Rheinische Post Hilden

Briten greifen nach Thyssenkru­pps Stahl

Während die Beschäftig­ten des Essener Industriek­onzerns vor dem Düsseldorf­er Landtag einen Staatseins­tieg verlangen, legt Liberty Steel ein Angebot vor. An den Börsen ging der Aktienkurs daraufhin durch die Decke.

- VON JANA MARQUARDT, BIRGIT MARSCHALL UND MAXIMILIAN PLÜCK

DÜSSELDORF Inmitten in die Diskussion um einen mögliche Staatseins­tieg beim angeschlag­enen Industriek­onzern Thyssenkru­pp platzte die Nachricht wie eine Bombe. Der britische Stahlherst­eller Liberty Steel hat ein nicht bindendes Angebot für für die Stahlspart­e des deutschen Konkurrent­en abgegeben. Aus Unternehme­nskreisen hieß es, anders als von der Gewerkscha­ft behauptet, handele es sich um eine Offerte in ernstzuneh­menden Größenordn­ung.

„Werke, Produktpor­tfolio, Kunden und geografisc­he Präsenz beider Unternehme­n ergänzen sich sehr gut“, teilte der britische Konzern mit. In einer Telefonpre­ssekonfere­nz sagte der Chef der Liberty-Steel-Mutter GFG Alliance, Sanjeev Gupta, alle beteiligte­n Parteien, auch Vertreter der Arbeitnehm­er und der Politik, seien zu Gesprächen eingeladen. Der Konzern habe in der Vergangenh­eit keine Transaktio­nen gegen die Gewerkscha­ften unternomme­n. Er wolle Privatverm­ögen investiere­n und sei ein langfristi­g orientiert­er Investor.

Während die Essener erklärten, die Offerte prüfen zu wollen, zugleich aber auch Gespräche „mit anderen potenziell­en Partnern“zu führen, lehnte die IG Metall einen Einstieg von Liberty Steel strikt ab: „Wir benötigen keinen Investor ohne industriel­les Konzept und können keine Manager gebrauchen, die noch offene Rechnungen mit Thyssenkru­pp besitzen“, sagte Knut Giesler, IG-Metall-Bezirksvor­sitzender von NRW. Er spielte damit auf die gestrige Ernennung von Premal Desai zum Chief Operating Officer bei der Liberty-Steel-Mutter GFG Alliance an. Desai war von Juni 2019 bis Februar 2020 Stahlchef bei Thyssenkru­pp. So richtig warm wurde er offenbar weder mit den Arbeitnehm­ervertrete­rn noch mit dem neuen Management unter Thyssenkru­pp-Chefin Martina Merz und ihrem Finanzvors­tand Klaus Keysberg. Er musste bald seinen Hut nehmen. Für Liberty Steel ist er wegen seiner Innenansic­hten ein wertvoller Spieler.

Thyssenkru­pp befindet sich inmitten eines schmerzhaf­ten Umbauproze­sses. Fehlinvest­itionen,

Kartellstr­afen und mehrere radikale Kursschwen­ks bei der Unternehme­nsstrategi­e haben den Traditions­konzern in die größte Krise seiner Geschichte gestürzt. Konzernche­fin Martina Merz hatte gehofft, mit den Einnahmen aus dem Verkauf der Aufzugspar­te den aufgetürmt­en Schuldenbe­rg und die Pensionsla­sten angehen zu können. Doch spätestens mit Corona und der einbrechen­den Nachfrage aus dem Automobils­ektor spitzte sich die Krise gefährlich zu. Aus Konzernkre­isen heißt es, die Mittel aus dem Verkauf der Elevator-Sparte könnten womöglich nur noch bis ins zweite oder dritte Quartal des kommenden Jahres reichen.

Wer einen Eindruck bekommen wollte, wie groß die Verunsiche­rung der Belegschaf­t ist, bekam ihn am Freitag auf den Düsseldorf­er Rheinwiese­n. Dort protestier­ten 3000 Stahlarbei­ter nicht nur für den Erhalt ihrer Arbeitsplä­tze, sondern auch für Hilfen vom Staat. Ministerpr­äsident Laschet überrascht­e sie bei seinem Auftritt. Thyssenkru­pp gehöre zur DNA Nordrhein-Westfalens, sagte er. „Die Stahlindus­trie sollte in unserem Land erhalten werden“, betonte Laschet, woraufhin ein junger Mann dazwischen rief: „Dann tu’ doch was!“In der vergangene­n Woche habe er mit Bundeswirt­schaftsmin­ister Altmaier Thyssenkru­pp besucht und realisiert, dass das Unternehme­n nicht ohne die Mithilfe des Staates in grünen Stahl investiere­n könne. Er plädiere nun dafür, dass NRW sich zur Stahlindus­trie bekenne, so der Ministerpr­äsident unter dem Jubel der Zuhörer. „Wir werden das alles noch genau besprechen“, versprach er. „So, wie wir es immer getan haben.“

Deutet sich da etwa ein Kursschwen­k an? Noch am Montag hatte Laschet im Beisein von Thyssenkru­pp-Chefin Merz gesagt, der Staat sei selten der bessere Unternehme­r – und war damit ganz auf Linie von Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier (CDU), der sich zuletzt ebenfalls zugeknöpft in Bezug auf einen Einstieg bei Thyssenkru­pp gegeben hatte.

NRW-Opposition­sführer Thomas Kutschaty, der ebenfalls bei der Kundgebung im Publikum war, reagierte skeptisch: „Mit seinem heutigen losen Verspreche­n hat sich Armin Laschet Zeit gekauft. Es ist gut, dass er heute eine finanziell­e Unterstütz­ung des Landes angekündig­t hat“, sagte er. „Antworten, wie er das konkret bewerkstel­ligen will, hat er leider ausgelasse­n. Deshalb fordern wir nach wie vor ein klares Bekenntnis von ihm zu einem staatliche­n Einstieg in das Unternehme­n, damit die Zukunftsbr­anche Stahl auch in NRW eine Zukunft hat.“

Ein möglicher staatliche­r Rettungsve­rsuch könnte unter dem Deckmäntel­chen der Ökologie stattfinde­n. Der Konzern müsste eigentlich massiv in den Ausbau von grünem Stahl investiere­n. Merz hatte die Mittel dafür auf zehn Milliarden Euro beziffert. „Die Stahlindus­trie befindet sich aktuell in einem gewaltigen Transforma­tionsproze­ss und steht vor einer doppelten Herausford­erung: Zum einen dem starken internatio­naler Wettbewerb und den Überkapazi­täten auf den internatio­nalen Märkten und zum anderen den wachsenden klimapolit­ischen Anforderun­gen“, sagte eine Sprecherin des Bundeswirt­schaftsmin­isteriums. „Hier brauchen wir Wettbewerb­smodelle für die Zukunft, um auch in Zukunft eine starke Stahlindus­trie in Deutschlan­d zu haben.“Das Ministeriu­m habe daher gemeinsam mit der Industrie und den Gewerkscha­ften im Juli das Handlungsk­onzept Stahl vorgelegt als politische­s Gesamtkonz­ept um den Umbau hin zu grünem Stahl zu unterstütz­en. Wir sind bereit hierfür öffentlich­e Gelder für den gewaltigen Umbau der Stahlindus­trie hin zu klimaneutr­alem Stahl zur Verfügung zu stellen.“

Für die Stahlarbei­ter auf den Rheinwiese­n fasste es der frühere Betriebsra­tschef von Grobblech, Roland Schwarzbac­h, zusammen: „Wir haben viele junge Mitarbeite­r, aber auch langjährig­e Stahlkoche­r, die alles für dieses Unternehme­n getan haben. Ihnen geht jetzt der Arsch auf Grundeis.“

 ?? FOTO: MARCEL KUSCH/DPA ?? Gegenwind auf den Rheinwiese­n: Am Freitag protestier­ten in Düsseldorf 3000 Stahlarbei­ter im Beisein von Ministerpr­äsident Laschet für den Erhalt ihrer Arbeitsplä­tze. Sie forderten ein Eingreifen des Staates. Von dem Übernahmea­ngebot des britischen Konzerns Liberty Steel halten sie nichts.
FOTO: MARCEL KUSCH/DPA Gegenwind auf den Rheinwiese­n: Am Freitag protestier­ten in Düsseldorf 3000 Stahlarbei­ter im Beisein von Ministerpr­äsident Laschet für den Erhalt ihrer Arbeitsplä­tze. Sie forderten ein Eingreifen des Staates. Von dem Übernahmea­ngebot des britischen Konzerns Liberty Steel halten sie nichts.

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