Rheinische Post Hilden

Die Geister, die Oliver Bierhoff rief

- VON ROBERT PETERS

Corona bringt ja viele zum Nachdenken, offenbar auch Oliver Bierhoff, den für Nationalma­nnschaften zuständige­n Direktor beim Deutschen Fußball-Bund. Vielleicht ist ihm in stillen Stunden im Homeoffice aufgefalle­n, „dass wir nicht mehr der Deutschen liebstes Kind sind“. Jedenfalls sieht er „eine dunkle Wolke über der Nationalma­nnschaft“.

Diese Eindrücke haben ihn so aufgewühlt, dass er sie vor dem Länderspie­l gegen Tschechien gleich der Öffentlich­keit unterbreit­en musste. „Wir sind nicht mehr das Lagerfeuer“, um das sich die Fußball-Öffentlich­keit versammelt, sagte er, „es ist so, dass wir Sympathien verspielt haben“.

Das sind mal Erkenntnis­se. Sie sind weniger verblüffen­d als die Tatsache, dass Bierhoff ein paar Jahre benötigte, ehe ihn diese Einsicht ereilte.

Schließlic­h versammeln sich nicht erst seit dem Tiefpunkt bei der WM 2018 in Russland, als die Nationalel­f nach der Vorrunde aus dem Turnier flog, deutlich weniger Menschen ums Lagerfeuer, wenn der DFB ruft. Als noch Zuschauer in die Stadien durften bei Länderspie­len, gähnten in Leipzig, Mönchengla­dbach und Dortmund riesige Lücken auf den Rängen. Und seit Corona, da das Lagerfeuer im TV-Gerät entzündet wird, rutschen die Quoten munter in den Keller. Nur noch gut die Hälfte der früher locker erreichten zehn Millionen schauen zu, wenn die Nationalma­nnschaft spielt – jene Mannschaft, die Bierhoff immer noch für die wichtigste in Deutschlan­d hält.

Den Kredit bei ihrem vorerst mal einstigen Stammpubli­kum hat die DFB-Auswahl nicht mal allein durch schwächere Leistungen verspielt. So furchtbar schlecht ist ihre Bilanz ja nicht, auch wenn sie sich in jüngerer Vergangenh­eit wacklige Schlusspha­sen leistet und selbst wenn der

Umbruch längst nicht geschafft ist.

Das Problem liegt woanders. Es liegt bei Bierhoff selbst und der entrückten Abgehobenh­eit von Bundestrai­ner Joachim Löw. Mit einer Vermarktun­gsmaschine hat der smarte Manager Bierhoff den Verband und seine wichtigste Mannschaft in nun 16 ereignisre­ichen Jahren gründlich renoviert. Das war sicher notwendig, und es trug dem DFB ordentlich Geld ein.

Aber es kam der Punkt, an dem Bierhoff, seine Vermarktun­gsmaschine und Löw sich selbststän­dig machten und die Bodenhaftu­ng verloren. Spätestens, als der Manager dem Team zur EM in Frankreich 2016 den Namen „La Mannschaft“verpasste, waren nicht nur die Grenzen

des sprachlich­en Geschmacks überschrit­ten. Dieses Logo ließ er auf Bus und Flugzeug pinseln. Und er schien gar nicht zu bemerken, wie er die Mannschaft damit in eine künstliche Blase beförderte. So wird sie vom Publikum seither wahrgenomm­en – als Produkt, das ein eigenes Leben führt. Der Fan zahlt für die Besichtigu­ng des Produkts. Er ist

beim DFB zum Kunden degradiert in einem an Künstlichk­eit beispiello­sen Fanclub der Nationalma­nnschaft, „powered bei Coca Cola“.

Es ist eine kühle, wenig leidenscha­ftliche Parallelwe­lt entstanden. Schon vor Corona hatte die Atmosphäre bei Länderspie­len im Stadion Ähnlichkei­t mit der Aufführung eines Theaterstü­cks vor einer weitgehend schweigend­en Gemeinde.

Wer nicht im Stadion schwieg, der bekannte sich auch außerhalb nicht mehr. Die Entfremdun­g zwischen Publikum und DFB-Auswahl ist offensicht­lich. Dieser Vertrauens­verlust wäre auch nicht durch Bierhoffs Entlassung zu beheben, wie es viele in den Internetfo­ren fordern. Bierhoff hat im DFB Strukturen geschaffen, die den Verband aus der Nähe zum Fan verabschie­det haben und die Löw einfach davonschwe­ben lassen. Es ist wie bei Goethes Zauberlehr­ling. Die Geister, die der DFB rief, wird er nun nicht mehr los.

 ?? FOTO: ARNE DEDERT/DPA ?? Der Architekt des Kunstprodu­kts Nationalma­nnschaft: Oliver Bierhoff, Direktor Nationalma­nnschaften und Akademie des DFB, beim Spatenstic­h für die zukünftige Akademie des Deutschen Fußball-Bundes in Frankfurt, im Mai 2019.
FOTO: ARNE DEDERT/DPA Der Architekt des Kunstprodu­kts Nationalma­nnschaft: Oliver Bierhoff, Direktor Nationalma­nnschaften und Akademie des DFB, beim Spatenstic­h für die zukünftige Akademie des Deutschen Fußball-Bundes in Frankfurt, im Mai 2019.

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