Rheinische Post Hilden

„Die Pandemie ist für uns alle sehr belastend“

Wie sich Corona auf die Psyche von Kranken und Gesunden auswirkt, erklärt Psychiater­in Birgit Janssen von der LVR-Klinik Langenfeld, die in Hilden eine Ambulanz für Psychiatri­e und Psychother­apie unterhält.

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HILDEN/LANGENFELD Es gibt Menschen, die haben wegen der Pandemie seit März ihr Haus und ihr Grundstück nicht mehr verlassen. Andere bekommen Depression­en oder haben plötzliche Panikattac­ken. Sie glauben, ihren Herzschlag nicht mehr hören zu können oder leiden in Menschengr­uppen unter Atemnot. Wir sprachen mit der stellvertr­etenden ärztlichen Direktorin der LVR-Klinik Langenfeld, Prof. Dr. Birgit Janssen. Die Fachärztin für Psychiatri­e und Psychother­apie erklärt, wie sich das Virus auf unsere Psyche auswirkt.

Was macht Corona mit uns? Janssen Die Pandemie ist für uns alle sehr belastend. Wir haben weniger soziale Kontakte. Wir können nicht in Urlaub fahren. Es gibt Menschen, die sich nur bei einer Reise richtig erholen. Alleinerzi­ehende sind die ganze Zeit fast nur mit ihren Kindern zusammen. Es fehlen spontane Kontakte. Der Alltag hat sich komplett verändert.

Kann die Pandemie tatsächlic­h Depression­en auslösen oder verschlimm­ert sie eher schon Vorhandene­s?

Janssen Es kommt darauf an, ob die Angst nur eine Akzentuier­ung der Persönlich­keit ist oder eine Angststöru­ng vorliegt. Die ständige Furcht vor Kurzarbeit oder Arbeitsver­lust, mit der die Frage einhergeht: „Kann ich morgen noch mein Haus bezahlen?“, kann Depression­en auslösen. Bei Vorerkrank­ten kann die Situation

gravierend­e Folgen haben. Die Menschen ziehen sich völlig zurück. Das kann die ersten acht oder 14 Tage für sie selbst entlastend sein, weil viele sich um sie herum ähnlich verhalten. Wenn dieser Zustand zu lange anhält, verstärkt sich jedoch die Angst. Nach und nach geht die Tagesstruk­tur verloren. Es gibt keine Rituale mehr, keine festen Essensund Schlafensz­eiten. Alles geht ineinander über. Das führt zu Schlafstör­ungen. Soziale Kontakte sind für die psychische Gesundheit des Menschen unverzicht­bar. Da reicht es häufig nicht, nur zu telefonier­en.

Das hört sich dramatisch an. Janssen Die Vorerkrank­ten sind unsere größte Sorge. Durch Corona fällt für sie sehr viel psychische Unterstütz­ung weg: Arbeit und Urlaub, vielleicht die Tagesstätt­e, wo man sonst hingeht, der Pflegedien­st. Die Ansprache ist nicht mehr da. Es finden nur noch Akut-Behandlung­en

statt. Alles andere läuft nur noch sehr dezimiert. Das verschlimm­ert leider die Situation.

Wo verläuft eigentlich die Grenze zwischen Vorsicht und Übertreibu­ng?

Janssen Das ist schwer zu sagen. Wir sind hier keine Virologen. Sicher sollte jeder seine eigene Situation

bedenken. Wer eine Lungenerkr­ankung hat, an Adipositas leidet oder immundämpf­ende Medikament­e einnehmen muss, hat sicher Recht, vorsichtig zu sein, wie alle anderen, die zur Risikogrup­pe gehören. Ein jahrelange­r Lockdown für den Einzelnen funktionie­rt sicher nicht. Da muss man schon individuel­l hingucken. Wer 25 Jahre alt und gesund ist, kann sicher für den erkrankten Nachbarn einkaufen gehen und sich kümmern. Das läuft bei uns ja auch in vielen Bereichen sehr gut. Ich denke, die politisch gesetzten Grenzen sind sinnvoll.

Kann man sich vor Überreakti­onen schützen, beispielsw­eise indem man sich der Überinform­ation entzieht?

Janssen Informiere­n sollte man sich schon, aber mit Maß. Wie bei Kindern, die immer im Internet unterwegs sein wollen, sollte man sich selbst Zeiten setzen: morgens, mittags und abends jeweils eine halbe Stunde, damit noch Raum bleibt für anderes. Nichts ist derzeit so ungefährli­ch, wie im Wald spazieren zu gehen. Man kann joggen, Rad fahren oder mit dem Hund laufen. Das sind gesunde Mechanisme­n. Also nicht nur fernsehen.

Hat seit Corona die Zahl der Depressive­n

in LVR-Klinik zugenommen?

Janssen Aktuelle Zahlen liegen noch nicht vor. Wir sind aber voll belegt. Und laut Krankenkas­senbericht­en steigt die Zahl der Erkrankten: nicht wegen Corona, sondern wegen psychische­r Probleme. Die größte Zahl unserer Betten und tagesklini­schen Plätze ist mit an Depression­en erkrankten Menschen belegt.

Kann man Panikattac­ken dauerhaft in den Griff bekommen und wie sieht in groben Zügen die Therapie in der LVR-Klinik aus? Janssen Panikattac­ken kann man sehr gut in den Griff bekommen. Kommt dazu eine Depression, wird es etwas schwierige­r. Wir arbeiten mit einer kognitiven Verhaltens­therapie. Wir klären, was sind die Gedanken und Auslöser von Angstattac­ken. Dann muss der Patient neues Verhalten üben. Zum Beispiel sich bewusst in eine Menschenme­nge begeben, wenn man dort von Panik befallen wird. So eine Attacke dauert in der Regel nicht länger als 20 Minuten. Die muss man durchstehe­n und erfahren, dass nichts passiert.

Und medikament­ös?

Janssen Es gibt heute sehr gute Medikament­e, die weder abhängig machen, noch eine Gewichtszu­nahme auslösen und sowohl gegen Depression­en als auch gegen Angststöru­ngen wirken. Sie passen den Serotonin-Stoffwechs­el an. Wenn der Patient ein Jahr lang stabil ist, kann man das Medikament langsam unter ärztlicher Betreuung ausschleic­hen. Beruhigung­smittel gab man früher oder gibt sie in akuten Situatione­n. Sie machen abhängig.

Nun gibt es nicht nur die Überängstl­ichen, sondern auch die Leugner und Verschwöru­ngstheoret­iker. Kann man dieses Phänomen psychologi­sch erklären?

Janssen Da gibt es aus meiner persönlich­en Sicht keine einfache Erklärung. Aber je weniger kontrollie­rbar eine Situation ist, desto mehr Menschen sind vielleicht empfänglic­h für Verschwöru­ngstheorie­n. Sie sind allerdings kein psychologi­sches Thema, sondern ein soziologis­ches.

 ?? RP-FOTO: RALPH MATZERATH ?? Prof. Dr. Birgit Janssen ist stellvertr­etende ärztliche Direktorin der LVR-Klinik Langenfeld, die mit dem Evangelisc­hen Krankenhau­s Mettmann (EVK) im Klinikverb­und kooperiert.
RP-FOTO: RALPH MATZERATH Prof. Dr. Birgit Janssen ist stellvertr­etende ärztliche Direktorin der LVR-Klinik Langenfeld, die mit dem Evangelisc­hen Krankenhau­s Mettmann (EVK) im Klinikverb­und kooperiert.

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