Spahn verteidigt Impfstrategie
Wie Minister Spahn jedem Deutschen ein Impfangebot machen will – und wie die verschärften Corona-Regeln wirken sollen.
BERLIN Die Verlängerung der Schulund Ladenschließungen bis Ende Januar, nur noch ein Besucher pro Haushalt und ein eingeschränkter Bewegungsradius für Menschen in Corona-Hotspots – Bund und Länder haben die Schutzmaßnahmen zum Jahresauftakt noch einmal verschärft. Zudem reißt die Debatte über den holprigen Impfstart nicht ab, Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) verspricht zusätzliche Anstrengungen. Zu den neuen Lockdown-Regeln und Impfungen die wichtigsten Fragen und Antworten.
Wie soll die 15-Kilometer-Regel funktionieren?
In Kreisen, in denen sich binnen sieben Tagen mehr als 200 Menschen pro 100.000 Einwohner neu infiziert haben, wird der Bewegungsradius der Bürger vorübergehend auf 15 Kilometer um den Wohnort begrenzt. Das sind derzeit knapp 70 Kreise, die meisten davon in Sachsen und Thüringen. Wer sich dort weiter von seinem Zuhause entfernen will, müsste einen triftigen Grund vorbringen. In Sachsen, bundesweit mit Abstand Spitzenreiter bei den Inzidenzwerten, gilt die Regel bereits seit Dezember. Die sächsische Polizei hat die Zahl der Kontrollen seitdem erhöht und schon Hunderte Verstöße gegen die Corona-Schutzverordnung festgestellt. Für NRW bezeichnete Vize-Ministerpräsident Joachim Stamp (FDP) die 15-Kilometer-Regel am Mittwoch als „Möglichkeit“, die nicht automatisch in Kraft tritt.
Verstößt die Einschränkung der Bewegungsfreiheit gegen das Grundgesetz?
Nein, denn die Verfassung lässt Einschränkungen der persönlichen Freiheit bei Naturkatastrophen oder zur „Bekämpfung von Seuchengefahr“zu. Zwar heißt es in Artikel elf des Grundgesetzes: „Alle Deutschen genießen Freizügigkeit im gesamten Bundesgebiet.“Das im November reformierte Infektionsschutzgesetz liefert jedoch die rechtliche
Basis, um die Bewegungsfreiheit im Notfall einzuschränken. Zu den hier erstmals formulierten Schutzmaßnahmen zählen neben der Maskenpflicht und einem Abstandsgebot auch „Ausgangs- oder Kontaktbeschränkungen“.
Werden sich die Bundesländer an die Beschlüsse halten?
Im Großen und Ganzen ja, doch sie müssen nun wieder jeweils eigene Verordnungen erlassen, die in den Details voneinander abweichen können. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) etwa hat angekündigt, am 17. Januar – wenn auch die Infektionszahlen von Weihnachten und Silvester vorliegen – zu prüfen, ob Grundschulen und Kitas im Land vom 18. Januar an wieder öffnen. Auch Sachsen will die Schulen möglicherweise früher als Ende Januar öffnen, und Niedersachsen prüft, ob es die 15-Kilometer-Regel in Kraft setzt. Alleingänge der Länder in Detailfragen sind also auch diesmal wieder zu erwarten.
Wie berechtigt ist die Kritik, die Bundesregierung habe zu wenig Impfstoff bestellt?
Ob an den Vorwürfen etwas dran ist, wird sich erst in der Zukunft klären. Die Kritik an der Impfstoffstrategie reißt jedenfalls nicht ab, denn zum Impfstart sind nur wenige Dosen vorhanden, Impftermine schnell vergriffen. Andere
Länder wie die USA oder Israel verfügen über deutlich mehr Dosen. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) ging daher am Mittwoch in die Offensive. Er bekräftigte sein Versprechen, bis zum Sommer jedem Deutschen ein Impf-Angebot zu machen. „Wir haben genug, mehr als genug Impfstoffe bestellt“, sagte der CDU-Politiker. Deutschland habe mehr als 130 Millionen Impfstoffdosen von dem im Dezember zugelassenen Biontech-Serum und dem am Mittwoch zugelassenen Moderna-Präparat bestellt. Doch auch Moderna wird zunächst an der Knappheit wenig ändern: Bis Ende März werde es davon nur knapp zwei Millionen Dosen geben.
Wie will die Bundesregierung für mehr Impfstoff sorgen?
Spahn lehnte Vorschläge ab, die während der Zulassung geprüften Abstände zwischen den zwei notwendigen Impfungen zu verlängern oder einer Person unterschiedliche Impfstoffe zu impfen. Außerdem betonte der Gesundheitsminister, dass die EU derzeit mit Biontech und Pfizer noch über weitere Bestellungen spreche. Deutschland werde gegebenenfalls ebenfalls weitere Dosen abnehmen. Spahn verwies erneut auf das Werk in Marburg, das ab Februar Biontech-Impfstoff herstellen soll.
Welche Bedeutung hat das neu einberufene Impfkabinett?
Unter der Leitung von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) berieten am Mittwoch Jens Spahn, Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU), Finanzminister Olaf Scholz (SPD) und Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) über eine bessere Impfstoff-Versorgung in Deutschland. Das warf die Frage auf, ob es ein Zerwürfnis mit der Kanzlerin gebe, die diesen Kabinettsausschuss initiiert hatte. Gleichzeitig hatte Merkel Spahn am Dienstagabend aber sehr gelobt. Spahn mache einen „prima Job“, so Merkel. Er habe das auch als echtes Lob empfunden, sagte Spahn auf Nachfrage. „Ich freue mich darüber.“