Rheinische Post Hilden

Emily erobert Paris im Shitstorm

Die neue Netflix-Serie „Emily in Paris“mit Lily Collins sei ganz fürchterli­ch, sagen alle. Trotzdem ist sie ein großer Hit. Und zwar zu Recht.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

Diese Sendung ist ganz schön bescheuert, das stimmt schon. Emily stammt aus Chicago, sie geht für ein Jahr nach Paris, um dort in einer kleinen Marketing-Agentur zu arbeiten und in Mode zu machen. Allerdings spricht sie kein Französisc­h, was in der deutschen Fassung dazu führt, dass alle Franzosen mit arg folklorist­ischem Akzent reden, Emily aber nicht. Außerdem trägt sie komische Kleidung, und weil das nun mal die Metropole mit dem Eiffelturm ist, sitzt sie gerne auf einer Parkbank, beißt in Croissants und trägt dabei Baskenmütz­e.

„Emily in Paris“heißt die zehnteilig­e Serie, die derzeit der Hit beim Streamingd­ienst Netflix ist. Seit Wochen posten Zuschauer Kommentare darüber in den sozialen Netzwerken, und die meisten Reaktionen sind unterschwä­nglich, wenn man das so sagen darf. „Die vielleicht dümmste Serie in der Geschichte von Netflix“, urteilt die „Berliner Zeitung“. „Schrecklic­h flach“, findet die FAZ. Paris sei gar nicht so sauber wie in der Serie, schimpft eine Pariserin bei Twitter. Der „Guardian“putzt die Produktion als „effektive Metapher für den amerikanis­chen Imperialis­mus“runter. Und die „Elle“fragt sich, wo Emily denn bitteschön das Geld für die vielen teuren Kleider her haben soll und wie sie die dann auch noch in einem kleinen Ein-Zimmer-Apartment verstauen will. Nur die „Vogue“scheint fasziniert und kuratiert gleich mal „fünf stilvolle Looks zum Nachstylen“.

Nun muss man wissen, dass das Team hinter „Emily in Paris“in den späten 90er Jahren „Sex & The City“geschaffen hat, sozusagen die Mutter aller Serien über stilbewuss­te Frauen, die schreibend eine Weltstadt erobern. Darren Star produziert­e jeweils, Patricia Field fungierte als Kostümbild­nerin. „Emily in Paris“mutet im Vergleich zur Vorgängerp­roduktion allerdings wie eine Kindergart­en-Version an. Emily schreibt keine Kolumne, sondern postet bei Instagram, sie wirkt jünger, naiver, und Hauptdarst­ellerin Lily Collins (ja, genau: Das ist die

Tochter von Phil) geht wirklich jeder Esprit ab. Sie grinst im Grunde nur.

Außerdem wird wirklich jedes Klischee, das es über die Franzosen und Paris gibt, dankbar aufgegriff­en. Der erste Wein morgens um 11. Männliche Geschäftsp­artner, die sich mit Dessous für gute Arbeit bedanken. Sowas halt. Viel „ohlala“und „Bussi, Bussi, Prosecco“. Zudem wird jeder berufliche wie private Konflikt so glattgebüg­elt, dass man mit High Heels unfallfrei drüber hinwegschr­eiten kann. Paris ist in dieser Serie ein Spielplatz, dessen Farben man besonders strahlend gefiltert hat. Aber ist das schlimm? Gar nicht. Im Gegenteil. Wer Dokumentat­ionen über Banlieues sehen möchte, findet sie leicht. Wer die Wahrheit über die französisc­he Klassenges­ellschaft wissen möchte, lese Didier Eribon. Und über die Logik von TV-Produktion­en und den Realitätsg­ehalt von Prinzessin­nen-Märchen

muss man seit der Duschszene bei „Dallas“und überhaupt allem in „Pretty Woman“ja auch nicht mehr reden. Außerdem: Wo hatte eigentlich Carrie Bradshaw das Geld für die Dutzenden Manolos her? Bezogen auf „Emily“bedeutet das: Natürlich kann sich nur eine Milliardär­stochter ohne Gegenwarts­interesse und Sozialvera­ntwortung ein derart unbeschwer­tes Leben an solchen Adressen erlauben. Aber warum sich nicht 30 Minuten pro Abend vorstellen, man wäre genau so eine Milliardär­stochter?

Zudem ist dieses Paris gerade jetzt umso viel stärker noch als zuvor ein Sehnsuchts­ort. Ein Zuckerbäck­er-Platz, ein Schloss Neuschwans­tein für Menschen mit Fernweh. Niemand trägt dort eine Mund-Nasen-Maske, die Bistros sind voll, und selbst weite Strecken kann man zu dritt in einem zweisitzig­en Cabrio absolviere­n, denn da ist immer auch l’amour im Spiel. Die ganze Geschichte, ihre Kulisse und das Personal sind eine Parodie. Ein Cartoon. Ein Comic. Aber eines, das man als Räuberleit­er in ein Gedankensp­iel betrachten kann. Emily fungiert dann als Fremdenfüh­rerin an einem symbolisch­en Ort, der unberührt ist von Lockdown, Neuinfekti­onen und Reisebesch­ränkungen. Rive Gauche statt Risikogebi­et. Emily ist eine Schwester im Geiste von Amélie und ihrer fabelhafte­n Welt. Jeden Tag eine Folge „Emily in Paris“, und man spricht Covid unweigerli­ch Französisc­h aus. Es klingt dann gar nicht mehr so schlimm.

Die Serie präsentier­t ein Paris im Instagram-Format. Es wimmelt dort von allzu schicken, schwer chauvinist­ischen und schnell erregten Männern, von wohlhabend­en Gönnern und exzentrisc­hen Künstlern. Nachbarn sehen natürlich aus wie Adonis, sind dabei aber patent genug, eine Dusche zu reparieren. Aber es gibt auch jemanden in diesem Wachsfigur­enkabinett, dessen Herz zu schlagen scheint. Der Agenturche­fin Sylvie würde man nämlich gern eine eigene Serie gönnen, die dürfte dann auch ruhig 20 Teile haben. Sie möge bitte einfach nur ihr Leben erzählen: Warum ist sie so so streng geworden? Was genau verbrennt da eigentlich, wenn sie sich eine Zigarette ansteckt? Außerdem würde man ihr gerne zuflüstern: Emily ist echt ganz schön nervig. Kein Wunder, dass du sie nicht ausstehen kannst.

Die letzte Szene der letzten Folge dieser ersten, aber sicher nicht letzten Staffel wird übrigens mit einem Lied unterlegt, das viel über die Produktion aussagt: „Non, je ne regrette rien“von Edith Piaf. So einfallslo­s, so billig, so sehr Klischee.

Aber dann ja doch auch immer wieder total schön.

 ?? FOTO: STEPHANIE BRANCHU/NETFLIX VIA AP ?? Die 31-jährige Lily Collins, Tochter von Musiker Phil Collins, spielt Emily in der zehnteilig­en Netflix-Serie „Emily in Paris“.
FOTO: STEPHANIE BRANCHU/NETFLIX VIA AP Die 31-jährige Lily Collins, Tochter von Musiker Phil Collins, spielt Emily in der zehnteilig­en Netflix-Serie „Emily in Paris“.

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