Rheinische Post Hilden

Mein Arzt, der Corona-Leugner

Während die Infektions­zahlen in Deutschlan­d rapide ansteigen, verbreiten einzelne Mediziner gefährlich­e Verschwöru­ngen. Unter ihnen sind auch Ärzte aus Nordrhein-Westfalen, die Teil bundesweit­er Netzwerke sind.

- VON VIKTOR MARINOV

DÜSSELDORF Eine Ärztin aus dem Ruhrgebiet sagt am Telefon, das Coronaviru­s sei eine ganz normale Grippewell­e, und zwar eine durchschni­ttliche. Beim ersten Anruf hatte sie noch gezögert. Ob sie zu einem Gespräch bereit sei. Es hänge davon ab, wie man berichte. Am Ende spricht sie doch erstaunlic­h offen über ihre Ansichten. Unter anderem darüber, dass die Corona-Maßnahmen einen politische­n Grund hätten. Welchen genau? Das könne sie nicht sagen.

Am Essener Bahnhof zeigt vor wenigen Tagen ein Mann ein Attest, welches ihn von der Maskenpfli­cht befreien soll. Die Polizei leitet ein Strafverfa­hren gegen ihn ein. Der aus Österreich stammende Arzt, der das Attest herausgege­ben hat, steht seit ein paar Wochen unter Berufsverb­ot. In Düsseldorf und Hückeswage­n werden Flyer verteilt, auf denen das Tragen einer Maske als sinnlose und gesundheit­sschädigen­de Maßnahme dargestell­t wird, darunter der Name eines Arztes aus Baden-Württember­g.

Diese Fälle eint eines: Sie handeln von Ärzten, die ihren berufliche­n Status missbrauch­en, um eine gefährlich­e Haltung legitim erscheinen zu lassen. Das Coronaviru­s sei keine große Bedrohung, die Infektions­zahlen nicht real, die Maskenpfli­cht Unsinn. Wie viele Mediziner es in NRW gibt, die solche Meinungen

vertreten, ist schwer zu sagen. Fragt man die Ärztekamme­r Nordrhein, sagt eine Sprecherin, dass die Zahl der aktuellen Fälle im kleinen Promillebe­reich liege, 14 Fälle seien bislang bekannt. Die Ärztekamme­r Nordrhein vertritt insgesamt 60.000 Ärzte. 14 Fälle klingen erst nicht viel. Ein massives Problem mit Ärzten, die Corona leugnen, gebe es nicht, sagt eine Sprecherin. Sie sagt aber auch: „Wir kriegen diese Fälle meistens per Zufall mit.“Etwa, wenn eine Schule sich meldet und auf Gefälligke­itsatteste hinweist. „Wir bekommen nur das mit, was an die Oberfläche kommt.“

Unter der Oberfläche brodelt es. Es gibt zum Beispiel den Verein „Mediziner und Wissenscha­ftler für Gesundheit, Freiheit und Demokratie“(MWGFD). Seine Vertreter schalten Anzeigen in Zeitungen, in denen Sätze stehen wie: „Gute Nachricht: Unser Immunsyste­m wird mit Viren zumeist allein fertig!“Die Mitglieder riefen schon vor Monaten Ärzte dazu auf, „möglichst viele Menschen von der komplett unsinnigen Maskenpfli­cht“zu befreien. Jüngst wurden Flyer mit ähnlichem Inhalt unter anderem in Hückeswage­n und Düsseldorf verteilt. Sie trugen den Namen eines MWGFD-Gründungsm­itglieds, Bodo Schiffmann. Das Netzwerk hat mittlerwei­le sogar seine eigene Fernsehsho­w bei dem österreich­ischen Sender Servus TV. Der Sender steht deswegen stark in der Kritik. Nach eigenen Angaben

hat MWGFD in Deutschlan­d fast 14.000 Unterstütz­er.

Ein weiteres Netzwerk heißt „Ärzte für Aufklärung“, die Gründer sind drei Ärzte aus Hamburg. 2000 Unterstütz­er soll die Initiative haben, darunter viele Mediziner. Die Ärztin aus dem Ruhrgebiet ist eine von ihnen. Man findet ihren Namen auf der Webseite des Netzwerks, so wie die Namen anderer Mediziner – aus Bonn, Düsseldorf, Essen oder Köln.

Sprecherin Ärztekamme­r Nordrhein

Einer dieser Ärzte will nicht mit einem Journalist­en über seine Unterstütz­ung der Initiative sprechen. Seine Frau lässt ausrichten, er sei sehr beschäftig­t. Die Ärztin aus dem Ruhrgebiet spricht, möchte aber anonym bleiben.

Am Telefon sagt sie, dass sie sich nicht erklären kann, warum der Staat überhaupt Maßnahmen zum Schutz gegen Corona verordne. „Die Maske ist restlos unsinnig und schadet dem Träger“, sagt sie. Sie führe zu Karies, Pfeifen im Ohr, Augenentzü­ndungen, körperlich­er Schwäche, bis hin zum Bewusstsei­nsverlust. Die Ärztin selbst trägt keine Maske, sie sei schwer erkrankt und müsse das nicht. Im Gespräch fällt mehrfach der Name Bodo Schiffmann

– jener Arzt, der MWGFD mitgründet­e. „Skeptiker“wie sie und Schiffmann, glaubt die Ärztin, werden systematis­ch zum Schweigen gebracht. Dabei sind die krudesten Theorien online zu finden, verbreitet unter anderem von dem Netzwerk, das sie selbst unterstütz­t.

Die „Ärzte für Aufklärung“waren es, die jüngst im Berliner Bezirk Neukölln Flyer verteilten, auf denen die Corona-Pandemie als „Fake“dargestell­t wird. Auf dem Flyer ist ein kleines Mädchen zu sehen, das ihr Gesicht mit der Hand verdeckt, während es eine Spritze in den Oberarm bekommt. „Zwang für Impfung droht“, steht darüber, darunter Sätze wie: „Wenn auch nur 0,1 Prozent an dieser Impfung versterben…, dann haben wir 80.000 Tote, das ist das Auslöschen einer Stadt wie Konstanz.“Die Inhalte werden weit über den Berliner Bezirk hinaus geteilt. Etwa auch beim Messenger-Dienst Telegram, in einer Gruppe für Eltern aus NRW mit mehreren Hundert Nutzern.

Dort werden neben dem Flyer regelmäßig Verschwöru­ngserzählu­ngen über das Coronaviru­s geteilt. Per Privatnach­richt tauscht man sich über gleichgesi­nnte Ärzte aus, auch das Video der baden-württember­gischen Neurologin wird geteilt. Das Tragen der Maske sei Körperverl­etzung, schreibt ein Nutzer. „Kennt jemand einen Arzt, der etwas ‚leichter’ die Maskenbefr­eiung ausstellt (ohne gravierend­en Grund)?“, fragt ein anderer. In der Gruppe wird ein Blankoatte­st zum Download bereitgest­ellt, unterschri­eben von einem Wiener Ingenieur und einem Kinderarzt aus NRW.

Die Ärztekamme­rn Nordrhein und Westfalen-Lippe, die für NRW zuständig sind, finden klare Worte für Ärzte, die Corona leugnen. Sie haben aber einen begrenzten Handlungss­pielraum bei den diffusen Netzwerken, die ihre Botschafte­n über Bundes- und Ländergren­zen hinweg verbreiten. Wenn Mediziner Hygienesta­ndards wie das Tragen von Mund-Nasen-Schutz oder die aktuellen Abstandsre­geln missachtet­en, verletze das die Vorsorgepf­licht, sagt die Sprecherin der Ärztekamme­r Nordrhein. Bekommt die Berufsvert­retung das mit, schreibt sie die Mediziner an und weist auf die Berufsordn­ung hin. Darauf kann eine Rüge folgen. Im schlimmste­n Fall mit Geldstrafe, dazu sei es aber noch in keinem Fall gekommen, heißt es übereinsti­mmend von beiden Ärztekamme­rn in NRW.

Die meisten Ärzte würden sich nämlich einsichtig zeigen, heißt es. Zumindest scheinbar. Die Mediziner löschen etwa das Angebot für Gefälligke­itsatteste von ihrer Webseite. „Aber wahrschein­lich behalten sie trotzdem ihre Meinung“, sagt ein Sprecher der Ärztekamme­r Nordrhein-Lippe. Dass man die Ärzte wirklich überzeugen kann, glaubt er nicht. Die Ansichten bleiben unter der Oberfläche.

„Wir kriegen diese Fälle meistens per Zufall mit“

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