Gegen den Hass verbünden
NIZZA In der Innenstadt von Nizza herrscht bereits am frühen Morgen geschäftiges Treiben. Am Tag vor dem für Freitag angekündigten strengen Corona-Lockdown in Frankreich wollen sich viele Menschen noch mit den nötigsten Dingen des täglichen Lebens eindecken. Plötzlich fallen Schüsse, und vor der Basilika Notre-Dame, der größten Kirche der Metropole, bricht Panik aus. Nur Augenblicke nach den ersten Hilferufen sind Polizisten vor Ort, stürmen in die Basilika und überwältigen einen Mann.
Im Innern der Kirche bietet sich ihnen ein Bild des Grauens: Auf dem Boden liegen zwei leblose, blutüberströmte Menschen, eine dritte, schwerverletzte Person wird in einem nahegelegenen Bistro versorgt, auch sie stirbt wenig später.
Lange herrscht Unklarheit darüber, was sich genau in der Kirche zugetragen hat, die Polizei hüllt sich in Schweigen. Dann aber schreibt Christian Estrosi, Bürgermeister von Nizza, auf Twitter von einer „islamofaschistischen Tat“. Der Angreifer habe bei seiner Festnahme mehrfach „Allahu Akbar“gerufen, sagt er in den ersten Interviews. Laut Estrosi deutet „alles auf einen Terroranschlag hin“. Zu diesem Zeitpunkt hatte die französische Anti-Terror-Staatsanwaltschaft bereits die
Ermittlungen an sich gezogen. Kurz danach wurde von Frankreichs Premierminister Jean Castex die höchste Terrorwarnstufe ausgerufen, die „Urgence Attentat“.
Am frühen Nachmittag werden die ersten Einzelheiten der Bluttat bekannt. Nach Angaben eines Polizeibeamten gegenüber der Tageszeitung „Figaro“wurde eine ältere Frau von dem Angreifer in der Nähe des Weihwasserbeckens der Basilika getötet. Ihr sei die Kehle durchgeschnitten worden. Unweit davon sei das zweite Opfer gefunden worden, ein Mitarbeiter (55) der Kirche – auch er mit durchgeschnittener Kehle. Eine Frau habe dem Angreifer mit Schnittverletzungen entkommen können, sei aber ihren Verletzungen erlegen. Die Polizei spricht noch von sechs weiteren Verletzten. Der Täter wurde von den Beamten mit gezielten Schüssen außer Gefecht gesetzt und in eine Klinik gebracht. Kurz darauf wurde nahe der Kirche ein „verdächtiges Paket“gefunden und von der Polizei gezielt gesprengt, weil sie eine Bombe darin befürchtete – was sich allerdings als falsch herausstellte. Am Abend wurde bekannt, dass es sich bei dem mutmaßlichen Angreifer um einen Mann handeln soll, der 1999 in Tunesien geboren ist. Der konservative französische Abgeordnete aus dem Département Alpes-Maritimes, in dem auch Nizza liegt, Éric Ciotti, ergänzte
Die Botschaft aus Frankreich ist klar: Fanatiker verbreiten Angst und Schrecken, erklären einer anderen Religion, einer Nation den Krieg. Das sind die Muster des Terrors. Barbarisch. Man möchte sich abwenden voller Grauen, still trauern um die, die es getroffen hat. Und auch darüber, dass es mitten in Europa einmal mehr so weit gekommen ist.
Doch Wegsehen ist keine
Option. Es liegt auf der Hand, dass der Täter angeknüpft hat an die Ermordung des Lehrers Samuel Paty in Paris. Er hat die Gewalt noch gesteigert, ist in eine Kirche vorgedrungen. Das soll der Welt verkünden, dass in Frankreich ein Religionskrieg ausgebrochen sei. Ein Kampf, den Fanatiker beschwören, um ihren Hass zu begründen und sich mächtig zu fühlen.
Es wäre falsch, darauf einzusteigen und pauschal von einem Kulturkampf zu sprechen. Das treibt den Keil zwischen Bevölkerungsgruppen, den die Islamisten angesetzt haben. Davor sollte auch Deutschland sich hüten. Doch es ist zu einfach, wenn Islamverbände sagen, der Islam verbiete Gewalt, folglich hätten die Angriffe nichts mit dem Islam zu tun. Wenn solche Taten in digitalen Netzwerken auch unter weniger radikalen Muslimen Applaus finden, dann scheint die Saat des Hasses bereits aufgegangen zu sein. Dagegen müssen sich alle verbünden, die erschüttert auf die Taten in Frankreich blicken – Christen wie Muslime.
Dorothee Krings