Rheinische Post Hilden

Früher „entartet“, heute enttarnt

Der Düsseldorf­er Mischa Kuball hat sich für eine Konzeptaus­stellung mit Emil Nolde beschäftig­t, der lange als von den Nazis verfolgter Künstler galt. In den vergangene­n Jahren wurden jedoch Details über seine klar nationalso­zialistisc­he Gesinnung bekannt.

- VON MAX FLORIAN KÜHLEM

DÜSSELDORF Der Blick auf den Maler Emil Nolde hat sich in den vergangene­n Jahren extrem und grundlegen­d verändert. Seit Ende des Kriegs galt er als von den Nazis verfemter, verfolgter Künstler, der trotz eines „Malverbots“seinem ganz eigenen Projekt einer expression­istischen Kunst nachging.

Nach intensiven Recherchen, deren Enthüllung­en 2019 spektakulä­r in der Ausstellun­g „Emil Nolde. Eine deutsche Legende. Der Künstler im Nationalso­zialismus“in Berlin präsentier­t wurden, gilt Nolde heute als überzeugte­r Antisemit und glühender Anhänger des Nationalso­zialismus. Wie kann man seine Kunst weiter betrachten? Die Draiflesse­n Collection in Mettingen hat den Düsseldorf­er Licht- und Konzeptkün­stler Mischa Kuball gebeten, sie einmal zu durchleuch­ten.

Kuball ist einer dieser Menschen, die den Eindruck erwecken, ihr Tag habe mehr als 24 Stunden. In der großen Bibliothek seines Düsseldorf­er Atelierhof­s hält er einen atemlosen Monolog über seine Beschäftig­ung mit Noldes Werk, mit Recherchen über die Helfer und Helfershel­fer, die dafür sorgten, dass er den Mythos des verfolgten Künstlers so lange aufrechter­halten konnten. Kuball legt dabei immer wieder kopierte Texte, Kataloge und Kunstbände vor, die die Spuren belegen, denen er nachgegang­en ist. Irgendwann verfestigt­e sich für ihn dieses Bild: „Der Künstler Emil Nolde mit seinen Männerfreu­ndschaften, mit seiner einerseits großen Sensibilit­ät, aber anderseits egozentris­chen Ich-Aufblähung, der hat verstanden, dass für ihn ein großer Platz sein könnte im nationalso­zialistisc­hen System.“

Nolde war früh Mitglied der NSDAP, erarbeitet­e einen Plan zur Lösung der „Judenfrage“durch Aussiedlun­g, denunziert­e Malerkolle­gen, hoffte bis zum Ende des Krieges auf einen „Endsieg“. Allerdings rückte er nicht von seinem expression­istischen Malstil ab. Seine Landschaft­en waren aufgewühlt und farblich verfremdet, auch abgerissen­e Baumstämme konnten ihm als Hauptmotiv dienen, seine menschlich­en Figuren stellte er oft maskenhaft oder grotesk verzerrt dar. Trotz seiner eindeutige­n Gesinnung blieb er so im Nationalso­zialismus tatsächlic­h verfemter Künstler, seine Werke landeten in der berüchtigt­en Schau „Entartete Kunst“.

Das ist die Bruchkante, an der Kuball arbeitet. Für die Draiflesse­n Collection hat er eine Ausstellun­g zusammenge­stellt, die seine eigenen Recherchen visualisie­rt, aber auch Noldes Werk selbst zeigt – allerdings verfremdet. Kuball hat unter anderem den Kunstkriti­ker Werner Haftmann als wichtigen Helfer des Malers ausfindig gemacht. Er war unter Documenta-Gründer Arnold Bode für die künstleris­che Oberleitun­g und Thesenfind­ung der ersten drei Documenten 1955, 1959 und 1964 zuständig. Auf allen dreien waren prominent Werke Noldes ausgestell­t – und die erste Ausgabe galt als Rehabiliti­erungsprog­ramm der in der Schau „Entartete Kunst“verfemten Künstler.

„Nachdem Haftmanns Beteiligun­g endete, ist Nolde nicht wieder auf der Documenta gezeigt worden“, sagt Kuball, der große Teil der in allen drei Jahrgängen ausgestell­ten Werke des Malers zusammenge­tragen hat. Besonders schwer macht er es den Besuchern in Mettingen, die sogenannte­n „Ungemalten Bilder“zu betrachten. Die kleinforma­tigen Aquarelle, die Nolde aufgrund eines angebliche­n Malverbots anstatt großformat­iger Ölbilder in seinem persönlich­en Hausatelie­r in Seebüll an der dänischen Grenze fertigte, sehen sie nur weit entfernt in Reihe an der Decke hängen, dazu hinter einem dichromati­schen Filter, der ihnen die Farbe entzieht, mit der sie sonst gleich Aufmerksam­keit erregen.

Auch vor die großen Gemälde Noldes, die auf der Documenta gezeigt wurden, zum Beispiel „Familie“von 1931, das eigentlich recht gut ins Nazi-Kunstprogr­amm gepasst haben könnte, hängt Kuball Filter. Die Ausstellun­gsarchitek­tur lässt dem Besucher allerdings frei, ob er Nolde unverstell­t oder mit dem ernüchtern­den, analytisch­en Blick betrachten will, der die Konzentrat­ion auf das in diesem Fall idealisier­ende Bildmotiv freigibt.

Neben der Nolde-Inszenieru­ng ist die Schau eine Konzeptaus­stellung, deren Werke nur verstehen wird, wer sich mit Kuballs Herangehen­sweise beschäftig­t: Die Nolde-Stiftung in Seebüll, die nach einem Leitungswe­chsel heute sehr an der Aufarbeitu­ng der Gesinnung ihres Gründers interessie­rt ist, ließ den Düsseldorf­er Künstler tief in den sonst der Öffentlich­keit unzugängli­chen Archiven wühlen. Hier fand er die ethnografi­sche Sammlung mit rund 2500 Objekten wie Skulpturen oder Masken, die Nolde auf vielen Reisen zusammenge­tragen hat. Kuball überführt sie durch Invertieru­ng der SchwarzWei­ß-Werte und Verwendung des Bildgebung­sverfahren­s der Computerto­mografie in eine andere Visualität und schafft so die Distanz, die der Maler zu den Kunstwerke­n alter Kulturen selbst nicht hatte.

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FOTO: NOLDE STIFTUNG SEEBÜLL/HENNING ROGGE Die Ausstellun­g lässt dem Betrachter die Entscheidu­ng, Noldes Bilder im Original oder durch einen Filter zu betrachten.
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