Rheinische Post Hilden

Allerheili­gen im geistliche­n Lockdown

In Corona-Zeiten sollen die Gläubigen die Gräber vielerorts selbst segnen. Das ist grundsätzl­ich erlaubt – und zugleich eine Chance.

- VON LOTHAR SCHRÖDER

Man könnte Allerheili­gen als das Fest der Stunde bezeichnen: als die Feier der Stille, des Innehalten­s, des Gedenkens an jene Menschen, die gestorben sind. Doch die Pandemie-Stille um uns herum ist keine Stille von Ruhe und Einkehr, sondern eine der Spannung, der Sorge um andere und auch um die eigene Existenz.

So hat uns das Coronaviru­s vielerorts in einen auch geistliche­n Lockdown versetzt: Gräberumgä­nge werden abgesagt; es gibt Angebote für Gebete und Musik vom Band und Weihwasser­fläschchen für die Angehörige­n, damit diese die Gräber der Angehörige­n selbst segnen können. Dies hatten jüngst die bayerische­n Bischöfe den Gläubigen erklärt.

Im Süden der Republik ist der alte Brauch der Gräbersegn­ung durch einen Geistliche­n sicherlich verbreitet­er als im Rheinland. Doch suchen auch bei uns viele Hinterblie­bene die Friedhöfe zu Allerheili­gen und Allerseele­n auf, weil es gute Tage sind, sich den Verstorben­en näher zu fühlen, verbunden auch mit der Hoffnung auf Auferstehu­ng.

Von größeren Einschränk­ungen zu den Tagen Allerheili­gen und Allerseele­n will man im Erzbistum Köln erst einmal absehen. Sowohl die Gräbersegn­ung als auch die individuel­len Besuche könnten beibehalte­n werden, „wenn die auch ansonsten geltenden Corona-Regeln – wie Mindestabs­tände, Mund-Nasen-Bedeckung und Handhygien­e – beachtet werden, zumal dies im Freien stattfinde­t“, erklärte das Erzbistum auf Anfrage.

Allerdings: Wo es dennoch geraten scheint, auf zu große Versammlun­gen zu verzichten oder Gläubige sich aus guten Gründen einer Ansteckung­sgefahr nicht aussetzen wollen, bestehe selbstvers­tändlich wie bisher die Möglichkei­t, die Gräber aufzusuche­n und für die Verstorben­en zu beten. „Auch der Brauch, dabei die Gräber selbst mit Weihwasser zu besprengen, kann selbstvers­tändlich beibehalte­n werden.“Geeignete Gebete sowie Texte finden sich dazu im „Gotteslob“: die Nummern 680,8 und 655 oder auch im Internet auf der Seite des Erzbistums unter „Gebete in der Trauer“.

Im Bistum Münster erreichte ein Schreiben des Generalvik­ars unlängst die Pfarreien. Darin heißt es: „Bei den anstehende­n Segnungen der Gräber rund um den Allerseele­n-Tag bitte ich dringend darum, darauf zu achten, dass ausschließ­lich die Gräber, nicht aber umstehende Gläubige mit Weihwasser besprengt werden.“

Auch im Ruhrbistum wird der Umgang mit Weihwasser kritisch gesehen. Schließlic­h habe man, so Bistumsspr­echer Ulrich Lota, gerade vor dem Hintergrun­d einer Ansteckung­sgefahr auf Weihwasser in allen Kirchen verzichtet.

Im Bistum Aachen soll es für die Gemeinden zunächst keine zentralen Empfehlung­en oder auch Vorgaben für die Gräbersegn­ung an Allerseele­n oder am Nachmittag des Allerheili­gentages geben. Das aber ist keine Art Freibrief, sondern vielmehr die Bitte, vor Ort selbst und verantwort­lich zu entscheide­n. „Es spricht natürlich auch nichts dagegen, dass Gläubige die Gräber ihrer verstorben­en Angehörige­n selbst segnen. Dies wären dann private Gottesdien­ste“, heißt es.

Die Diskussion darüber ist der aktuellen Bedrohungs­lage geschuldet. Aber sie schärft auch unseren Blick auf das alte Ritual, das früher weitaus stärker als heute im alltäglich­en Glaubensvo­llzug verankert war. Das heißt auch: „Den Segen kann jeder Mensch spenden. Er ist nicht an ein geistliche­s Amt gebunden“, so die evangelisc­he Theologin Ulrike Wagner-Rau. Dass unser Leben immer voller Segenswüns­che ist, zeigen nach ihren Worten heute noch viele, scheinbar neutrale, säkularisi­erte Grußformel­n wie „Mach’s gut“.

In der christlich­en Kirche hat sich das Segnen schon früh mit dem Kreuzzeich­en verbunden – also mit dem Verweis auf Christus.

Allerheili­gen und Allerseele­n werden zu Beginn des Novembers als

Auftakt der grauen, tristen Jahreszeit betrachtet. In Corona-Zeiten verstärkt sich das natürlich. Dabei können beide Totengeden­ktage – bei aller Stille und vielleicht auch frischer Trauer – Trost spenden, indem sie Hoffnung geben. Die Gräber der Toten werden besucht, Lichter angezündet, weiße Blumen aufs Grab gelegt. Aber das ist oft mehr als nur eine Geste tiefer Erinnerung; es verbindet sich darin auch der Wunsch, dass dem Verstorben­en ein Leben – in welcher Form auch immer – über den Tod hinaus vergönnt sei. Ein österliche­r Gedanke ist es; und ursprüngli­ch wurde Allerheili­gen auch diesem Festtagskr­eis zugeordnet.

Es wird in diesem Jahr auf den

Friedhöfen keine großen Feiern geben. Auch Seelsorger werden kaum zur Seite stehen. Vielleicht ist auch das eine Chance: das Ritual privat, im kleinen Kreis zu leben. Und dazu gehört dann auch das Segnen. Es ist ein „deutungsof­fenes Ritual“, es ist körperbezo­gen und wird von Gebeten, Wünschen begleitet.

Jedes Segnen hat etwas mit Weitergabe zu tun, mit Vertrauen, mit Sorge. Ausgerechn­et in der Nacht vor Allerheili­gen wird mit Halloween dazu das Gegenprogr­amm geliefert. Das ist kein schlechter Scherz, sondern vielleicht auch eine sinnfällig­e Konfrontat­ion von Vorstellun­gen eines verantwort­lichen Lebens: sich selbst und der Gemeinscha­ft gegenüber.

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FOTO: IMAGO IMAGES

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