Aus Angst keine Anzeige erstattet
Nur jede vierte Körperverletzung und etwa jede 100. Beleidigung wird der Polizei gemeldet. Das sind die Ergebnisse einer sogenannten Dunkelfeldstudie im Auftrag der Landesregierung. Ein Grund: fehlendes Vertrauen in Ermittlungen.
DÜSSELDORF Mehr als die Hälfte (57,9 Prozent) der Menschen in Nordrhein-Westfalen sind in ihrem Leben mindestens einmal Opfer von körperlicher, sexueller oder psychischer Gewalt geworden; allein im Zeitraum von September 2018 bis August 2019 betrifft das 26 Prozent der NRW-Bevölkerung. Das geht aus der neuen Dunkelfeldstudie zu Gewalt und Kriminalität in NRW hervor, für die 60.000 Menschen in 81 Städten des Landes befragt wurden.
Die Studie, die eine halbe Millionen Euro gekostet hat, geht über das sogenannte Hellfeld der jährlichen Kriminalitätsstatistik hinaus. „Sie zeigt, dass viele Menschen die Frage nach Sicherheit in ihrem persönlichen Umfeld umtreibt. Diese Sorgen nehmen wir sehr ernst“, sagte NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU). Demnach wird landesweit nur jede vierte Körperverletzung und etwa jede 100. Beleidigung bei der Polizei angezeigt. „Viele meinen, dass die Taten nicht schwerwiegend genug sind, um sie anzuzeigen“, sagte Heimatministerin Ina Scharrenbach (CDU). Aber auch schlechte Erfahrungen und fehlendes Vertrauen in die Ermittlungsarbeit („wird sowieso nicht aufgeklärt“) spielen eine Rolle.
Beim Anzeigeverhalten kommt es auch auf die Schwere der Tat an; ein Angriff mit einer Waffe wird in rund 40 Prozent der Fälle auch angezeigt, bei Raub liegt die Quote bei 45 Prozent. Die Gründe, eine Straftat zur Anzeige zu bringen, unterscheiden sich bei Männern und Frauen.
„Frauen wollen damit sich und andere schützen“, sagte Scharrenbach. „Männer wollen, dass der Täter gefasst wird, und sie machen das wegen Schadenersatz.“
Die Menschen fühlen sich dort sicher, wo sie sich auskennen. Sind Nachbarschaft und Wohngegend intakt, fürchten sich die Bürger auch nicht. Unsicherheit hingegen erzeugen dunkle, unbekannte und verdreckte Räume – und auch die Tageszeit spielt eine Rolle. Laut Studie treten Unsicherheitsgefühle bei Frauen insbesondere nachts auf. „Sie fühlen sich im öffentlichen Personennahverkehr unsicherer als Männer und bewerten das Risiko, Opfer einer Straftat zu werden höher als Männer“, heißt es in der Erhebung.
Während 13 Prozent der Frauen fürchten, sexuell belästigt zu werden, sind es nur vier Prozent der Männer.
Ein weiteres Ergebnis der Studie ist, dass viele Gewaltopfer nicht wissen, an wen sie sich wenden sollen. Demnach nimmt mehr als jeder zehnte Betroffene keine Hilfe in Anspruch. Kritik kommt deswegen
von der SPD. „Es darf nicht sein, dass Gewaltopfer nicht über die notwendigen Informationen verfügen und deshalb oftmals auf sich alleine gestellt sind“, sagte Anja Butschkau, frauenpolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion.
Die Deutsche Polizeigewerkschaft begrüßt die Studie. „Opfer und Täter sind aus dem Dunkelfeld zu holen und Straftaten zur Anzeige zu bringen, das ist genau der richtige Ansatz. So können Polizei, Verwaltung und Justiz zielgerichtet handeln“, sagte Erich Rettinghaus, Landesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft.
Für die Gewerkschaft der Polizei geht die Studie dagegen nicht weit genug. „Das ist ein guter Ansatz. Aber um im Bild zu bleiben: Die Dunkelfeldstudie ist nicht erhellend genug“, sagte Michael Mertens, Landes-Chef der Gewerkschaft. Sinnvoller sei ein periodischer Sicherheitsbericht, in der sämtliche Erkenntnisse zur Kriminalität erfasst werden.