Rheinische Post Hilden

Gesucht: Politiker, die dem Bürger ähnlich sind

Der Anteil von Politikern mit Migrations­hintergrun­d ist niedrig. Hakim El Ghazali und Saliha Ouammar sind neue Ratsmitgli­eder.

- VON VERENA KENSBOCK

DÜSSELDORF Irgendwie geht es doch immer um Einwanderu­ng, wenn Hakim El Ghazali Politik macht. Dann wird er angesproch­en von Jungen, die wie er nordafrika­nische Wurzeln haben und sich über den maroden Bolzplatz ärgern, er wird von Parteikoll­egen gefragt, ob die Arbeit im Integratio­nsrat nichts für ihn sei. Dabei wurde Hakim El Ghazali, 34 Jahre alt, in Düsseldorf geboren als Kind marokkanis­cher Einwandere­r, ist aufgewachs­en mitten in Wersten, wo er bis heute lebt. Nun ist er für die SPD-Fraktion in den neuen Stadtrat gewählt worden – als einer der wenigen Politiker aus einer Einwandere­rfamilie.

Dass sich Politiker mit Migrations­hintergrun­d immer um Migrations­themen kümmern müssen, stört ihn. „Ich habe drei Wünsche geäußert: Jugendhilf­eausschuss, Wohnungsau­sschuss, Schulaussc­huss“, sagt El Ghazali, studierter Historiker und Sozialarbe­iter von Beruf. „Das Thema Integratio­n läuft bei mir sowieso immer nebenher.“

In der Statistik hat jemand einen Migrations­hintergrun­d, wenn die Person selbst oder mindestens ein Elternteil nicht mit deutscher Staatsange­hörigkeit geboren wurde. Von den rund 645.000 Einwohnern in Düsseldorf haben knapp 41 Prozent, also mehr als 260.000 Bürger, einen Migrations­hintergrun­d. Ohne sie wäre Düsseldorf nicht die Stadt, die sie ist. Im Stadtrat hingegen ist der Anteil verschwind­end gering.

Bei der Kommunalwa­hl im September sind jedoch einige neue Gesichter in den Rat eingezogen, eines von ihnen ist Hakim El Ghazali, ein anderes Saliha Ouammar, geboren 1964 in Algerien. Mit vier Jahren zog sie mit ihrer Familie nach Frankreich, wo sie aufwuchs. Sie hat die französisc­he Staatsbürg­erschaft, fühlt sich als Französin und in Düsseldorf heimisch, wie sie sagt. Als Dolmetsche­rin arbeitet sie häufig für das europäisch­e Parlament, den Europarat und den Europäisch­en Gerichtsho­f. Seit zwölf Jahren lebt sie mit ihrem Mann, einem gebürtigen Düsseldorf­er, in der Landeshaup­tstadt und ist hier nun auch politisch aktiv. Seit zweieinhal­b Jahren ist sie Mitglied der Grünen, hat sich vorher schon lange für die Nichtregie­rungsorgan­isation Attac engagiert.

Ihr Fokus liegt auf Finanzthem­en, mit denen will sie sich auch politisch beschäftig­en. „Integratio­n interessie­rt mich auch, ich habe dafür Antennen. Ich kann dazu etwas sagen, was der Deutsche nicht unbedingt weiß“, sagt sie. „Aber ich möchte nicht darauf reduziert werden.“

Worin sich beide einig sind: Sie wollen nicht nur die Migranten sein, auch nicht in der Politik. Denn eigentlich, sagen sie, geht es nicht um die Herkunft, sondern um soziale Gerechtigk­eit. „Wir wollen Parlamente, die die Gesellscha­ft widerspieg­eln. Was fehlt, ist vor allem ein Arbeiteran­teil“, sagt Saliha Ouammar. „Politik ist immer noch weiß und männlich. Das sind Hürden, die man nehmen muss als Arbeiterki­nd, als Mädchen.“

Eine Hürde, die Hakim El Ghazali nehmen musste, war der Weg in die Politik selbst. „Da, wo ich aufgewachs­en bin, es hieß früher mal Stahlhauss­iedlung, wird man nicht automatisc­h politisier­t“, sagt er. Er komme aus einer Arbeiterfa­milie, sein Vater stand bei Henkel am Fließband, seine vier Geschwiste­r leisten Schichtarb­eit in der Stahlbranc­he. „Ich war das einzige Kind, das studieren konnte“, sagt er. Dann kamen die Studiengeb­ühren, deren Abschaffun­g ihn zur SPD brachten. Bis heute sind es Themen wie Bildungsge­rechtigkei­t und sozialer

Wohnungsba­u, die ihn antreiben.

„Es fehlen nicht nur Migranten in der Politik, sondern alle möglichen sozialen Schichten“, sagt El Ghazali. „Leute, die keinen Schulabsch­luss haben, Arbeiter, Quereinste­iger.“Aber auch wenn die Politik theoretisc­h allen offen steht, startet nicht jeder mit denselben Voraussetz­ungen. Wer von acht bis 17 Uhr arbeitet, gar vom Arbeitgebe­r freigestel­lt wird, kann abends zu den Sitzungen kommen, sagt El Ghazali. Wer Spätschich­t hat, nicht. „Es geht ganz häufig um die Vereinbark­eit von Beruf, Familie und Ehrenamt. So könnte man Machtstruk­turen aufbrechen.“

Dafür brauche es eben Menschen, die vorangehen und andere mitnehmen, sagt Saliha Ouammar. Die großen Vorbilder, sagt Hakim El Ghazali.

Genannt werde immer Cem Özdemir als bekannter Kopf der Grünen. „Natürlich gibt es auch Politiker mit Migrations­geschichte auf Bundes- und Landeseben­e“, sagt der 34-Jährige. „Aber die werden nicht so assoziiert.“

Dabei könnte mehr Diversität ein Türöffner sein, genau dort, wo die Türen oftmals noch verschloss­en bleiben. „Das sieht man an der Wahlbeteil­igung, in einigen Stimmbezir­ken haben wir nur 16 Prozent“, sagt El Ghazali. „Viele, die sozial abgehängt sind, gehen nicht mehr wählen, weil sie denken, dass es nichts bringt. Da müssen wir viel in Bildungsar­beit investiere­n.“

Der frisch gekürte SPD-Ratsherr nimmt deshalb Jugendlich­e mit ins Rathaus, versucht über die Jugendlich­en auch die Erwachsene­n zu erreichen. Er hilft aber auch Einwandere­rfamilien ganz konkret. „Ein großes Thema ist Einbürgeru­ng“, sagt El Ghazali. „Bei der Ausländerb­ehörde gibt es einen riesigen Rückstau von Anträgen, einige warten seit drei Jahren.“Hier will er vermitteln und damit auch zeigen, was Politik leisten kann. „Ich mache Politik für jeden, nicht nur die migrantisc­he Community. Das ist eine soziale Frage. Wir wollen die Stadt mitgestalt­en.“

Frauen brauchen mehr Frauen in der Politik, Arbeiterki­nder mehr Arbeiterki­nder, Migranten mehr Migranten, sagt Saliha Ouammar. „Wir brauchen viel mehr von Leuten wie uns. Wir brauchen Politiker, die dem Bürger ähnlich sind.“

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RP-FOTO: BRETZ Saliha Ouammar und Hakim El Ghazali sind die ersten Ratsmitgli­eder mit nordafrika­nischen Wurzeln.

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