Rätsel um den Munch von Düsseldorf gelöst
Die Provenienzforscherinnen Jasmin Hartmann und Jeanne Beckmann sind einem Bildertausch in der NS-Zeit auf die Spur gekommen.
DÜSSELDORF Im Sommer 1937 rollte eine Beschlagnahmungswelle durch die deutschen Museen. Die Nationalsozialisten stahlen zahlreiche Kunstwerke, die sie als „Entartete Kunst“diffamierten. Sie richteten einen immensen Schaden an, von dem sich die Häuser nie wieder erholten. Neben Berlin und Essen war besonders Düsseldorf betroffen, das früh den Wert der Avantgarde erkannt hatte. Als sich diese Umsicht plötzlich als Last erwies, wurden Museumsdirektoren aktiv. Wilhelm Hupp etwa – von 1933 bis 1943 Direktor der Städtischen Kunstsammlungen Düsseldorf, dem heutigen Kunstpalast – trennte sich noch vor dem offiziellen Raubzug von wichtigen Repräsentanten der Klassischen Moderne, indem er deren Arbeiten gegen unverdächtige Werke eintauschte. Einem Deal von spektakulärer Tragweite sind die Provenienzforscherinnen der Stadt, Jasmin Hartmann und Jeanne Beckmann, auf die Spur gekommen. Wie ein Krimi liest sich ihre Recherche, die im aktuellen Düsseldorfer Jahrbuch erstmals der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird.
Dreh- und Angelpunkt ist Edvard Munch. Der norwegische Maler gilt als Wegbereiter des Expressionismus. Mit dem Verkauf seiner Werke werden heute Rekordsummen erzielt. Sein bekanntestes Bild „Der Schrei“zählt zu den teuersten Gemälden der Welt; Munch hat es vier Mal gemalt, die Pastellvariante wurde 2012 für 120 Millionen Dollar in New York versteigert. Auch Düsseldorf besaß einst ein Gemälde von Munch sowie Papierarbeiten des Künstlers. „Der Heimweg“– auch „Sommernacht“oder „Liebespaar“genannt – gehörte bis 1939 zur Sammlung des heutigen Kunstpalastes. Bereits ab dem Frühjahr 1937 bemühte sich Museumsdirektor Hupp mit Blick auf die NS-Kunstpolitik, es loszuwerden. Er schaltete den Chef-Kunsthändler der Nazis,
Hildebrand Gurlitt, ein. Dieser sollte ein einträgliches Tauschgeschäft einfädeln.
Von dieser unheilvollen Übereinkunft ahnte Jasmin Hartmann nichts, als sie 2016 überlegte, wie sich Düsseldorf an der für 2017 geplanten Ausstellung „Bestandsaufnahme Gurlitt“in Bonn beteiligen könnte. Die Ausstellung würde den mysteriösen Kunstschatz präsentieren, den man bei Gurlitts Sohn Cornelius fünf Jahre zuvor entdeckt hatte; dabei sollte auch die heikle Frage der Herkunft der Werke thematisiert werden. „Also haben wir begonnen zu recherchieren, welche Werke in unseren Museen durch Gurlitts Hände gingen“, sagt Hartmann. Dabei
stieß sie auf das „Knabenbildnis“des Barockmalers Samuel Hofmann (auch Hoffmann). Im Inventarbuch des Museum stand bloß ein Name – Hildebrand Gurlitt. Nachforschungen, etwa mit Hilfe von Gurlitts Geschäftsbericht, offenbarten eine Verbindung zu Edvard Munch.
Wie sich herausstellte, hatte Gurlitt einen norwegischen Bankier als Käufer für Munchs „Der Heimweg“gefunden, der dem Kunsthändler 6000 Reichsmark, etwa 24.000 Euro, zahlte. Diese Summe hatte Düsseldorf für den Munch verlangt. Hupp wollte von Gurlitt jedoch kein Geld, sondern Kunstwerke als Gegenwert, unter anderem jenes „Knabenbildnis“von Samuel Hofmann. Es befand sich jedoch im Besitz des Provinzialmuseums in Bonn. Bonn wiederum wollte seinen Hofmann nur im Austausch mit einem Landschaftsbild des flämischen Malers Anton Mirou abgeben. Also kam ein weiterer Kunsthändler ins Spiel, der Düsseldorfer Hans Bammann. Er galt nicht nur als Spezialist für Alte Meister, sondern war wie Gurlitt in den Kunstraub der Nazis verstrickt. Er überließ Gurlitt einen Mirou für 5500 Reichsmark, den Gurlitt an Bonn weiterreichte. Im Gegenzug erhielt er das „Knabenbildnis“für die Düsseldorfer Sammlungen.
Hupp hatte nach Einschätzung der Wissenschaftlerinnen Hartmann und Beckmann die Angelegenheit
geschickt eingefädelt, um einen größtmöglichen Gewinn zu erzielen. Er hatte nicht nur Gurlitt, sondern noch weitere Kunsthändler mit dem Munch-Verkauf betraut, um den Konkurrenzdruck zu erhöhen. Unter ihnen war pikanterweise auch Karl Koetschau. Über ihn hat Jeanne Beckmann an der Heinrich-Heine-Universität ihre Masterarbeit geschrieben. Koetschau hatte die Städtischen Kunstsammlungen Düsseldorf 20 Jahre lang geleitet, bevor Hupp ihm nachfolgte. Er ging nach Berlin, kehrte jedoch 1937 an den Rhein zurück.
Koetschau hatte sich stets für die moderne Kunst stark gemacht. Er war es auch, der Munchs „Heimweg“
1931 in der Galerie des jüdischen Sammlers und Kunsthändlers Alfred Flechtheim an der Königsallee entdeckte. Ebenfalls im Zuge eines Tauschgeschäfts erwarb er es vom Eigentümer, dem Hamburger Arvid Warberg. Jetzt half er Hupp, es abzustoßen. Nachforschungen von Jeanne Beckmann haben ergeben, dass Koetschau wohl aus Geldnot in den Kunsthandel einstieg.
Für die beiden Provenienzforscherinnen ist klar: „Die Museen haben sich nach 1945 oft als Opfer dargestellt. Die Nazis hätten die Klassische Moderne komplett beschlagnahmt. Sie hätten daran keinen Anteil gehabt. Aber das ist nicht wahr. Es gab Werke, die die Museen freiwillig verkauft haben.“
Munchs „Der Heimweg“ist nach seinem Verkauf durch Gurlitt mehrfach weiterverkauft worden. Zuletzt tauchte er 2012 im Rahmen einer Auktion von Sotheby’s in London auf. Das Einstiegspreisgebot lag bei rund drei Millionen US-Dollar. Über seinen aktuellen Verbleib ist nach Auskunft von Hartmann und Beckmann nichts bekannt.