Rheinische Post Hilden

Geisel packt seine Sachen

Die Amtszeit endet am Samstag. Für Düsseldorf hat der scheidende Chef einen Wunsch.

- VON ARNE LIEB

DÜSSELDORF Fast 20 Jahre hat Thomas Geisel den früheren SPD-Fraktionsc­hef Thomas Oppermann gekannt. Dessen plötzliche­r Tod verstärkt sein Gefühl, dass der Abschied aus dem Rathaus auch gute Seiten hat. „Fünf Jahre hätte ich nicht in diesem Tempo weitermach­en können und dürfen“, sagt er. Seine Kinder hätten ihn gebeten, mehr auf sich zu achten.

Wer weiß, ob er das getan hätte. „Ich bin nicht für lauwarme Sachen“, sagt Geisel anderersei­ts über sich. Es sind aber sowieso nur noch Gedankensp­iele: Der Samstag ist sein letzter Tag als Oberbürger­meister. Die letzten Termine stehen einen Tag vorher an: Geisel traut noch ein Ehepaar, abends eröffnet er das Kunstfesti­val „Digitale“.

Bis dahin will er seine persönlich­en Sachen aus dem Büro geräumt haben. An der Wand hängt noch ein Abzug eines Tour-de-France-Bildes von Andreas Gursky, hinter dem Schreibtis­ch die Fotos von Geisels Frau Vera und den fünf Töchtern. Die meisten Regale sind schon leer.

Es ist ein leiser Abschied. 2020 wäre eigentlich ein Jahr nach Geisels Geschmack gewesen: Große Sportevent­s, das Festival Theater der Welt, ein Mega-Messejahr – und dazu der übliche Riesen-Veranstalt­ungskalend­er, der Düsseldorf auszeichne­t. Nun musste er coronabedi­ngt sogar die Feier im Rathauskel­ler streichen, mit der er sich von den engsten Mitarbeite­rn verabschie­den wollte.

Nach der Wahlnieder­lage gegen CDU-Herausford­erer Stephan Keller, der zum 1. November übernimmt, hat sich Geisel per Brief an die SPD-Mitglieder gewendet. Grund für das schlechte Abschneide­n seien eine Reihe von Fehlern, die er sich „in allererste­r Linie selbst zuzuschrei­ben“habe. „Und aus diesem Grunde trage ich auch die Verantwort­ung für die Niederlage.“

Zur Umweltspur, dem Thema, mit dem er im Wahlkampf immer wieder attackiert wurde, schreibt Geisel, sein Vorgehen sei ein „taktischer Fehler“gewesen. Düsseldorf hätte sich besser erst von der Klage der Umwelthilf­e zu weiteren Maßnahmen zwingen lassen müssen, statt selbst initiativ zu werden. „Das Ergebnis wäre zwar mit großer Wahrschein­lichkeit dasselbe gewesen“, heißt es in dem Brief. „Allerdings hätten wir die Verantwort­ung von uns weisen und damit der perfiden Argumentat­ion die Grundlage entziehen können, die Umweltspur sei das Werk des Oberbürger­meisters und diente dem Ziel, Autofahrer zu erziehen beziehungs­weise zu ärgern.“

Als Selbstankl­age sollte man den Brief nicht missverste­hen. Es finden sich auch lauter versteckte und weniger versteckte Spitzen gegen die Düsseldorf­er SPD-Parteifunk­tionäre. Die hatten den bis dato völlig unbekannte­n ehemaligen Energieman­ager 2013 als Überraschu­ngskandida­t aufgestell­t, das Verhältnis blieb aber schwierig. Geisel räumt zwar ein, es sei falsch gewesen, kein SPD-Logo auf seine Plakate zu drucken. Er hält es aber für ein fatales

Signal, dass er vor einiger Zeit aus dem Unterbezir­ksvorstand verdrängt worden ist. Auch den Wahlkampf der Partei kritisiert er: Die SPD habe zu sehr wie eine Opposition­spartei gewirkt.

Was bleibt von der Ära Geisel? Ohne Zweifel ein Schulbaupr­ogramm, eine Wohnungsba­uoffensive, manches Stadtentwi­cklungspro­jekt – und sechs Jahre, in denen die Stadt wuchs und die Wirtschaft meistentei­ls brummte. Als Stadtchef

verkörpert­e Geisel ein modernes, metropolen­haftes Bild der oft als dörflich belächelte­n Landeshaup­tstadt – nicht nur, weil er fließend Englisch und Spanisch spricht.

Warum es zur Wiederwahl trotzdem nicht gereicht hat, darüber lässt sich lange philosophi­eren. Seinen Gegnern hat er es sicher manchmal zu leicht gemacht, weil er die Reihen hinter sich nicht zu schließen vermochte. Am Ende war die Kritik an seinem Amtsstil auch von den SPD-Bündnispar­tnern Grünen und FDP laut.

Dass er bisweilen polarisier­t hat, sieht Geisel nicht als Schwäche. „Die Leute fordern immer Politiker mit Ecken und Kanten, die einen echten Beruf haben und mitten im Leben stehen“, sagt er. Anderersei­ts sei das Klagen laut, wenn man anecke. „Die Glattgebüg­elten kommen manchmal leichter durch das Leben.“

Dem Nachfolger will Geisel keinen Rat auf den Weg geben. Eines beschäftig­t ihn dann aber doch mit Blick auf die mögliche schwarz-grüne Stadtregie­rung. Die CDU spreche von „Grenzen des Wachstums“, Grünen-OB-Kandidat Stefan Engstfeld habe gesagt, die Stadt sei fertig gebaut. Geisel glaubt, solche Leitgedank­en seien fatal. „Düsseldorf darf seinen Appetit auf Neues und Wandel nicht verlieren“, sagt er. Das sei der Auslöser für die erfolgreic­he Entwicklun­g der letzten Jahrzehnte. „Düsseldorf muss hungrig bleiben.“

Seine persönlich­e Zukunft lässt Geisel offen. Vorerst soll der Familienra­t statt dem Stadtrat im Mittelpunk­t stehen. Als Oberbürger­meister steht ihm mit seinen 56 Jahren eine Sofortpens­ion zu. Es könnte ihn auch zurück in die Wirtschaft ziehen. Oder doch nochmal Politik?

Zunächst muss er sich an seine neue Rolle gewöhnen. Seit Jahren habe er nicht an vermüllten Papiercont­ainern vorbeigehe­n können, ohne zu denken: Da muss sich jemand drum kümmern. Jetzt muss das jemand anders tun.

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RP-FOTO: ANDREAS BRETZ Die persönlich­en Fotos, hier von einem Papst-Besuch, nimmt Thomas Geisel aus dem OB-Büro mit.

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