents­chaftswahl sind derzeit vor den Häusern vieler US-Amerikaner zu sehen.

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