Es gibt Neuigkeiten vom Löwen
Die Buchvorstellung des Düsseldorfer Kinderbuchautors Martin Baltscheit im Heine Haus ist eine Show, keine Lesung.
DÜSSELDORF Bei Selinde Böhm und Rudolf Müller ist oft die Weltliteratur zu Gast. Die Buchhändler laden gern den Menschen zum Werk ein, denn wenn Alain Robbe-Grillet, Alfred Brendel, Bernhard Schlink, Margriet de Moor oder Mario Vargas Llosa aus ihren Büchern lesen, wird es auf wundersame Weise auch in den Regalen lebendig. Tolle Geschichten und glasklare Ideen können Leuchtfeuer sein in einer Welt, die kein Mensch so recht zu durchdringen vermag. Mittendrin in dieser Schatzkiste der großen Denker: Martin Baltscheit: Düsseldorfer, Kinderbuchautor, Illustrator, Filmemacher, Vater. Seine Werke enthalten wenig Text, dafür viele zauberhafte Bilder von Tieren, die klug und pragmatisch sind. Die Bücher sind vielfach preisgekrönt, denn der Schriftsteller ist ein Meister darin, Kindern das komplizierte Leben plausibel zu erklären, ohne es schöner aussehen zu lassen, als es ist. Seine Überzeugung: Es gibt nichts, was man Kindern nicht erzählen kann. Er thematisiert Demenz und Mobbing und übt gnadenlos Rache an Fieslingen. „Wichtig ist, dass die Geschichte gut ausgeht“, sagt Baltscheit.
An diesem Nachmittag stellt er im Heine Haus „Die Geschichte vom Löwen, der nicht schlafen konnte“vor. Eltern haben ihre Kinder mitgebracht, einige sind noch sehr jung und freuen sich vor allem, dass es viele Tiere zu sehen gibt, die Baltscheit auf eine Wand beamt. Er gibt den Kindern Rätsel auf, die kein bisschen offensichtlich sind, weswegen auch die Erwachsenen mitraten sollen und wollen. Wer die Lösung kennt oder eine kreative Antwort parat hat, darf sich ein Buch aussuchen oder eine Zeichnung wünschen. Damit es Baltscheit selbst nicht langweilig wird, malt er mit geschlossenen Augen einen Löwen, dem die Nase aus dem Gesicht rutscht.
Der König der Tiere ist eben alles andere als perfekt. Das steckt noch in jeder Löwengeschichte, die sich der Schriftsteller bisher ausgedacht hat. Der Löwe kann nicht schreiben und daher nicht bei der schönen Löwin landen, in die er sich verliebt hat. Er kann nicht schwimmen, nicht bis drei zählen und hat noch nie etwas vom Alphabet gehört. In der neuen Erzählung findet der Löwe keinen
Schlaf und ist darüber sauer. Leider sind die Ratschläge der anderen Tiere wenig hilfreich. Der Chef soll sich in den Baum hängen wie ein Affe, unter Wasser schlummern wie ein Nilpferd, in der Luft wie die Schwalben oder auf zehn Meter langen Beinen zur Ruhe kommen wie die Giraffen. Das geht natürlich alles schief. Schließlich trifft er einen rosa Hasen mit einem drolligen Gesicht, das perfekte Kuscheltier. Mit ihm im Arm findet der Löwe endlich in den Schlaf. Nun liegt der Hase wach, der sich seine Nächte so nie vorgestellt hat.
Der Umweg über die Tiermetapher hilft den Kindern, sich emotional von den Geschehnissen zu distanzieren und trotzdem alles zu begreifen, was sich ihnen an Freude, Leid und Aufregung bietet. Dass die Überbringer dieser kleinen Lebensweisheiten keine Menschen sind, irritiert sie nicht eine Sekunde. Ihre noch anarchische Fantasie lässt sie ungerührt akzeptieren, womit sich Erwachsene schwertun: sprechende Grillen, blaue Krokodile, Läuse auf Wohnungssuche und Mädchen, die ihre Existenz mit einem Pudel tauschen. Alles keine große Sache.
Martin Baltscheit flößt all dem zusätzlich Lebendigkeit ein, wenn er seine Bücher vorliest und die bunte Tiermenagerie mit ihren vielfältigen Charakteristika an seinen Zuhörern vorbeiziehen lässt. In jeder Stimmlage tritt die Eigenart der jeweiligen
Kreatur hervor. Die Grille spricht schwingend leicht, aber mit Nachdruck, während das helle Parlieren der Fische ein sachter Nasal dämpft, als trügen sie immer ein wenig Wasser im Maul, was in ihrem Fall nur natürlich ist.
Ein Höhepunkt des Nachmittags ist die Erzählung vom schlafenden Flamingo. Sie ist vor sechs Jahren unter dem Titel „Schon gehört?“erschienen. Die anderen Tiere quasseln den Flamingo voll, der jedoch keine Antwort gibt, weil er ja schläft. „Bist wohl was Besseres?“, ärgern sie sich und erfinden immer dollere Geschichten, die den Flamingo herabwürdigen. Schließlich ist aus ihm ein Zombie geworden, der seine Untertanen töten lässt, um sich ein prunkvolles Federkleid fertigen zu lassen. Sogar seine Mutter soll er für viel Geld an einen Zoo verkauft haben. „Hab’ ich’s doch gewusst“, frohlockt der Storch. Er hat die miese Gerüchteküche befeuert und bekommt dafür die Quittung. Der Flamingo frisst ihn mit einem Happs auf.
Baltscheit hat ein Happy End versprochen, da ist es. Eine wunderbare Show, keine Lesung.