Prozess gegen fünf Angeklagte wegen Kindesmissbrauchs
MÜNSTER Am Donnerstagnachmittag bekommt das Unfassbare ein Gesicht: Doch zunächst versucht Adrian V., der Hauptbeschuldigte im Missbrauchskomplex Münster, seines hinter einem Aktenordner zu verbergen. Über den Kopf hat der 27-Jährige eine Kapuze gezogen, als er Gerichtssaal zwischen seinen Verteidigern Platz nimmt; zwei Reihen dahinter sitzt auch seine Mutter auf der Anklagebank.
Wie der IT-Fachmann aus Münster, der als Schlüsselfigur des Missbrauchsgeschehens
gilt, verbergen die übrigen vier Angeklagten ihr Konterfei. Kennengelernt und verabredet haben sie sich offenbar im Internet auf einer einschlägigen Plattform für Pädophile, wie die Staatsanwaltschaft meint.
Erst als die Fotografen und Kameraleute den Saal verlassen haben, fallen Ordner und Aktenmappen vor den Gesichtern derer, die zwei Jungen im Alter von fünf und zehn Jahren in einer Gartenlaube unweit der Wohnung von Adrian V. im Norden Münsters unermessliches Leid angetan haben sollen. Aber nicht nur dort. Und nicht nur diesen beiden Kindern.
Solange die Öffentlichkeit im Saal zugelassen ist, trägt der 27-jährige Münsteraner seine Corona-Maske. Sie lässt so gerade die Augenpartie unter der hohen Stirn erkennen. In einer kurzen Verhandlungspause blättert Adrian V. fahrig in den vor ihm liegenden Akten, fixiert die Zuschauer mit starren Augen durch die Brillengläser, während seiner Mutter beim Gespräch mit ihren Anwälten ein Lächeln über das Gesicht huscht. Ein Ausdruck von Reue über das, was die Staatsanwaltschaft juristisch schweren sexuellen Kindesmissbrauch nennt, ist in diesen Momenten kaum auszumachen.
Alles Weitere entzieht sich am Mittag jedoch den Augen und Ohren der Öffentlichkeit. Nach kurzer Beratung müssen die wenigen Journalisten und drei Zuschauer – mehr waren wegen Corona nicht zugelassen – den großen Saal verlassen. Bei der Verlesung der 25 Seiten aus zwei verbundenen Anklagen dürfen sie nicht zuhören – um die Intimsphäre der minderjährigen Opfer, die sich nach Auskunft der Staatsanwaltschaft in Obhut der Jugendämter befinden, zu schützen. In dem Verfahren geht es um Missbrauchsvorwürfe in einem Zeitraum zwischen 2018 und Mai 2020.
Auch der Rechtsanwalt von Adrian V. beantragt den Ausschluss der Öffentlichkeit unter Verweis darauf, dass in dem Prozess das Sexualleben des Angeklagten eine Rolle spielen werde. Doch darauf geht der Vorsitzende Richter gar nicht mehr ein: Denn er hat seine Begründung bereits auf die schutzwürdigen Interessen der Opfer gestützt.
Im weiteren Prozessverlauf bleiben die Türen des Gerichtssaals zunächst versperrt. Ob sich das später noch ändern wird, ließ der Vorsitzende der Strafkammer genauso offen wie die Entscheidung über die Befangenheitsanträge gegen das Gericht. Einlassungen der Angeklagten gibt es zum Prozessauftakt nicht. Sie sollen am Freitag Gelegenheit bekommen, sich zu den schrecklichen Geschehnissen in der Gartenlaube zu äußern, zu der der Staatsanwaltschaft rund 30 Stunden Videomaterial vorliegen sollen. Die Kamera dort hatte AdrianV. den Ermittlungen zufolge selbst über einem Bett installiert.