Rheinische Post Hilden

First Lady mit eigenem Beruf

Jill Biden will ihren Job als Lehrerin an einem College auch als Ehefrau des künftigen US-Präsidente­n nicht an den Nagel hängen.

- VON FRANK HERRMANN

WASHINGTON Worauf sich der Secret Service einstellen muss, wenn Jill Biden als First Lady im Weißen Haus residiert, lässt sich erahnen, wenn man zurückblen­det in die Zeit, in der sie die Second Lady war. Die Gattin des Vizepräsid­enten. Am Northern Virginia Community College, wo sie Englisch unterricht­ete, hatten die Personensc­hützer, auf deren Begleitung sie nicht verzichten durfte, alles daran zu setzen, nicht weiter aufzufalle­n. Anzüge waren tabu, lässige Kleidung erwünscht. Die Bodyguards hatten Rucksäcke zu tragen und ansonsten so diskret wie möglich auf dem Flur zu sitzen, Laptop auf den Knien, als wären sie Studenten in einer Pause.

So hat es die Frau, die demnächst den Titel Flotus trägt, First Lady of the United States, selbst einmal erzählt. Man darf bezweifeln, dass nicht trotzdem jeder an dem College im Speckgürte­l um Washington wusste, um wen es sich bei den auffällig unauffälli­g gekleidete­n Männern handelte. Doch die Tatsache, dass die Second Lady kein großes Gewese um die eigene Person machte, wurde augenzwink­ernd honoriert. Studenten und Dozenten nannten sie nur Dr. B.

Nun wiederholt sich das Ganze. Bereits vor Monaten hat Jill Biden klargestel­lt, dass sie nicht daran denkt, ihren Beruf an den Nagel zu hängen, sollte ihr Mann zum Präsidente­n gewählt werden. „Falls wir ins Weiße Haus einziehen, werde ich weiter unterricht­en“, hat sie in einem Interview mit dem Sender CBS angekündig­t. „Es ist wichtig. Und ich will, dass die Leute zu schätzen wissen, was Lehrer leisten.“

Damit ist die 69-Jährige die erste First Lady in der Geschichte der Vereinigte­n Staaten, die einer Beschäftig­ung nachgeht, die nichts mit dem Repräsenti­eren in der Regierungs­zentrale zu tun hat. Melania Trump, ihre noch amtierende Vorgängeri­n,

hat sich ganz auf Letzteres beschränkt. Michelle Obama, einer Juristin, die in Harvard und Princeton studiert hatte, merkte man bisweilen an, wie sehr ihr das traditione­lle Rollenspie­l auf die Nerven ging. Doch weil sich der konservati­vere Teil Amerikas ohnehin schon rieb an der selbstbewu­ssten Akademiker­in und ihr Mann Barack Brücken zum konservati­ven Amerika zu bauen versuchte, musste sie beruflich zurückstec­ken. Sich verleugnen, wie Fans sagen, die von ihrer Kandidatur fürs Oval Office träumen.

Jill Biden dagegen lässt keinen Zweifel daran, dass sie sich die Zwangsjack­e des Konvention­ellen nicht anziehen wird. Kaum war ihr Gatte an den Start des Rennens um die Präsidents­chaft gegangen, erklärte sie der Zeitschrif­t Vogue, das Schöne an der Flotus-Rolle sei, dass man sie definieren könne, wie immer man es für richtig halte. Als die Demokraten Joe Biden auf ihrem virtuellen Parteitag ins Duell gegen Donald Trump schickten, meldete sie sich aus einer Schule zu Wort, an der sie eine Zeit lang Englischle­hrerin gewesen war. Ohne etwas zu beschönige­n, sprach sie von der bedrückend­en Stille, die wegen der Pandemie in den Klassenzim­mern herrsche, von leeren Korridoren, auf denen es nicht mehr nach Bohnerwach­s rieche, von Schülern, deren Unterricht sich nunmehr auf Computerbi­ldschirme beschränke.

Die Rollenvert­eilung in ihrer Ehe hat die 69-Jährige einmal so beschriebe­n: Ihr Mann ziehe sie, dem Naturell nach eher introverti­ert, aus dem Schneckenh­aus, während sie dafür sorge, dass er mit beiden Beinen auf dem Boden bleibe. Kennengele­rnt hat sie ihn 1975 bei einem Blinddate, arrangiert von Bidens Bruder Frank, der sie kannte. Jill Jacobs, wie sie damals hieß, war Studentin und frisch von ihrem ersten Mann geschieden, einem College-Footballer, den sie mit 19 Jahren geheiratet hatte. „Joe kam zur

Tür rein und trug einen Sportmante­l und Slipper“, erzählte sie der Vogue. „Ich dachte, oh Gott, das wird nie was, nicht in einer Million Jahren.“

Kurz vor Weihnachte­n 1972 war Neilia, Bidens erste Frau, bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Die einjährige Tochter Naomi starb auf dem Weg ins Krankenhau­s, die Söhne Beau und Hunter überlebten. Dass Jill vier Heiratsant­räge Joes ablehnte, bevor sie einwilligt­e, hatte auch mit den beiden Jungs zu tun. Beau und Hunter hätten schon einmal eine Mutter verloren, „ich konnte nicht riskieren, dass sie noch eine verlieren würden“, schreibt sie in ihren Memoiren. „Um seiner Söhne willen wollte ich mir zu 100 Prozent sicher sein.“Zudem, begründete sie im Nachhinein ihr damaliges Zögern, habe sie Wert auf ihre eigene Karriere gelegt, zugleich auf ein Leben unterm Radar, nicht auf eines im Scheinwerf­erlicht. „Ich wäre Jill Biden, die Frau des Senators. Das war erst mal alles ein bisschen viel.“

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FOTO: ANDREW HARNIK/DPA Jill Biden hat ihren Mann Joe im Wahlkampf unterstütz­t und wird nun neue First Lady der USA. Sie hat bislang aber auch stets Wert auf ihre eigene Karriere als Lehrerin gelegt.

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