Briten greifen nach Thyssenkrupps Stahl
Während die Beschäftigten des Essener Industriekonzerns vor dem Düsseldorfer Landtag einen Staatseinstieg verlangen, legt Liberty Steel ein Angebot vor. An den Börsen ging der Aktienkurs daraufhin durch die Decke.
DÜSSELDORF Inmitten in die Diskussion um einen mögliche Staatseinstieg beim angeschlagenen Industriekonzern Thyssenkrupp platzte die Nachricht wie eine Bombe. Der britische Stahlhersteller Liberty Steel hat ein nicht bindendes Angebot für für die Stahlsparte des deutschen Konkurrenten abgegeben. Aus Unternehmenskreisen hieß es, anders als von der Gewerkschaft behauptet, handele es sich um eine Offerte in ernstzunehmenden Größenordnung.
„Werke, Produktportfolio, Kunden und geografische Präsenz beider Unternehmen ergänzen sich sehr gut“, teilte der britische Konzern mit. In einer Telefonpressekonferenz sagte der Chef der Liberty-Steel-Mutter GFG Alliance, Sanjeev Gupta, alle beteiligten Parteien, auch Vertreter der Arbeitnehmer und der Politik, seien zu Gesprächen eingeladen. Der Konzern habe in der Vergangenheit keine Transaktionen gegen die Gewerkschaften unternommen. Er wolle Privatvermögen investieren und sei ein langfristig orientierter Investor.
Während die Essener erklärten, die Offerte prüfen zu wollen, zugleich aber auch Gespräche „mit anderen potenziellen Partnern“zu führen, lehnte die IG Metall einen Einstieg von Liberty Steel strikt ab: „Wir benötigen keinen Investor ohne industrielles Konzept und können keine Manager gebrauchen, die noch offene Rechnungen mit Thyssenkrupp besitzen“, sagte Knut Giesler, IG-Metall-Bezirksvorsitzender von NRW. Er spielte damit auf die gestrige Ernennung von Premal Desai zum Chief Operating Officer bei der Liberty-Steel-Mutter GFG Alliance an. Desai war von Juni 2019 bis Februar 2020 Stahlchef bei Thyssenkrupp. So richtig warm wurde er offenbar weder mit den Arbeitnehmervertretern noch mit dem neuen Management unter Thyssenkrupp-Chefin Martina Merz und ihrem Finanzvorstand Klaus Keysberg. Er musste bald seinen Hut nehmen. Für Liberty Steel ist er wegen seiner Innenansichten ein wertvoller Spieler.
Thyssenkrupp befindet sich inmitten eines schmerzhaften Umbauprozesses. Fehlinvestitionen,
Kartellstrafen und mehrere radikale Kursschwenks bei der Unternehmensstrategie haben den Traditionskonzern in die größte Krise seiner Geschichte gestürzt. Konzernchefin Martina Merz hatte gehofft, mit den Einnahmen aus dem Verkauf der Aufzugsparte den aufgetürmten Schuldenberg und die Pensionslasten angehen zu können. Doch spätestens mit Corona und der einbrechenden Nachfrage aus dem Automobilsektor spitzte sich die Krise gefährlich zu. Aus Konzernkreisen heißt es, die Mittel aus dem Verkauf der Elevator-Sparte könnten womöglich nur noch bis ins zweite oder dritte Quartal des kommenden Jahres reichen.
Wer einen Eindruck bekommen wollte, wie groß die Verunsicherung der Belegschaft ist, bekam ihn am Freitag auf den Düsseldorfer Rheinwiesen. Dort protestierten 3000 Stahlarbeiter nicht nur für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze, sondern auch für Hilfen vom Staat. Ministerpräsident Laschet überraschte sie bei seinem Auftritt. Thyssenkrupp gehöre zur DNA Nordrhein-Westfalens, sagte er. „Die Stahlindustrie sollte in unserem Land erhalten werden“, betonte Laschet, woraufhin ein junger Mann dazwischen rief: „Dann tu’ doch was!“In der vergangenen Woche habe er mit Bundeswirtschaftsminister Altmaier Thyssenkrupp besucht und realisiert, dass das Unternehmen nicht ohne die Mithilfe des Staates in grünen Stahl investieren könne. Er plädiere nun dafür, dass NRW sich zur Stahlindustrie bekenne, so der Ministerpräsident unter dem Jubel der Zuhörer. „Wir werden das alles noch genau besprechen“, versprach er. „So, wie wir es immer getan haben.“
Deutet sich da etwa ein Kursschwenk an? Noch am Montag hatte Laschet im Beisein von Thyssenkrupp-Chefin Merz gesagt, der Staat sei selten der bessere Unternehmer – und war damit ganz auf Linie von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU), der sich zuletzt ebenfalls zugeknöpft in Bezug auf einen Einstieg bei Thyssenkrupp gegeben hatte.
NRW-Oppositionsführer Thomas Kutschaty, der ebenfalls bei der Kundgebung im Publikum war, reagierte skeptisch: „Mit seinem heutigen losen Versprechen hat sich Armin Laschet Zeit gekauft. Es ist gut, dass er heute eine finanzielle Unterstützung des Landes angekündigt hat“, sagte er. „Antworten, wie er das konkret bewerkstelligen will, hat er leider ausgelassen. Deshalb fordern wir nach wie vor ein klares Bekenntnis von ihm zu einem staatlichen Einstieg in das Unternehmen, damit die Zukunftsbranche Stahl auch in NRW eine Zukunft hat.“
Ein möglicher staatlicher Rettungsversuch könnte unter dem Deckmäntelchen der Ökologie stattfinden. Der Konzern müsste eigentlich massiv in den Ausbau von grünem Stahl investieren. Merz hatte die Mittel dafür auf zehn Milliarden Euro beziffert. „Die Stahlindustrie befindet sich aktuell in einem gewaltigen Transformationsprozess und steht vor einer doppelten Herausforderung: Zum einen dem starken internationaler Wettbewerb und den Überkapazitäten auf den internationalen Märkten und zum anderen den wachsenden klimapolitischen Anforderungen“, sagte eine Sprecherin des Bundeswirtschaftsministeriums. „Hier brauchen wir Wettbewerbsmodelle für die Zukunft, um auch in Zukunft eine starke Stahlindustrie in Deutschland zu haben.“Das Ministerium habe daher gemeinsam mit der Industrie und den Gewerkschaften im Juli das Handlungskonzept Stahl vorgelegt als politisches Gesamtkonzept um den Umbau hin zu grünem Stahl zu unterstützen. Wir sind bereit hierfür öffentliche Gelder für den gewaltigen Umbau der Stahlindustrie hin zu klimaneutralem Stahl zur Verfügung zu stellen.“
Für die Stahlarbeiter auf den Rheinwiesen fasste es der frühere Betriebsratschef von Grobblech, Roland Schwarzbach, zusammen: „Wir haben viele junge Mitarbeiter, aber auch langjährige Stahlkocher, die alles für dieses Unternehmen getan haben. Ihnen geht jetzt der Arsch auf Grundeis.“