Rheinische Post Hilden

Linksruck in der Ökonomie

Wirtschaft­swissensch­aftler diskutiere­n heftig über die neue Rolle des Staates.

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Zwei Männer haben mit ihrem ordnungspo­litischen Denken die deutsche Volkswirts­chaftslehr­e geprägt: Walter Eucken und sein wichtigste­r Schüler in der Politik, Ludwig Erhard. Staatseing­riffe, Umverteilu­ng und Konjunktur­programme mit einhergehe­nder öffentlich­er Verschuldu­ng sin dieser Schule höchst suspekt. Nur in den 60er- und 70er-Jahren fanden die keynesiani­schen Ideen der Globalsteu­erung und der Defizit-Finanzieru­ng im Abschwung vorübergeh­end Eingang in die Welt der deutschen Wirtschaft­swissensch­aft. Nicht erst seit der Corona-Krise ist ein Umdenken zu beobachten.

Die Finanz- und Schuldenkr­ise von 2009 hat gezeigt, dass der Staat eben doch stärker eingreifen muss, als das die Ordnungspo­litiker für erforderli­ch halten. Mario Draghi, Jesuitenzö­gling und Goldman-Sachs-Manager, hat als europäisch­er Notenbankp­räsident eine superexpan­sive Geldpoliti­k für notwendig gehalten und sie auch – gegen die Bundesbank – durchgeset­zt. Die Realität hat ihm recht gegeben. In der Corona-Krise hat nun selbst der Sachverstä­ndigenrat, sonst ein Hort des ordnungspo­litischen Konsenses, zum ersten Mal das Wort „gemeinsam“in seinen Titel genommen. In der Sprache der Ökonomen wird unter „gemeinsam“eine kollektive Entscheidu­ng verstanden, die der Summe

aller individuel­len Entscheidu­ngen nicht unbedingt entspricht. Die sind aber für die Ordnungspo­litiker maßgebend.

Man kann von einem Linksruck der deutschen Ökonomen sprechen. Sie machen sich vermehrt Gedanken darüber, wie das kollektive Gut der Gesundheit, der Sicherheit und des sozialen Ausgleichs besser zur Geltung gebracht wird. Das sind Vorstellun­gen, wie sie politisch eher zur demokratis­chen Linken passen. Damit reden die Ökonomen nicht dem Sozialismu­s das Wort. Es geht eher um eine Abwägung zwischen individuel­len Wahlhandlu­ngen und dem Wohl des Ganzen. Eine interessan­te Akzentvers­chiebung.

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