Der unbekannte Richter
Das Dresdner Albertinum gibt Einblicke ins Frühwerk des wohl bekanntesten zeitgenössischen deutschen Künstlers. Im Fokus stehen die Jahre 1961 und 1962.
DRESDEN
Gefangener im Gießener Lager stilisiert. Einen vom Leben gezeichneten Mann, der sich ein Zubrot mit dem Bemalen von Karnevalswagen und dem Verkauf von Mal-Utensilien verdient und der alles daran setzt, in Düsseldorf zu reüssieren, indem er seine in Dresden erprobten figurativen Bildelemente mit den informellen und abstrakten Möglichkeiten der westlichen Moderne kombiniert. Das spiegelt sich in seinen Werken wider: Während seine „Sitzende“noch sehr an Picassos kubistische Zeichenhaftigkeit erinnert, sind die verschmierte graue „Wunde“und der bunt verkleckerte „Fleck“schon abstrakte Farbfantasien, die er sich bei Karl Otto Götz abgeschaut haben mag, dem von Richter hoch verehrten Mal-Professor, in dessen Düsseldorfer Klasse er schon bald, im April 1962, wechseln sollte.
Immer wieder schickt Richter Briefe zu seinen Freunden nach Radebeul, reflektiert sein Werk, entwirft Skizzen für seine Bilder, legt
Fotos bei, die er von seiner Wohnung macht. Natürlich berichtet Richter ihnen auch von seiner ersten Ausstellung: Gemeinsam mit Manfred Kuttner kann er im September 1962 in der „Galerie junge Kunst“in Fulda einige seiner Werke zeigen. Sie erregen in der örtlichen Presse gewisses Aufsehen: Die an die Wand gehängten präparierten Kleidungsstücke – zum Beispiel ein lackiertes Hemd – lösen angeregte Debatten aus: Von „einfach toll“über „großer Blödsinn“bis „Kulturschande“reichen die von der „Fuldaer Volkszeitung“zitierten Kommentare der Besucher.
Verkaufen wird Richter am Ende kein einziges der in Fulda gezeigten Werke. Aber das macht nichts. Er weiß jetzt, dass alles ganz anders werden muss. Um sich von allem Ballast zu befreien, verbrennt er die Bilder in einem Baucontainer im Hof der Düsseldorfer Akademie – ein Befreiungsschlag und ein radikaler Neubeginn: „Wer weiß, was aus mir geworden wäre, wenn ich mit den Bildern Erfolg gehabt hätte“, wird er viele Jahre später sagen. Nach dieser öffentlichen Autodafé wird er Ende 1962 beginnen , seine Werke zu nummerieren und zu katalogisieren: Gemälde Nummer 1: „Tisch“.
Doch das ist ein anderes Kapitel. Wer einige dieser Werke – etwa das nach einem Foto gemalte unscharfe Bild Nummer 14 („Sekretärin“) oder die mit dem Rakel gezogene Farbexplosion Nummer 722-3: „Abstraktion“– bewundern will, braucht nur eine Treppe höher steigen: In der Dauerausstellung des Albertinums sind zwei Säle dem großen Meister gewidmet.