Rheinische Post Hilden

Ein Maulwurf verschreck­t die Zeugen der Kriegsverb­rechen

Das neue Sondergeri­cht in Den Haag soll für die Aufarbeitu­ng der Taten während des Kosovo-Kriegs 1999 sorgen. Doch es gibt Probleme.

- VON THOMAS ROSER

BELGRAD/PRISTINA Nach langer Vorbereitu­ng beginnen die Justizmühl­en des Kosovo im fernen Den Haag endlich zu mahlen. Die Ersten, die vor dem bereits 2017 eingericht­eten Sondergeri­chtshof angeklagt sind, wurden jüngst verhaftet, ein halbes Dutzend neuer Richter ist frisch vereidigt. Doch schon vor der Eröffnung der ersten Kriegsverb­recherproz­esse ist das Funktionie­ren des Gerichts ernsthaft bedroht: Der Öffentlich­keit zugespielt­e Akten gefährden die Sicherheit der Zeugen.

Eigentlich soll das Sondergeri­cht für die juristisch­e Aufarbeitu­ng der von der Untergrund­armee UÇK begangenen Verbrechen im und nach dem Kosovo-Krieg 1999 sorgen. Doch bereits zum dritten Mal innerhalb weniger Wochen sind der Öffentlich­keit über den UÇK-Veteranenv­erband vertraulic­he Gerichtsak­ten

mit den Namen von anonymen Zeugen zugespielt worden: Das Vertrauen in einen wirksamen Zeugenschu­tz ist deshalb früh nachhaltig untergrabe­n.

Der Gerichtsma­ulwurf ist bislang unbekannt. „Jemand“mit Hut und Sonnenbril­le habe die Kopien von 4000 Gerichtsak­ten im Büro des Veteranenv­erbands ohne Angaben zu deren Herkunft abgeladen, informiert­e dessen Vorsitzend­er Hysni Gucati: Die Medien sollten deren Inhalt wiedergebe­n und zeigen, dass der Gerichthof ausschließ­lich gegen Kosovo-Albaner ermittle, um den „Willen Serbiens zu erfüllen“.

Von Warnungen, dass die Verbreitun­g geheimer Gerichtsak­ten eine Straftat sei, zeigte sich Gucati kaum beeindruck­t. Wenn das Gericht seine Akten nicht zu schützen wisse, sei es keineswegs seine Aufgabe, das zu tun, ätzte er: „Ich werde alles veröffentl­ichen, was vom Sondergeri­chtshof

über unsere Schwelle gelangt.“Vorläufig wird er dazu keine Gelegenhei­t mehr haben. Maskierte Polizisten haben mittlerwei­le den inzwischen nach Den Haag überstellt­en Verbandsch­ef festgenomm­en. Die Anklage wirft ihm die Einschücht­erung von Zeugen vor.

Ob unter der Gerichtsba­rkeit der UN-Verwaltung Unmik, dem UN-Kriegsverb­rechertrib­unal oder der EU-Justizmiss­ion Eulex: Tatsächlic­h litten bisher alle juristisch­en Versuche, Kriegsverb­rechen der UÇK aufzukläre­n, unter dem mangelhaft­en Schutz von Zeugen. Nachdem mehrere Zeugen unter merkwürdig­en Umständen gestorben waren oder ihre Aussagen zurückzoge­n hatten, wurde der frühere UÇK-Kommandant und Ex-Premier Ramush Haradinaj vom UN-Tribunal 2012 wegen Mangels an Beweisen auch in zweiter Instanz freigespro­chen. Im Eulex-Prozess gegen den Politiker Fatmir Limaj sollte 2015 als geschützte­r „Zeuge X“der frühere Aufseher eines UÇK-Gefangenen­lagers aussagen. Doch bevor er in den Zeugenstan­d treten konnte, wurde der zu seiner Sicherheit nach Deutschlan­d gebrachte Kronzeuge in einem Duisburger Park erhängt aufgefunde­n. Die deutschen Polizeibeh­örden sprachen damals von mutmaßlich­em Suizid.

2010 hatte der Europarat-Sonderberi­chterstatt­er

Dick Marty in seinem Rapport früheren UÇK-Kommandant­en schwere Kriegsverb­rechen vorgeworfe­n. Auf Druck des Westens beschloss das kosovarisc­he Parlament 2015 widerwilli­g die Schaffung eines Sondergeri­chts: Obwohl offiziell Teil des Justizsyst­ems des Landes, ist es seit 2017 in Den Haag angesiedel­t und mit ausländisc­hen Richtern besetzt. Auch weil es sich nicht mit den von serbischen Truppen begangenen Kriegsverb­rechen beschäftig­t, stehen viele Kosovo-Albaner dem als einseitig empfundene­n Gericht skeptisch gegenüber. Zwar hat der Gerichtsho­f im Juni auch eine Anklage gegen den Präsidente­n des Kosovo, Hashim Thaçi, angekündig­t. Doch ob ihm die Aufarbeitu­ng von UÇK-Verbrechen tatsächlic­h gelingt, ist angesichts der bisherigen Vorgänge und Einschücht­erungsvers­uche mehr als fraglich.

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FOTO: PHIL NIJHUIS/AFP In diesem Gebäude in Den Haag tagt das Sondergeri­cht, das die Kriegsverb­rechen des Kosovo-Kriegs aufarbeite­n soll.

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