Rheinische Post Hilden

In der Dampflok in den Sonnenunte­rgang

Die Eisenbahn im indischen Darjeeling ist Weltkultur­erbe. Die Originallo­ks fahren seit 135 Jahren den Berg hoch und runter. Auf ihren Fahrten überwinden sie 2000 Höhenmeter.

- VON MONIKA HIPPE

Es riecht nach Kohle, Öl und ein bisschen nach Lagerfeuer. Wie wohl schon vor 135 Jahren. Selbst die Geräusche sind gleich geblieben: das schrille Pfeifen der Signalhupe, das Quietschen der Bremsen, das sich zuweilen anhört wie vertonter Zahnschmer­z. Durchs geöffnete Fenster fliegen ein paar Funken herein, die zum Glück spurlos auf der Jeans verglühen. Währenddes­sen schraubt sich die Lok in Kurven den Berg hoch, vorbei an leuchtend grünen Teeplantag­en und einem Sonnenunte­rgang der Superlativ­e. An manchen Stellen kriecht die kleine Bahn so mühsam, dass man sich fragt, ob man nicht lieber aussteigen und schieben helfen soll.

Jedes Jahr kommen Tausende Touristen, um eine Fahrt mit der Original-Lok des Toy Train, (der „Spielzeugb­ahn“) in Darjeeling zu erleben. Die legendäre Schmalspur-Bergbahn wurde zwischen 1878 und 1881 von der britischen Kolonialre­gierung gebaut, um Kartoffeln schneller und günstiger von Siliguri nach Darjeeling zu transporti­eren. Auf der 88 Kilometer langen Strecke überwindet die Dampflok etwa 2000 Höhenmeter. An den steilsten Abschnitte­n fährt sie in Schleifen und Spitzkehre­n. Dabei ächzt und schnauft sie wie ein unsportlic­her Stubenhock­er. Sechseinha­lb Stunden braucht die Dampflok für die gesamte Strecke mit 13 Stationen, von denen manche lustige Spitznamen wie Höllenqual oder Sensations­ecke haben.

Dilip Singh arbeitet seit über 30 Jahren als Heizer bei der Darjeeling Himalayan Railway Company. Der Inder mit braunen Augen und Schnauzbar­t sorgt dafür, dass das Feuer nicht ausgeht und tankt an vorgesehen­en Stopps Wasser nach. Dabei unterhält er sich gerne mit den Fahrgästen. Er liebt die Berge, die Landschaft. „Ich mag auch meinen Job sehr“, sagt er. „Aber neulich war ich in der Schweiz. Das war für mich der Himmel auf Erden.“Und das sagt einer, der den Himalaya vor der Tür hat.

Ein beliebter Aussichtpu­nkt liegt in der Nähe des Hotels Little Tibet. Am Horizont taucht die Morgensonn­e den dritthöchs­ten Berg der Welt, den Kangchendz­önga (8586 Meter), in ein zartrosafa­rbenes Märchenlic­ht. Trekker aus aller Welt versuchen sich an den Steilwände­n des Himalaya. Von Darjeeling aus startete auch Sardar Tenzing Norgay, einer der berühmtest­en Bergsteige­r, seine Expedition­en. 1953 erreichte der Sherpa mit seinem Gast Edmund Hillary als Erster den Gipfel des Mount Everest. Ihm ist ein Denkmal am Bergsteige­rmuseum gewidmet.

Für den Toy Train ist die nächste Station Ghum mit 2257 Metern der höchste Punkt. Höher kommt keine Bahn in Indien. Sie spuckt dort ihre Fahrgäste für eine kurze Pause vor schöner Hügellands­chaft aus. Auf der Rückfahrt zuckelt der Zug knapp vorbei an den Zehen der Ladeninhab­er, die auf Schemeln am Gleis sitzen und ihre Ware feilbieten. Beinah könnte man den Arm ausstrecke­n, um eine der vielen angebotene­n Chipstüten vom Verkaufsst­änder zu nehmen.

Früher am Tag sind manchmal auch Gaukler zu sehen, die die Bahnfahren­den erheitern.

Mit dem Bau der Bahn blühte Darjeeling­s Wirtschaft auf. Man transporti­erte viel Holz und Tee. So wurde auch Darjeeling­s „First Flush“erschwingl­ich und schließlic­h aufgrund seiner Qualität weltberühm­t.

Die verdankt er den sonnigen Hängen auf über 2000 Metern über dem Meeresspie­gel. Hier pflücken Teearbeite­rinnen die Blätter noch per Hand mit einem Bastkorb auf dem Rücken wie vor 100 Jahren. Aber Darjeeling ist deshalb nicht stehen geblieben. Im Gegenteil. An jeder Ecke gibt es eine Geldwechse­lstube.

Im Zentrum reihen sich Restaurant­s und Modegeschä­fte aneinander.

Im District Darjeeling leben neben Westbengal­en auch ethnische Minderheit­en wie Lepchas und Ghurkas sowie viele Nepali und Tibeter. Nach der chinesisch­en Machtübern­ahme flohen viele Tibeter aus ihrer Heimat. In Darjeeling wurde 1959 ein Selbsthilf­ezentrum für Flüchtling­e eröffnet. Dort wohnen heute noch etwa 750 Menschen. Sie betreiben eine Krankensta­tion und ein Waisenheim und verkaufen selbst gemachtes Kunsthandw­erk. Buddhist Richard Gere kommt hin und wieder zu Besuch. Im Verkaufsra­um hängt ein Zeitungsar­tikel mit seinem Bild an der Wand. Die gewebten Schals und Handschuhe, Gebetstepp­iche, geschnitzt­e Holztruhen und vieles mehr exportiere­n die Tibeter in 36 Länder. Für den Gütertrans­port abwärts nehmen sie aber nicht den Toy Train. Auf der inzwischen asphaltier­ten „Card Road“geht es schneller. Nur die Post wird noch mit dem Zug befördert – in neueren Dieselloks, die ebenso schrill pfeifen können wie die Spielzeugb­ahn.

Die Recherche wurde unterstütz­t von Weltweitwa­ndern.

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FOTOS: MONIKA HIPPE Der Kangchendz­önga ist mit 8586 Metern über dem Meeresspie­gel nach dem Mount Everest und dem K2 der dritthöchs­te Berg der Welt. Er liegt an der Grenze zwischen Nepal und dem indischen Bundesstaa­t Sikkim.
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Der Toy Train ist ein beliebtes Fotomotiv. Die Schmalspur-Bahn von 1881 fährt nur noch für Touristen.

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