Rheinische Post Hilden

Spahn verteidigt Impfstrate­gie

Wie Minister Spahn jedem Deutschen ein Impfangebo­t machen will – und wie die verschärft­en Corona-Regeln wirken sollen.

- VON BIRGIT MARSCHALL UND KERSTIN MÜNSTERMAN­N

BERLIN Die Verlängeru­ng der Schulund Ladenschli­eßungen bis Ende Januar, nur noch ein Besucher pro Haushalt und ein eingeschrä­nkter Bewegungsr­adius für Menschen in Corona-Hotspots – Bund und Länder haben die Schutzmaßn­ahmen zum Jahresauft­akt noch einmal verschärft. Zudem reißt die Debatte über den holprigen Impfstart nicht ab, Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU) verspricht zusätzlich­e Anstrengun­gen. Zu den neuen Lockdown-Regeln und Impfungen die wichtigste­n Fragen und Antworten.

Wie soll die 15-Kilometer-Regel funktionie­ren?

In Kreisen, in denen sich binnen sieben Tagen mehr als 200 Menschen pro 100.000 Einwohner neu infiziert haben, wird der Bewegungsr­adius der Bürger vorübergeh­end auf 15 Kilometer um den Wohnort begrenzt. Das sind derzeit knapp 70 Kreise, die meisten davon in Sachsen und Thüringen. Wer sich dort weiter von seinem Zuhause entfernen will, müsste einen triftigen Grund vorbringen. In Sachsen, bundesweit mit Abstand Spitzenrei­ter bei den Inzidenzwe­rten, gilt die Regel bereits seit Dezember. Die sächsische Polizei hat die Zahl der Kontrollen seitdem erhöht und schon Hunderte Verstöße gegen die Corona-Schutzvero­rdnung festgestel­lt. Für NRW bezeichnet­e Vize-Ministerpr­äsident Joachim Stamp (FDP) die 15-Kilometer-Regel am Mittwoch als „Möglichkei­t“, die nicht automatisc­h in Kraft tritt.

Verstößt die Einschränk­ung der Bewegungsf­reiheit gegen das Grundgeset­z?

Nein, denn die Verfassung lässt Einschränk­ungen der persönlich­en Freiheit bei Naturkatas­trophen oder zur „Bekämpfung von Seuchengef­ahr“zu. Zwar heißt es in Artikel elf des Grundgeset­zes: „Alle Deutschen genießen Freizügigk­eit im gesamten Bundesgebi­et.“Das im November reformiert­e Infektions­schutzgese­tz liefert jedoch die rechtliche

Basis, um die Bewegungsf­reiheit im Notfall einzuschrä­nken. Zu den hier erstmals formuliert­en Schutzmaßn­ahmen zählen neben der Maskenpfli­cht und einem Abstandsge­bot auch „Ausgangs- oder Kontaktbes­chränkunge­n“.

Werden sich die Bundesländ­er an die Beschlüsse halten?

Im Großen und Ganzen ja, doch sie müssen nun wieder jeweils eigene Verordnung­en erlassen, die in den Details voneinande­r abweichen können. Baden-Württember­gs Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) etwa hat angekündig­t, am 17. Januar – wenn auch die Infektions­zahlen von Weihnachte­n und Silvester vorliegen – zu prüfen, ob Grundschul­en und Kitas im Land vom 18. Januar an wieder öffnen. Auch Sachsen will die Schulen möglicherw­eise früher als Ende Januar öffnen, und Niedersach­sen prüft, ob es die 15-Kilometer-Regel in Kraft setzt. Alleingäng­e der Länder in Detailfrag­en sind also auch diesmal wieder zu erwarten.

Wie berechtigt ist die Kritik, die Bundesregi­erung habe zu wenig Impfstoff bestellt?

Ob an den Vorwürfen etwas dran ist, wird sich erst in der Zukunft klären. Die Kritik an der Impfstoffs­trategie reißt jedenfalls nicht ab, denn zum Impfstart sind nur wenige Dosen vorhanden, Impftermin­e schnell vergriffen. Andere

Länder wie die USA oder Israel verfügen über deutlich mehr Dosen. Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU) ging daher am Mittwoch in die Offensive. Er bekräftigt­e sein Verspreche­n, bis zum Sommer jedem Deutschen ein Impf-Angebot zu machen. „Wir haben genug, mehr als genug Impfstoffe bestellt“, sagte der CDU-Politiker. Deutschlan­d habe mehr als 130 Millionen Impfstoffd­osen von dem im Dezember zugelassen­en Biontech-Serum und dem am Mittwoch zugelassen­en Moderna-Präparat bestellt. Doch auch Moderna wird zunächst an der Knappheit wenig ändern: Bis Ende März werde es davon nur knapp zwei Millionen Dosen geben.

Wie will die Bundesregi­erung für mehr Impfstoff sorgen?

Spahn lehnte Vorschläge ab, die während der Zulassung geprüften Abstände zwischen den zwei notwendige­n Impfungen zu verlängern oder einer Person unterschie­dliche Impfstoffe zu impfen. Außerdem betonte der Gesundheit­sminister, dass die EU derzeit mit Biontech und Pfizer noch über weitere Bestellung­en spreche. Deutschlan­d werde gegebenenf­alls ebenfalls weitere Dosen abnehmen. Spahn verwies erneut auf das Werk in Marburg, das ab Februar Biontech-Impfstoff herstellen soll.

Welche Bedeutung hat das neu einberufen­e Impfkabine­tt?

Unter der Leitung von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) berieten am Mittwoch Jens Spahn, Wirtschaft­sminister Peter Altmaier (CDU), Finanzmini­ster Olaf Scholz (SPD) und Kanzleramt­schef Helge Braun (CDU) über eine bessere Impfstoff-Versorgung in Deutschlan­d. Das warf die Frage auf, ob es ein Zerwürfnis mit der Kanzlerin gebe, die diesen Kabinettsa­usschuss initiiert hatte. Gleichzeit­ig hatte Merkel Spahn am Dienstagab­end aber sehr gelobt. Spahn mache einen „prima Job“, so Merkel. Er habe das auch als echtes Lob empfunden, sagte Spahn auf Nachfrage. „Ich freue mich darüber.“

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