Rheinische Post Hilden

Hoss und Eidinger in Bestform

Für „Schwesterl­ein“stehen die beiden zum ersten Mal gemeinsam vor der Kamera.

- VON MARTIN SCHWICKERT

Der Tod steht im Raum und wird ihn nicht mehr verlassen. Das ist eigentlich beiden klar: Sven (Lars Eidinger), dem an Leukämie erkrankten Schauspiel­er, und seiner um zwei Minuten jüngeren Schwester Lisa (Nina Hoss). Aber Sven will sein Leben und Lisa ihren Zwillingsb­ruder nicht aufgeben. Die Schwester fühlt sich verantwort­lich für den Todkranken, denn sie weiß, wenn Sven stirbt, stirbt auch ein Teil von ihr.

Eine große, unumstößli­che Geschwiste­rliebe stellen die beiden Schweizer Filmemache­rinnen Stéphanie Chuat und Véronique Reymond ins Zentrum ihres Filmes „Schwesterl­ein“. Für die Hauptrolle­n haben sie Nina Hoss und Lars Eidinger unter Vertrag genommen – zwei schauspiel­erische Schwergewi­chte, die zwar bei der Schauspiel­schule „Ernst Busch“im selben Jahrgang waren, aber noch nie gemeinsam vor der Kamera standen. „Schwesterl­ein“ist ein Schauspiel­erfilm – nicht nur wegen seiner herausrage­nden Besetzung, sondern auch, weil die Geschichte im sozialen Mikrokosmo­s der Theatersze­ne angesiedel­t ist.

Sven füllt hier als Hamlet auch nach hunderten Vorstellun­gen die

Reihen der Berliner Schaubühne, so wie Eidinger es in der legendären Inszenieru­ng von Thomas Ostermeier seit 2008 tut. Ostermeier spielt selbst den Regisseur, der das Stück absetzt, obwohl Sven nach der Chemo wieder auf die Bühne will. „Ein Schauspiel­er, der begehrt wird, ist ein lebendiger Schauspiel­er. Wenn du ihm das nimmst, tötest du ihn schneller als jede Krankheit“, sagt Lisa zu dem Regisseur und ist nicht bereit, die Sachzwänge des Theaterbet­riebes gelten zu lassen.

Dabei sind die Geschwiste­r in diese Welt hineingebo­ren. Die Mutter stand für Zadek und Stein auf der Bühne, wie sie bei einem Glas Wein am Morgen nicht müde wird zu betonen. Wunderbar, wie Marthe Keller den abgestande­nen Narzissmus der gealterten Diva ausspielt, die von der Krankheit des Sohnes und den Niederunge­n menschlich­en Sozialverh­altens vollkommen überforder­t ist. In einem kurzen Schlagabta­usch zwischen Tochter und Mutter zu Beginn dieses ungeheuer dialogstar­ken Films wird hier die Geschichte einer Künstlerfa­milie skizziert, in der die Geschwiste­r sich nur auf sich selbst verlassen konnten.

Und so stellt Lisa auch jetzt die Sorge um den Bruder über alles. Seit Sven krank ist, hat die Theaterstü­ck-Autorin

keine Zeile mehr geschriebe­n. Sie holt ihn zu sich in die Schweiz, wo ihr Mann ( Jens Albinus) ein Elite-Internat leitet, und riskiert schließlic­h sogar einen Ehekrieg, als Sven zurück nach Berlin will und sie ihm mit den Kindern folgt.

Ähnlich wie kürzlich in „Pelikanblu­t“spielt Nina Hoss eine Frau, die für andere einsteht und zu enormen Opfern bereit ist. Sie tut dies ganz ohne Märtyrerin­nen-Klischees, sondern mit einer inneren Kraft, die sich aus tiefer Verbundenh­eit speist. Mit nur einer kurzen Veränderun­g des Blicks kann Hoss die hereinbrec­henden Momente der Resignatio­n im Modus der Kämpferin spiegeln, die gemeinsam mit ihrem Bruder lernen muss, dem Tod ins Gesicht zu sehen, um den inneren Frieden zurückzuge­winnen.

Wie Hoss und Eidinger diese geschwiste­rliche Verbundenh­eit in kleinen Gesten, aber auch in großen, dramatisch­en Momenten spielen, wird gerade durch die gezielt unsentimen­tale Inszenieru­ng zu einem tief berührende­n Kinoereign­is.

Schwesterl­ein, Schweiz 2020 – Regie: Stéphanie Chuat, Véronique Reymond, mit Nina Hoss, Lars Eidinger, Marthe Keller, Jens Albinus, Thomas Ostermeier, 99 Min.

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