Neues Hoffen auf die Deutsche Stahl AG
Mit dem Rückzug des Salzgitter-Chefs tritt der schärfste Gegner einer Fusion mit Thyssenkrupp ab. Ein neues Szenario.
DUISBURG/ESSEN Für die Belegschaft des angeschlagenen Stahlkonzerns Thyssenkrupp Steel geht die Achterbahnfahrt weiter. Am Freitag hatte sie das Übernahmeangebot des britischen Konkurrenten Liberty Steel kalt erwischt. Am Wochenende folgte eine Nachricht, die ihnen wieder Hoffnung macht: Salzgitter, der zweitgrößte deutsche Stahlkonzern, kündigte den Abgang seines langjährigen Vorstandschefs Heinz Jörg Fuhrmann an. Fuhrmann war der erbittertste Gegner einer Deutschen Stahl AG, für die die IG Metall seit Langem kämpft. Durch seinen Rückzug zum 30. Juni 2021 geht die Tür für eine deutsche Stahl-Fusion wieder auf.
Fuhrmann vollende 2021 sein 65. Lebensjahr und trete planmäßig in den Ruhestand, teilte Salzgitter mit. Zum Nachfolger habe der Aufsichtsrat den Leiter der Windenergiesparte des Energiekonzerns Vattenfall, Gunnar Groebler, berufen. Die Stahlbranche leidet unter weltweiten Überkapazitäten und ist durch die Corona-Krise noch tiefer in die Krise gerutscht. Thyssenkrupp hat in den ersten drei Quartalen einen Verlust von 1,1 Milliarden Euro angehäuft. In eine Fusion würde Thyssenkrupp Steel 27.000 Mitarbeiter einbringen, Salzgitter 25.000. Salzgitter ist mit einem Konzernverlust von 145 Millionen Euro im ersten Halbjahr 2020 noch glimpflich davongekommen. Großaktionär ist Niedersachsen.
Die IG Metall trommelt seit Monaten für eine Deutsche Stahl AG, in die womöglich auch die halbstaatliche Saarstahl aufgehen könnte. Dann könne auch die Umstellung der Branche auf grünen Stahl leichter durch den Staat unterstützt werden, argumentiert die Gewerkschaft.
Auch für die Politik böte die Deutsche Stahl AG eine Perspektive: Auf der Demonstration der Stahlkocher am Freitag hatte NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) zwar nicht den von der Belegschaft erhofften Einstieg des Landes in den Stahlkonzern versprochen. Da sitzen Laschet die eigenen Wirtschaftspolitiker
und der Koalitionspartner FDP im Nacken. Aber er und Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) hatten vor Wochen in Duisburg öffentlich Unterstützung für den Umbau der Branche auf grünen Stahl in Aussicht gestellt. Thyssenkrupp-Chefin Martina Merz hat stets erklärt, man werde alle Optionen
prüfen. Das gilt auch für das überraschende Angebot des britischen Stahlunternehmens Liberty Steel, das bislang im großen Stahl-Monopoly noch keine Rolle gespielt hat. Hinter dem Coup soll laut Branchenkreisen Premal Desai stecken, der bis Februar 2020 StahlChef bei Thyssenkrupp war und dann zur Muttergesellschaft von Liberty Steel gewechselt ist. Desai glaubt zu wissen, wie man das Stahlgeschäft durch Aufspaltungen und Fusionen wieder wettbewerbsfähig macht. Liberty Steel könnte sich für kleines Geld einen alten großen Namen kaufen, wird über die Motivation der Briten spekuliert. Thyssenkrupp will das Angebot prüfen.
Das Stahlgeschäft ist die Wurzel von Thyssenkrupp. Doch Traditionen spielen weder beim Vorstand noch beim Hauptaktionär, der Krupp-Stiftung, noch eine Rolle. Zu groß ist die Not. Zwar hat der Verkauf der Ertragsperle Thyssenkrupp Elevator 17 Milliarden Euro in die Kasse gespült. Doch da der Konzern jeden Tag Millionen verbrennt, schmilzt dieser Einmalertrag wie Butter in der Sonne. Die Krupp-Stiftung kann daher nicht mehr lange auf Dividende verzichten. Die ihr vom Gründer Alfried Krupp gegebene Satzung verpflichtet sie zwar, die Einheit des Unternehmens zu wahren. Diese Satzung hat sich aber schon in der Vergangenheit als sehr dehnbar erwiesen. Auch der zweitgrößte Aktionär Cevian dürfte alles mitmachen, um sein missglücktes Investment zu beendigen.