Rheinische Post Hilden

Das Grauen vor Gericht nach Jahren noch einmal durchlebt

Das Opfer muss im Prozess gegen einen weiteren Mittäter noch einmal den brutalen Raubüberfa­ll in allen Einzelheit­en schildern.

- VON SABINE MAGUIRE

HAAN „Mein Leben hat an diesem Tag aufgehört.“Wer so etwas sagt, muss Dinge erlebt haben, für die es keine Worte gibt. Und wer so etwas hört, der weiß: Hier wurde jemand zutiefst in der Seele erschütter­t. Die Sprache gerät an ihre Grenzen, wenn es um traumatisc­he Erlebnisse geht. Auch die beeindruck­ende Eloquenz des 85-Jährigen Pensionärs, der im Mai 2017 in seinem Haus überfallen worden war.

Und dennoch musste der Mann nun erneut erzählen, was sich damals stundenlan­g vor seinen verbundene­n Augen abgespielt hatte. Das hat er zuvor schon mehrfach bei der Polizei getan und dann wieder beim Prozess gegen vier Angeklagte im Sommer 2018. Weil der Drahtziehe­r des Überfalls wegen diverser Geldtransp­orter-Überfälle in Hagen angeklagt war, musste er auch dort aussagen.

Nun gibt es einen weiteren Angeklagte­n, dem der Prozess gemacht wird – und wieder musste der Pensionär sich daran erinnern, wie er geknebelt und gefesselt im Wohnzimmer auf seinem Stuhl saß. Wie ihm die Täter damit drohten, ihn zerteilen und ihrem „Chef“im Plastiksac­k zukommen lassen zu wollen. Wie er geschlagen wurde und getreten. Wie man ihm damit gedroht hat, ihm einen Finger abzuschnei­den. Und immer wieder dieser Satz: „Wo ist dein Geld?!“

Am Ende habe man ihn mit Brandbesch­leuniger bespritzt. „Als sie mich auszogen, habe ich mit meinem Leben abgeschlos­sen“, erinnert sich der 85-Jährige. Was er sonst noch über diese Augenblick­e sagt, lässt eines deutlich werden: Es gibt diesen Moment im Erleben eines Opfers, in dem sich die Seele aus dem Geschehen ausschalte­t. Weil es zu unerträgli­ch ist. Weil man nicht kämpfen kann und nicht fliehen. Weil es keinen Ausweg mehr gibt.

Der Pensionär war damals gefesselt und geknebelt auf die Terrasse gesetzt worden. Zuvor hatte man dem Mann gesagt, dass es gleich warm werden würde. Kurz darauf stand das Haus in Flammen – er selbst konnte sich auf eine Wiese rollen, bevor die brennende Markise hinter ihm abbrach. Ein Nachbar hatte den 85-Jährigen bis auf die Unterhose entkleidet im Garten liegend gefunden und die Rettung gerufen. Die Feuerwehr löschte, die Polizei sicherte Spuren, befragte Zeugen und fotografie­rte das Opfer.

Es ist erschütter­nd, sich so etwas später anschauen zu müssen. Wunden an den geknebelte­n Händen, Hämatome im Gesicht: Man möchte dem Richter zurufen, die Bilder doch bitte beiseite zu legen und dem Gewaltopfe­r keine Fragen mehr zu stellen. Wohlwissen­d, dass das nicht geht. Derweil erzählt der Pensionär von dem Tag zwei Jahre nach der Überfall, an dem er plötzlich nicht mehr habe aufstehen können. Von monatelang­en Klinikaufe­nthalten ohne Diagnose, von posttrauma­tischem Stress. Wo die Worte aufhören, spricht der Körper.

Wie wunderbar scheint es derweil den Tätern zu gelingen, die Sache vom Zettel zu streichen. Der 37-jährige Angeklagte will stundenlan­g auf der Terrasse ausgeharrt haben, während zwei Mittäter im Haus das Opfer malträtier­t und die anderen drei „Schmiere gestanden“hätten. Einer der bereits verurteilt­en und nun als Zeuge gehörten Mittäter will nicht dabei gewesen sein. Der Drahtziehe­r

konnte sich auch diesmal um seine Aussage vor dem Wuppertale­r Gericht drücken, weil sein Urteil in Hagen noch nicht rechtskräf­tig ist.

Ein weiterer Mittäter scheint gesegnet zu sein mit Erinnerung­slücken, mittels derer er sich bei seiner ersten Vernehmung als Zeuge beinahe eine Anzeige wegen falscher Aussagen eingehande­lt hätte. Nun war er ein zweites Mal geladen – und kam gleich mit seinem Anwalt. Damit wurde ihm mehr Schutz zuteil, als zuvor dem Opfer. Der 85-Jährige hatte erst wenige Tage zuvor erfahren, das er alles nochmal vor dem Richter erzählen muss. Da sei es bereits zu spät gewesen, um seinen Anwalt um Beistand bitten zu können.

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