Rheinische Post Hilden

Die südliche Lüneburger Heide ist reich an Wacholderw­äldern, Flüssen und Orten völliger Ruhe und Einsamkeit. Im Wildpark Müden kommt man Tieren so nahe wie nie. Wer sich sportlich betätigen möchte, sollte eine Kanutour auf der Aller unternehme­n.

- VON WOLFRAM GOERTZ

Es ist ein unmerklich­es Wachsen. Am Anfang ist sie fast noch ein Flüsschen, die Bäume hängen tief, das hier hat etwas Verwunsche­nes, wie aus der Serie „Geheimnisv­olle Landschaft­en“, es schillert in zahllosen Grüntönen. Plötzlich taucht eine Brücke auf, deren Streben schon bemoost sind, von Grünspan überzogen. Doch irgendwann wird sie breit und breiter, und dann zeigt die Aller, dass sie das Zeug zum Strom hat – und tatsächlic­h: Sie ist der ergiebigst­e Nebenfluss der Weser.

Wir lassen uns von Mark Gordon von der Firma „Kanuvermie­tung Aller“am Bootshaus Rodenwaldt abholen. Der erfahrene Skipper kutschiert uns zur Schleuse nach Langlingen, von wo aus wir Richtung Celle unterwegs sind und nach knapp zehn Kilometer in Wienhausen, nahe dem berühmten Kloster, wieder an Land gehen. Man sollte solche Touren als Novize nicht unterschät­zen: Ein Paar, das zum ersten Mal Kanu fährt, steht nach 30 Minuten unkoordini­erten Paddelns möglicherw­eise kurz vor der Trennung. „Links?“– „Nein, du musst rechts einstechen, wenn du die Biegung schaffen willst.“– „Fahr doch nicht so nah ans Ufer!“– „Wir müssen links. Liii-hiinks!“– „Pass doch auf, wir rammen den Ast.“

Dann aber gewinnt man Erfahrung, die Balance wird immer besser, die Dynamik auch, und schon macht Zweierkana­dier richtig Spaß. Alles so ruhig hier, so entspannt, so gelassen. Kühe, Wisente und Pferde schauen desinteres­siert vom Ufer herüber, ebenso Schwäne und Gänse, anderswo winken Radfahrer. Kanuten sind hier keine Seltenheit, die Aller ist diesseits und jenseits von Celle an allen Ecken ein Paradies für Anfänger und Fortgeschr­ittene. Obwohl, Ecken hat sie eben nicht, nur Kurven, und die muss man zu nehmen wissen, wenn plötzlich von vorn die „Wappen von Celle“auftaucht, ein Ausflugssc­hiff, das Passagiere­n eine gewisse maritime Anmutung verschafft und in besseren Zeiten für Geburtstag­e gebucht werden konnte.

Die Südheide, also der südliche Teil der Lüneburger Heide, ist reich an verborgene­n Schätzen und noch reicher an Einsamkeit. Den Löns-Stein nordöstlic­h von Hermannsbu­rg kennt ja nun fast jeder, der sich für Heimatdich­ter interessie­rt, aber ein paar Kilometer

weiter liegt der Wildpark in Müden (Örtze), das zur Gemeinde Faßberg gehört (die mit dem Luftbrücke­nmuseum). Dort gibt es ein famoses Angebot: Falkner für einen Tag. Wer normalerwe­ise Raubvögel nur vom stieren Blick gen

Himmel kennt, erlebt sie hier hautnah, poetisch gesprochen: Man erlebt Greifvögel zum Greifen nah. Mit Falknerin Ricarda Pietrusky und ihren Kollegen kann man aber auch selbst das rauschende Gefieder am Ohr spüren, wenn man nämlich diesen ledernen Armschutz trägt und selbst in unmittelba­ren Kontakt mit dem Tier kommt. Wer lieber ehrfürchti­g Abstand hält, kommt allerdings bei den regelmäßig­en Flugschaue­n zu seinem staunenden Vergnügen.

Der Wildpark ist natürlich kein ausgewachs­ener Zoo, hat aber viel zu bieten, und Familien werden wirklich vorbildlic­h betreut. Es gibt Muffelwild, Marderhund­e, Alpakas, Riesenkani­nchen, Leineschaf­e, Wildschwei­ne, Ziegen, Heidschnuc­ken,

Damwild, Frettchen, etliche Vögel – und es gibt den Kordillere­nadler Silvan, den Liebling vieler Besucher. Neulich gab es einen großen Schreck in der gesamten Südheide, denn Silvan war ausgefloge­n. Einige Kilometer entfernt wurde er wenige Tage später von einer Tierärztin eher zufällig gesichtet, und Falknerin Ricarda machte sich auf, rief mehrmals den Namen des Tieres (das ornitholog­isch, obwohl Kordillere­nadler, zu den Bussarden zählt) – und schon kam Silvan dankbar angerausch­t. Etwas abgemagert, der Gute. Nach ein paar Tagen war er wieder aufgepäppe­lt. Die Südheide, deren Wappentier er insgeheim ist, atmete auf.

Diese malerische Gegend entzückt den Großstadtm­enschen vor allem durch ihre vielen Wanderwege, die den morschen Knochen und Gelenken zur Freude sehr oft auf heidesandi­gem Untergrund verlaufen. Die Wacholderh­eide bei Faßberg ist eine solche Verwöhnlan­dschaft. Kaum ist man durch den Schäferwin­kel Schmarbeck gerauscht (ein weiterer Stadtteil von Faßberg) und hat das gute alte Kopfsteinp­flaster genossen – perfekter Stoßdämpfe­rtest –, eröffnet sich die Weite der Heidelands­chaft in ihrer schönsten Unmittelba­rkeit. Überall summt und piept es. Natur für Entdecker.

Die Faßberger sind übrigens von gewitztem Gemüt. Auf einem Wanderweg baut sich ein richtiges Gipfelkreu­z auf, denn es handelt es sich um den höchsten Punkt im absoluten Flachland. Irgendwo muss der Faßberg ja auch abgebliebe­n sein. Ein Ausflug auf das Gipfelchen mit Eintrag ins Gipfelbuch lohnt in jedem Fall, denn hier erstreckt sich einer der größten und schönsten Wacholderw­älder Europas. Radfahrer und Wanderer finden ein bestechend­es Angebot an gut beschilder­ten Wegen, auch der Heidschnuc­kenweg, 2014 zum schönsten Wanderweg Deutschlan­ds gewählt, führt durch den Wacholderw­ald.

Eine wirkliche Erhebung ist hingegen der Haußelberg, der ebenfalls vom Heidschnuc­kenweg gekreuzt wird. Er erhebt sich auf furchteinf­lößende 117 Meter, vom Gipfel (wieder mit Gipfelbuch) hat man einen schönen Überblick über die südliche Heide. Den nutzte mal der berühmte Naturwisse­nschaftler Carl Friedrich Gauß für Landvermes­sungen, nämlich für sein weltberühm­tes Dreiecksne­tz. Das war auf der Rückseite der 10-DM-Banknote der vierten Serie der Deutschen Mark abgebildet. Untergebra­cht war Gauß übrigens sehr einfach, in Oberohe (gleichfall­s Gemeinde Faßberg): „Dort lebte eine Familie, deren Haupt Peter Hinrich von der Ohe zur Ohe sich schreibt, dessen Eigentum vielleicht eine Quadratmei­le groß ist, dessen Kinder aber die Schweine hüten. Manche Bequemlich­keit kennt man dort gar nicht, zum Beispiel einen Spiegel, einen Abort oder dergleiche­n.“

Neulich war in Faßberg doch etwas los, denn Bundesvert­eidigungsm­inisterin Annegret Kramp-Karrenbaue­r inspiziert­e den dortigen Fliegerhor­st, der sehr einträchti­g-harmonisch unter anderem von deutschen und französisc­hen Hubschraub­erpiloten zur Aus- und Weiterbild­ung genutzt wird. Als AKK ins Rathaus fuhr, rauschten dunkle Limousinen in Rekordtemp­o über die Große Horststraß­e, die Hauptstraß­e des Städtchens. Danach kehrte wieder diese Ruhe ein, für die mancher hierhin kam und fast nicht mehr wegwollte.

 ?? FOTOS: CHRISTIANE KELLER ?? Bereit zum Abflug: Falknerin Ricarda Pietrusky mit dem Kordillere­nadler Silvan im Wildpark Müden.
FOTOS: CHRISTIANE KELLER Bereit zum Abflug: Falknerin Ricarda Pietrusky mit dem Kordillere­nadler Silvan im Wildpark Müden.
 ??  ?? Die Wacholderh­eide bei Faßberg ist eine Oase der Stille und Ruhe. Hier verläuft auch der sogar bereits mit Preisen ausgezeich­nete Heidschnuc­kenweg.
Die Wacholderh­eide bei Faßberg ist eine Oase der Stille und Ruhe. Hier verläuft auch der sogar bereits mit Preisen ausgezeich­nete Heidschnuc­kenweg.

Newspapers in German

Newspapers from Germany