Mein Arzt, der Corona-Leugner
Während die Infektionszahlen in Deutschland rapide ansteigen, verbreiten einzelne Mediziner gefährliche Verschwörungen. Unter ihnen sind auch Ärzte aus Nordrhein-Westfalen, die Teil bundesweiter Netzwerke sind.
DÜSSELDORF Eine Ärztin aus dem Ruhrgebiet sagt am Telefon, das Coronavirus sei eine ganz normale Grippewelle, und zwar eine durchschnittliche. Beim ersten Anruf hatte sie noch gezögert. Ob sie zu einem Gespräch bereit sei. Es hänge davon ab, wie man berichte. Am Ende spricht sie doch erstaunlich offen über ihre Ansichten. Unter anderem darüber, dass die Corona-Maßnahmen einen politischen Grund hätten. Welchen genau? Das könne sie nicht sagen.
Am Essener Bahnhof zeigt vor wenigen Tagen ein Mann ein Attest, welches ihn von der Maskenpflicht befreien soll. Die Polizei leitet ein Strafverfahren gegen ihn ein. Der aus Österreich stammende Arzt, der das Attest herausgegeben hat, steht seit ein paar Wochen unter Berufsverbot. In Düsseldorf und Hückeswagen werden Flyer verteilt, auf denen das Tragen einer Maske als sinnlose und gesundheitsschädigende Maßnahme dargestellt wird, darunter der Name eines Arztes aus Baden-Württemberg.
Diese Fälle eint eines: Sie handeln von Ärzten, die ihren beruflichen Status missbrauchen, um eine gefährliche Haltung legitim erscheinen zu lassen. Das Coronavirus sei keine große Bedrohung, die Infektionszahlen nicht real, die Maskenpflicht Unsinn. Wie viele Mediziner es in NRW gibt, die solche Meinungen
vertreten, ist schwer zu sagen. Fragt man die Ärztekammer Nordrhein, sagt eine Sprecherin, dass die Zahl der aktuellen Fälle im kleinen Promillebereich liege, 14 Fälle seien bislang bekannt. Die Ärztekammer Nordrhein vertritt insgesamt 60.000 Ärzte. 14 Fälle klingen erst nicht viel. Ein massives Problem mit Ärzten, die Corona leugnen, gebe es nicht, sagt eine Sprecherin. Sie sagt aber auch: „Wir kriegen diese Fälle meistens per Zufall mit.“Etwa, wenn eine Schule sich meldet und auf Gefälligkeitsatteste hinweist. „Wir bekommen nur das mit, was an die Oberfläche kommt.“
Unter der Oberfläche brodelt es. Es gibt zum Beispiel den Verein „Mediziner und Wissenschaftler für Gesundheit, Freiheit und Demokratie“(MWGFD). Seine Vertreter schalten Anzeigen in Zeitungen, in denen Sätze stehen wie: „Gute Nachricht: Unser Immunsystem wird mit Viren zumeist allein fertig!“Die Mitglieder riefen schon vor Monaten Ärzte dazu auf, „möglichst viele Menschen von der komplett unsinnigen Maskenpflicht“zu befreien. Jüngst wurden Flyer mit ähnlichem Inhalt unter anderem in Hückeswagen und Düsseldorf verteilt. Sie trugen den Namen eines MWGFD-Gründungsmitglieds, Bodo Schiffmann. Das Netzwerk hat mittlerweile sogar seine eigene Fernsehshow bei dem österreichischen Sender Servus TV. Der Sender steht deswegen stark in der Kritik. Nach eigenen Angaben
hat MWGFD in Deutschland fast 14.000 Unterstützer.
Ein weiteres Netzwerk heißt „Ärzte für Aufklärung“, die Gründer sind drei Ärzte aus Hamburg. 2000 Unterstützer soll die Initiative haben, darunter viele Mediziner. Die Ärztin aus dem Ruhrgebiet ist eine von ihnen. Man findet ihren Namen auf der Webseite des Netzwerks, so wie die Namen anderer Mediziner – aus Bonn, Düsseldorf, Essen oder Köln.
Sprecherin Ärztekammer Nordrhein
Einer dieser Ärzte will nicht mit einem Journalisten über seine Unterstützung der Initiative sprechen. Seine Frau lässt ausrichten, er sei sehr beschäftigt. Die Ärztin aus dem Ruhrgebiet spricht, möchte aber anonym bleiben.
Am Telefon sagt sie, dass sie sich nicht erklären kann, warum der Staat überhaupt Maßnahmen zum Schutz gegen Corona verordne. „Die Maske ist restlos unsinnig und schadet dem Träger“, sagt sie. Sie führe zu Karies, Pfeifen im Ohr, Augenentzündungen, körperlicher Schwäche, bis hin zum Bewusstseinsverlust. Die Ärztin selbst trägt keine Maske, sie sei schwer erkrankt und müsse das nicht. Im Gespräch fällt mehrfach der Name Bodo Schiffmann
– jener Arzt, der MWGFD mitgründete. „Skeptiker“wie sie und Schiffmann, glaubt die Ärztin, werden systematisch zum Schweigen gebracht. Dabei sind die krudesten Theorien online zu finden, verbreitet unter anderem von dem Netzwerk, das sie selbst unterstützt.
Die „Ärzte für Aufklärung“waren es, die jüngst im Berliner Bezirk Neukölln Flyer verteilten, auf denen die Corona-Pandemie als „Fake“dargestellt wird. Auf dem Flyer ist ein kleines Mädchen zu sehen, das ihr Gesicht mit der Hand verdeckt, während es eine Spritze in den Oberarm bekommt. „Zwang für Impfung droht“, steht darüber, darunter Sätze wie: „Wenn auch nur 0,1 Prozent an dieser Impfung versterben…, dann haben wir 80.000 Tote, das ist das Auslöschen einer Stadt wie Konstanz.“Die Inhalte werden weit über den Berliner Bezirk hinaus geteilt. Etwa auch beim Messenger-Dienst Telegram, in einer Gruppe für Eltern aus NRW mit mehreren Hundert Nutzern.
Dort werden neben dem Flyer regelmäßig Verschwörungserzählungen über das Coronavirus geteilt. Per Privatnachricht tauscht man sich über gleichgesinnte Ärzte aus, auch das Video der baden-württembergischen Neurologin wird geteilt. Das Tragen der Maske sei Körperverletzung, schreibt ein Nutzer. „Kennt jemand einen Arzt, der etwas ‚leichter’ die Maskenbefreiung ausstellt (ohne gravierenden Grund)?“, fragt ein anderer. In der Gruppe wird ein Blankoattest zum Download bereitgestellt, unterschrieben von einem Wiener Ingenieur und einem Kinderarzt aus NRW.
Die Ärztekammern Nordrhein und Westfalen-Lippe, die für NRW zuständig sind, finden klare Worte für Ärzte, die Corona leugnen. Sie haben aber einen begrenzten Handlungsspielraum bei den diffusen Netzwerken, die ihre Botschaften über Bundes- und Ländergrenzen hinweg verbreiten. Wenn Mediziner Hygienestandards wie das Tragen von Mund-Nasen-Schutz oder die aktuellen Abstandsregeln missachteten, verletze das die Vorsorgepflicht, sagt die Sprecherin der Ärztekammer Nordrhein. Bekommt die Berufsvertretung das mit, schreibt sie die Mediziner an und weist auf die Berufsordnung hin. Darauf kann eine Rüge folgen. Im schlimmsten Fall mit Geldstrafe, dazu sei es aber noch in keinem Fall gekommen, heißt es übereinstimmend von beiden Ärztekammern in NRW.
Die meisten Ärzte würden sich nämlich einsichtig zeigen, heißt es. Zumindest scheinbar. Die Mediziner löschen etwa das Angebot für Gefälligkeitsatteste von ihrer Webseite. „Aber wahrscheinlich behalten sie trotzdem ihre Meinung“, sagt ein Sprecher der Ärztekammer Nordrhein-Lippe. Dass man die Ärzte wirklich überzeugen kann, glaubt er nicht. Die Ansichten bleiben unter der Oberfläche.
„Wir kriegen diese Fälle meistens per Zufall mit“