„Ein Sportplatz ist kein rechtsfreier Raum“
Der Vorsitzende des Fußballkreises Düsseldorf spricht über Corona und die Zunahme körperlicher Attacken im Amateurfußball.
KREIS METTMANN Die Corona-Pandemie bestimmt seit mehr als einem halben Jahr den Alltag der Menschen. Auch die Amateurfußballer sind davon betroffen. Doch dem Fußballverband Niederrhein macht auch die zunehmende Gewalt auf den Sportplätzen Sorgen. Bernd Biermann, Vorsitzender des Fußballkreises Düsseldorf, weiß um die Nöte der Kicker.
Neben zwei Mannschaften und dem Schiedsrichtergespann spielt in diesen Monaten auch das Coronavirus mit.
BERND BIERMANN Die Corona-Verdachtsfälle und die Meldungen tatsächlich Infizierter haben stark zugenommen. Teilweise war es sehr wenig, aber am letzten Wochenende vor der Pause mussten wir fünf von 18 Pokalspielen absagen.
Was bedeutet die aktuell von Bund und Land verordnete Meisterschaftsund Trainingspause kurzfristig für den Spielbetrieb, was sind die langfristigen Folgen? BIERMANN Für den Amateurfußball ist die Zwangspause eine Katastrophe, unabhängig davon, dass sie bei diesen Zahlen notwendig ist. Der Lockdown soll am 30. November enden und da können wir nicht sagen, am 1. Dezember wird gespielt. Man muss den Vereinen zunächst die Gelegenheit geben zu trainieren. Da ist nicht mehr viel Luft bis zum Jahresende. Wir bekommen noch zwei oder drei Spieltage hin, es sei denn, wir machen englische Wochen. Und da spielt dann ja auch noch der liebe Wettergott im Hintergrund mit – und das Coronavirus wird nicht weg sein. Gerade in der Oberliga gibt es noch eine ganze Reihe von Nachholspielen. Ob die Entscheidung für eine 23er-Gruppe richtig oder falsch war, ist egal – da müssen wir jetzt durch.
In der letzten Saison hat der Fußballverband Niederrhein die Saison abgebrochen – droht ein ähnliches Szenario in dieser Spielzeit? BIERMANN In die Satzung wurde extra ein Passus eingebaut: Wenn 50 Prozent der Spiele absolviert sind, kann eine Wertung vorgenommen werden. Damit kann die Saison gerettet werden, dann gibt es Auf- und Absteiger.
Dann würde wieder eine Quotenregelung greifen?
BIERMANN Die ist notwendig, wenn nicht alle Mannschaften die gleiche Anzahl von Spielen absolviert haben. Schwierige Zeiten erfordern schwierige Entscheidungen, die nicht immer auf Gegenliebe stoßen. Man darf jetzt aber auch nicht abwarten, wie es mit den Infektionszahlen weitergeht, sondern muss in den nächsten zwei bis drei Wochen Konzepte ausarbeiten: Wie bekommen wir den Spielbetrieb hin?
Gibt es im Fußballkreis Düsseldorf schon Gedankenspiele?
BIERMANN Der Fußballausschuss ist dabei zu überlegen, wie man die Kreisliga A mit aktuell 20 Teams und den jetzt angeordneten Spielausfällen über die Bühne bekommen kann. In den Planungen schießt ja auch noch der Pokalwettbewerb dazwischen. Wir müssen abwarten, wie es Ende November weitergeht – in jedem Fall ist das momentan ein Fulltime-Job. Ich bin froh, dass ein großer Teil der Ehrenamtler, die für den Kreis Düsseldorf tätig sind, nicht mehr im Beruf steht und die Zeit hat, sich mit Fußball zu beschäftigen. Eine Videokonferenz jagt momentan die nächste.
Wie wirkt sich die Corona-Pandemie auf den Fußballer als Mensch aus? Der Kreis beklagt eine Zunahme der Gewalt – ist das auch eine Folge der Corona-Pandemie? BIERMANN Seit Beginn der Saison habe ich die Spieler deutlich aggressiver erlebt. Die Leute sind reizbarer, dadurch knallt es häufiger – das ist einfach so, das kann man nicht wegdiskutieren. Ich bin seit vielen Jahren im Fußball tätig, hatte viel mit Gewaltdelikten zu tun, in dieser Häufung habe ich das aber noch nicht erlebt. Das ist einfach sensationell, was da abgeht – nicht nur im Kreis Düsseldorf, sondern auch auf Verbandsebene.
Wie macht sich die zunehmende Gewalt bemerkbar? Massenschlägereien sind doch nicht an der Tagesordnung,
oder?
BIERMANN Das Gewaltverhalten hat sich verändert, es geht querbeet: Spieler gegen Spieler, Zuschauer gegen Spieler, Trainer gegen Spieler. Die Schiedsrichter sind dabei noch ganz gut weggekommen. Ich habe mittlerweile das Gefühl, dass die Leute glauben, wenn sie durch das Eingangstor auf die Sportanlage gehen, begeben sie sich in einen rechtsfreien Raum: Da kann ich tun, was ich will. Oft gibt es nur ein paar Spiele Sperre oder eine Geldstrafe, das ist das große Problem, dem müssen wir entgegenwirken. Der Statistik nach hatten wir an den ersten fünf Spieltagen in unseren Kreisligen fast 1000 persönliche Strafen. Es gab bereits 60 Feldverweise – Gelb-Rot oder Rot – und fünf Spielabbrüche. Das hatten wir in den Jahren zuvor über die ganze Saison. Momentan sind das Zustände wie im Wilden Westen. Viele Dinge
passieren aus der Emotion heraus, das kann immer sein. Jetzt geht es aber weiter und Gewalt spielt eine Rolle. Für den Abbau von Aggressionen reicht offenbar das Spiel allein nicht mehr. Wenn einer am Boden liegt, wird noch draufgetreten – das ist nicht nur einmal passiert. Es gab auch einen Vorfall, bei dem ein Zuschauer, eine Bierflasche zerschlagen hat und damit auf Spieler zuging.
Wie wollen Verband und Kreis das Problem in den Griff bekommen? BIERMANN Im Rahmen einer Arbeitstagung haben wir gemeinsam mit Vereinsvertretern, Trainern und Spielführern das Thema diskutiert und nach Lösungen gesucht. Leider hat uns auch hier Corona einen Strich durch die Rechnung gemacht. Die fruchtbar angelaufenen Gespräche mussten wir leider wegen des Lockdowns unterbrechen. Zwei Dinge
haben sich bisher allerdings herauskristallisiert. Wir raten: Erstattet bei Gewaltdelikten, sei es körperlich oder verbal, einfach Strafanzeige – ein Sportplatz ist kein rechtsfreier Raum. Dabei geht es aber nicht um die 08/15-Vergehen, sondern um die massiven Sachen. Die körperlichen Attacken haben deutlich zugenommen, es gibt Tumulte, es wird geschlagen, getreten und gewürgt. Ein Schiedsrichter hat einen Schlag gegen den Kehlkopf bekommen, ein anderer ist niedergeschlagen worden. Aus den Vereinen heraus kam der Vorschlag, das Sportgericht solle deutlich härtere Strafen verhängen und das Strafmaß ausschöpfen. Dies wird mittlerweile auch, wie die jüngsten Urteile zeigen, umgesetzt. Wir müssen uns auch in naher Zukunft weiterhin mit dem Thema Rassismus beschäftigen. Heutzutage wird vieles sofort auf die Schiene Rassismus geschoben und damit auch Gewaltdelikte begründet. Es ist leicht, diese Keule herauszuholen, um alles zu rechtfertigen, aber mit Sicherheit nicht richtig. Wir werden uns intensiv mit diesem Thema beschäftigen und uns auch die Frage stellen müssen: Ist Rassismus eine Einbahnstraße?
Wie sehen Sie die weitere Entwicklung?
BIERMANN Jahrelang habe ich gesagt, wir schweben im Kreis Düsseldorf auf Wolke sieben, was Gewalt betrifft, doch diese Wolke ist abgestürzt. Ich hätte es nicht geglaubt, aber ruckzuck ging es runter. Die Recht sprechenden Stellen sind ins Schwimmen geraten, weil sie nicht mehr wissen, wie sie alles bearbeiten sollen. Im Sportgericht sitzen Ehrenamtler. Das sind Leute, die morgens ihren Beruf ausüben und abends ehrenamtlich tätig sind. Mehr als einen Fall kann das Sportgericht am Abend nicht bewältigen – teilweise dauern die Sitzungen bis zu fünf Stunden. Ich befürchte, dass die negativen Schlagzeilen auch den Zulauf von Schiedsrichtern verhindern. 13 bis 16 Jahre: Das ist die Zielgruppe, die wir gerne hätten. Man hat aber immer wieder festgestellt, dass Gewaltdelikte abschreckend wirken. Haben wir aber ein Sommermärchen, schwärmen die Leute zum Fußball. Fußball ist zweifellos ein Spiegelbild der Gesellschaft, zugleich frage ich mich immer wieder: Warum passiert das nicht beim Handball, Basketball oder Volleyball? Es ist immer wieder ein Genuss zu sehen, wie schiedlich-friedlich dort alles abläuft.