Niederlande steuern die Trendwende an
Die Ansteckungskurve wird flacher, die Zahl der Patienten in Kliniken sinkt: Die Corona-Lage im Nachbarland scheint sich zu entspannen.
AMSTERDAM Hubert Bruls trat auf die Bremse. „Es wird jedenfalls nicht das Weihnachten und Silvester, wie wir es aus dem letzten Jahr kennen“, machte der Bürgermeister von Nijmwegen unmissverständlich klar. Soeben war die wöchentliche Sitzung der sogenannten Sicherheitsregionen zu Ende gegangen – ein Organ, das seit dem Pandemie-Ausbruch in den Niederlanden erhebliche Bedeutung genießt, und das von Bruls geleitet wird. Auch der Justiz- und Sicherheitsminister Ferd Grapperhaus mahnte bei dem Treffen in Utrecht zur Vorsicht:„Vor diesem Virus müssen wir sehr auf der Hut bleiben,“sagte er.
Mit solchen Unwägbarkeiten kann man durchaus leben in den Niederlanden – vor allem, wenn man bedenkt, wie die Lage vor einem Monat war. Solange ist es her, dass die Regierung in Den Haag als eine der ersten in Europa wieder in einen Teil-Lockdown schaltete, die Gastronomie schloss, den Breitensport auf Eis legte und die Zahl sozialer Kontakte stark beschränkte. Man befürchtete, dass Mitte November drei Viertel der Krankenhaus-Kapazitäten für Covid-19-Patienten benötigt würden.
Inzwischen ist die Trendwende sichtbar: Die tägliche Zahl positiver Tests, die Ende Oktober trotz des neuen Lockdowns auf mehr als 10.000 stiegen und damals die Zahlen in Deutschland übertrafen, liegt jetzt deutlich unter 5000. Auch die Zahlen der Krankenhaus-Aufnahmen sinken und damit die Zahl derjenigen, die auf Intensivstationen behandelt werden müssen.
„Wir sind über die Spitze der zweiten Welle hinweg“, sagte Gesundheitsminister Hugo de Jonge. Zur Euphorie bestehe zwar kein Anlass, alles in allem aber scheint es, als hätten die Niederlande bei der gefürchteten zweiten Welle gerade rechtzeitig die Kurve bekommen. Die strengen Maßnahmen vom Oktober zahlen sich nun aus. Die zwischenzeitlich hohe Nervosität lässt sich daran erkennen, dass die Regierung vor einer Woche noch einmal nachbesserte und auch Schwimmbäder, Museen, Theater, Kinos, Bordelle, Zoos und Freizeitparks dichtmachte. Selbst eine erneute Schließung der Schulen stand zur Debatte. Dass Minister De Jonge mit seiner Einschätzung grundsätzlich richtig liegt, zeigt sich auch in der Arbeit der kommunalen Gesundheitsdienste (GGD) im Nachbarland. Dort ist man inzwischen wieder in der Lage, eine vollständige „Quellen- und Kontakt-Untersuchung“bei positiven Corona-Tests zu bewältigen.
Selbst in Amsterdam, dem Epizentrum der zweiten Welle, ist die Kontaktnachverfolgung nun wieder uneingeschränkt möglich. „Wir haben deutlich mehr Kapazitäten“, sagte eine Mitarbeiterin des GGD unserer Redaktion. „Die Zahl positiver Tests nimmt ab. Wir sind vorsichtig optimistisch.“Das liegt aber womöglich auch daran, dass in den vergangenen zwei Wochen weniger Tests angefragt wurden. „Die Ursache könnte sein, dass jetzt kommerzielle Schnelltests erhältlich sind.“
Man fühlt sich dieser Tage an ein weithin bekanntes niederländisches Lied erinnert: „We zijn er bijna, maar nog niet helemaal.“Ins Deutsche übersetzt heißt das so viel wie: „Wir haben es fast geschafft, aber noch nicht ganz.“Denn was wird passieren, wenn man die Maßnahmen lockert? Anfang nächster Woche wird sich Premierminister Mark Rutte wieder an die Bevölkerung wenden und die kommenden Schritte bekannt geben.
Hubert Bruls, der Nijmwegener Bürgermeister, sprach unlängst von der zentralen Bedeutung von Wachsamkeit. Nach dem ersten Lockdown lockten die Sommerferien, nun kommt die Zeit von „Sonderangeboten und Weihnachts-Shows“im Einzelhandel. Seine Botschaft: „Es geht nicht darum, dass Menschen nicht mehr in die Geschäfte dürfen. Aber Fun-Shoppen in großen Gruppen, das müssen wir sein lassen.“