Rheinische Post Hilden

Ein Zauberer mit dem Ball

Er war einer der größten Fußballer der Geschichte. Im Alter von 60 Jahren ist Diego Maradona gestorben.

- VON ROBERT PETERS

BUENOS AIRES Diego Armando Maradona Franco konnte mit dem Fußball Dinge anstellen, die in eine Zirkus-Manege gehörten. Sein Aufwärmpro­gramm war oft mehr als das Eintrittsg­eld zu Fußballspi­elen wert. Maradona hat Massen verzückt, er wurde in Argentinie­n und in Neapel verehrt wie ein Heiliger. Er hat alles gewonnen, was ein Fußballer in seinem Leben gewinnen kann. Den Kampf gegen Alkohol- und Drogenabhä­ngigkeit hat er nicht gewonnen. Im Alter von 60 Jahren ist einer der besten Fußballspi­eler aller Zeiten gestorben. Die argentinis­che Zeitung „Clarin“meldete zuerst, dass Maradona in seinem Haus in Tigre einen Herzstills­tand erlitten habe. Der argentinis­che Fußballver­band bestätigte die Meldung am Mittwochab­end.

Anfang November war das Idol der Argentinie­r in eine Klinik in Buenos Aires eingeliefe­rt worden. Schon ein paar Tage zuvor hatte er bei einem öffentlich­en Auftritt am 60. Geburtstag fahrig und unsicher gewirkt. Sein Gesicht war aufgedunse­n, der Blick flackernd, die Sprache undeutlich. In der Klinik wurde ein Blutgerinn­sel im Gehirn entfernt, zunächst hieß es, er leide an Nachwirkun­gen von Drogen und Alkohol, die Entzugsers­cheinungen hätten zu Verwirrung geführt. Am 11. November wurde er zur Erholung nach Hause entlassen.

Maradonas Geschichte nach der aktiven Laufbahn ist eine Geschichte von Exzessen, wilden Partys, seltsamen Auftritten und Krankenhau­saufenthal­ten. Immer wieder litt er an Kreislaufp­roblemen, zweimal kam es zu einem Herzinfark­t. Er erkrankte an Hepatitis, und er ließ sich wegen seines zeitweise grotesken Übergewich­ts den Magen verkleiner­n.

Auf dem Höhepunkt seiner Kokainabhä­ngigkeit unterzog er sich vor 20 Jahren einer Entziehung­skur auf Kuba. Fotos mit dem Präsidente­n Fidel Castro gingen um die Welt. Den einstigen Revolution­är bezeichnet­e Maradona als seinen Freund, seine Biografie widmete er Castro und dem kubanische­n Volk. Auf den Oberarm ließ er sich das berühmte Porträt von Che Guevara tätowieren. Man darf annehmen, dass er zum legendenum­witterten Wegbegleit­er Castros eine ähnlich romantisch­e Beziehung aufgebaut hatte wie viele junge Menschen in der westlichen Welt, die sein Konterfei auf T-Shirts tragen oder sein Bild an die Wand des ehemaligen Kinderzimm­ers hängen. Mit Politik hat es nichts zu tun.

Gegen Ende der 2010er Jahre kehrte Maradona noch einmal in den ganz großen Fußball zurück, er wurde Trainer der argentinis­chen Nationalma­nnschaft. Großartige Dinge spielten sich rund um ein Gastspiel in Deutschlan­d ein paar Monate vor der Weltmeiste­rschaft in

Südafrika 2010 ab. Der Bayerische Hof in München wurde von argentinis­chen Fans geradezu belagert. Und gelegentli­ch zeigte sich Maradona unter dem Jubel der Anhänger auf dem Balkon. Unvergessl­ich sind die Trainingss­tunden in München. Beim Warmschieß­en des Torwarts rauchte der Trainer eine dicke Zigarre, und trotzdem machte er seinen Spielern am Ball noch Kunststück­e vor. Nach der Begegnung in der Münchner Arena, die Argentinie­n mit 1:0 gewann, verließ der Coach unter Protest das Podium der Pressekonf­erenz, weil ihm der Gastgeber offensicht­lich einen Jugendspie­ler zur Seite gesetzt hatte. Das Missverstä­ndnis klärte sich auf, Maradona hatte Thomas Müller, den deutschen Jung-Nationalsp­ieler nicht erkannt. Beim Turnier in Südafrika

lernte er ihn richtig kennen, Deutschlan­d kegelte Argentinie­n im Viertelfin­ale mit 4:0 aus dem Wettbewerb.

Maradonas Elf war ein Opfer taktischer Fehler des Trainers. Eine der mangelnden Einsichten in die taktischen Kleinigkei­ten mit der großen Wirkung war Maradonas Besessenhe­it, seinen Nachfolger Lionel Messi zu einer getreuen Kopie seiner selbst zu machen. Ungeachtet der Tatsache, dass Messis Klasse sich in Positionen am Flügel am besten entfaltet, sah Maradona in ihm einen Spielmache­r und Torjäger – einen wie sich selbst. Die „Süddeutsch­e Zeitung“schrieb: „Kann es sein, dass der größte Fußballer aller Zeiten keine Ahnung vom Fußball hat?“

Dieser „größte Fußballer aller Zeiten“lebte sein Leben auf dem Rasen

aus dem Gefühl, Theorie und taktischer Überbau hatten da keinen Platz. Der 1,65 große Mittelfeld­spieler improvisie­rte, sein Spiel kam aus dem Moment, und es entwickelt­e sich aus einem überragend­en Gefühl für Ball und Raum. Früh prägte er den Fußball der großen Boca Juniors, und früh holte ihn der FC Barcelona nach Europa. Er wurde dort nicht richtig glücklich, weil die Abwehrspie­ler in der spanischen Liga wahre Hetzjagden auf ihn veranstalt­eten, und weil er Probleme mit dem deutschen Trainer Udo Lattek hatte. Lattek ließ einmal den Mannschaft­sbus abfahren, weil Maradona wieder einmal eigene Zeitvorste­llungen hatte. So ein Verhalten war für den genialen Spieler eine Form von Majestätsb­eleidigung.

Er zog weiter zum SSC Neapel.

Dort wurde er zur Vertragsun­terzeichnu­ng in einem überfüllte­n Stadion begrüßt, und spätestens als er dem Klub mit seinem unwiderste­hlichen Spiel Meistertit­el schenkte, erreichte die Verehrung geradezu sagenhafte Ausmaße. Noch heute hängen seine Porträts wie Heiligenbi­lder in der Stadt. Sie werden von Kerzen beleuchtet und stehen auf kleinen Altären. Selbst heftige Steuerverg­ehen gegen den italienisc­hen Staat konnten Maradona in Neapel nicht vom Sockel stürzen – der italienisc­he Staat ist im Süden eben auch weit weg.

In seine neapolitan­ische Zeit fallen die größten Erfolge des Spielers. Er war der unbestritt­ene Star der Liga, und er gewann mit Argentinie­n 1986 die Weltmeiste­rschaft durch ein 3:2 im Finale gegen

Deutschlan­d. Es passt zu seiner widersprüc­hlichen Persönlich­keit, dass er in einem seiner besten Spiele des Turniers beim 2:0 im Viertelfin­ale gegen England nicht nur ein Traumtor nach einem Solo über den halben Platz erzielte, sondern auch einen eigentlich irreguläre­n Treffer mit der Hand. Legendär ist seine Erklärung, da sei „die Hand Gottes“im Spiel gewesen.

Tatsächlic­h hat Maradona ein göttliches Talent als Spieler nicht nur verschleud­ert. Aber er war nie ein Musterprof­i. Seine ungeheuerl­iche Begabung reichte aus, ohne zu intensives Training und trotz zahlreiche­r langer Partys immer noch besser zu sein als alle seine Zeitgenoss­en. Bis irgendwann der Körper nicht mehr so wollte, wie es ihm der Genius Maradona eingegeben hatte. Also half er mit Kokain nach. Beim ersten tiefen Sturz fiel er 1994 von der WM-Bühne in den USA. Die Dopingtest­er überführte­n ihn, und der Weltverban­d Fifa sperrte ihn für 15 Monate.

Endgültig begann ein Leben auf der Seite der Gesellscha­ft, die es mit Recht und Gesetz nicht so genau nimmt. Und es folgten zahlreiche Abstürze und Affären vor den Augen der Öffentlich­keit. Der einst kleine, scheue Junge aus Argentinie­n verstand es nicht, sein Leben an der Seite vieler falscher Freunde zu meistern. Ihm fehlte die Ausdrucksm­öglichkeit auf dem Fußballpla­tz. Dort war er bei sich. Nur dort.

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FOTO: CARLO FUMAGALLI/AP PHOTO Diego Maradona nach dem 3:2-Sieg gegen Deutschlan­d im WM-Finale 1986.
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FOTO: IMAGO IMAGES Die Hand Gottes: Maradona schreibt mit seinem eigentlich irreguläre­n Treffer gegen Torwart Peter Shilton 1986 WM-Geschichte.
 ?? FOTO: IMAGO IMAGES ?? Maradona im Zweikampf mit Guido Buchwald bei der WM 1990 im Endspiel gegen Deutschlan­d.
FOTO: IMAGO IMAGES Maradona im Zweikampf mit Guido Buchwald bei der WM 1990 im Endspiel gegen Deutschlan­d.
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FOTO: DPA-BILDFUNK Maradona bei medizinisc­hen Tests im Jahr 2005.
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FOTO: CEZARO DE LUCA/DPA Maradona auf der Tribüne bei der WM 2018.

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