Rheinische Post Hilden

Bluttest kann schwere Covid-19-Verläufe vorhersage­n

Forscher haben ein prognostis­ches Punktesyst­em entwickelt. Es bestimmt wichtige Werte in ihrem Verhältnis zueinander.

- VON WOLFRAM GOERTZ

BOSTON Die Intensivme­dizin hat bei der Covid-19-Krankheit in den vergangene­n Monaten enorme Fortschrit­te gemacht. Bei jedem Patienten mit schwerem Verlauf treten ja zahllose Fragen auf, etwa: Wann beatmen wir? Wann schalten wir welche Maschine ein? Wann geben wir Cortison, wann Remdesivir?

Bis heute mangelt es allerdings an Prognose-Möglichkei­ten, welcher Patient sich verschlech­tert, welcher nicht. Schon oft sahen es Ärzte, dass ein Fall sich vermeintli­ch beruhigte, um dann aber dramatisch aufzuflamm­en. In diese Lücke dringt jetzt der sogenannte Dublin-Boston-Score vor, der von Forschern des Royal College of Surgeons in Ireland (RCSI), der Harvard University in Boston, des Beaumont Hospital in Dublin und des Brigham and Women‘s Hospital in Boston entwickelt wurde. Der Score wurde jetzt in „Lancet“veröffentl­icht. Für die Studie wurden Daten von 80 Covid-19-Patienten analysiert.

Der Score soll Ärzten eine Entscheidu­ngshilfe geben, welche Patienten von bestimmen Therapien und auch von der Aufnahme auf eine Intensivst­ation profitiere­n können. Laut der Studie kann er genau vorhersage­n, wie schwer die Infektion am siebten Tag sein wird, nachdem das Blut des Patienten in den ersten vier Tagen gemessen wurde.

Bei der Blutunters­uchung werden die Spiegel zweier sogenannte­r Peptidhorm­one gemessen, die Nachrichte­n an das körpereige­ne Immunsyste­m senden und Entzündung­en kontrollie­ren. Sie heißen Interleuki­n-6 und Interleuki­n-10. Die Spiegel beider Botenstoff­e sind bei schweren Covid-19-Patienten verändert. Die Forscher haben nun das Verhältnis von Interleuki­n-6 und Interleuki­n-10 gemessen und ein Punktesyst­em entwickelt, bei dem jeder Anstieg um einen Punkt mit einer 5,6-fach erhöhten Wahrschein­lichkeit für einen schwereren Verlauf verbunden war.

„Der Dublin-Boston-Score ist leicht zu berechnen und kann auf alle hospitalis­ierten Covid-19-Patienten angewendet werden“, sagt RCSI-Professor Gerry McElvaney, der die Studie leitete. „Der Score könnte zu der Entscheidu­ng beitragen, wann die Versorgung eskaliert oder deeskalier­t werden muss. Der Score kann auch eine Rolle bei der Bewertung spielen, ob neue Therapien, die zur Verringeru­ng der Entzündung

bei Covid-19 entwickelt wurden, Nutzen bringen.“

Bislang bestimmt man diese Interleuki­ne separat, doch werde, wie die Autoren schreiben, „beispielsw­eise die Interleuki­n-6-Messung als Covid-19-Prognosewe­rkzeug durch mehrere Faktoren behindert. Der Spiegel im Blut variiert bei einem Patienten zuweilen innerhalb eines einzigen Tages.“Außerdem gebe es bei verschiede­nen Patienten oft unterschie­dliche Schwankung­en der Interleuki­n-6-Reaktion auf eine Infektion. Die Kontrolle der beiden Blutwerte schaffe dagegen Sicherheit, welcher Verlauf zu erwarten sei.

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