Der Kampf um die Macht
Dramatische Szenen in den USA: Trump-Anhänger versuchen, das Kapitol zu stürmen, Abgeordnete werden in Sicherheit gebracht. Schüsse fallen. In Georgia läuft derweil das Rennen um die Senatsmehrheit.
WASHINGTON Es sind Bilder wie aus einem Endzeitfilm, und doch sind sie real: Nach dem Ansturm Hunderter, teils gewaltbereiter Unterstützer von US-Präsident Donald Trump auf das Kapitol in Washington sind Dutzende Menschen in das Parlamentsgebäude eingedrungen, wie mehrere US-Nachrichtenagenturen am späten Mittwochabend unter Berufung auf den Sicherheitsdienst des Gebäudes berichten. Auch TV-Bilder und Internetvideos zeigen Demonstranten im Innern des Gebäudes. Die beiden Kammern des Kongresses unterbrechen ihre Sitzungen abrupt, der Parlamentssitz wird abgeriegelt.
Abgeordnete des US-Kongresses werden aus dem Gebäude geleitet. Auch die designierte Vizepräsidentin Kamala Harris wird einem ihrer Mitarbeiter zufolge zu ihrer Sicherheit an einen geheimen Ort gebracht. Der republikanische Mehrheitsführer Mitch McConnell und andere Politiker werden, begleitet von Mitarbeitern und Polizei, aus dem Gebäude eskortiert. Da in der Rotunde des Kapitols Tränengas eingesetzt wird, fordert die Polizei die Abgeordneten auf, Gasmasken aufzusetzen. Senat und Repräsentantenhaus vertagen daraufhin ihre Sitzung zur Bestätigung des Wahlsiegs von Demokrat Joe Biden, in dem Gebäude erschallt über Lautsprecher die Ankündigung, wegen „einer Sicherheitsbedrohung von außen“dürfe niemand mehr hinein. Aufgrund der Proteste ordnet die Bürgermeisterin von Washington, Muriel Bowser, wenige Minuten nach den Ereignissen eine Ausgangssperre an. Im Kapitol hatten sich zuvor beide Parlamentskammern zur offiziellen Bestätigung der Ergebnisse der Präsidentenwahl vom November versammelt.
Vorausgegangen war den Tumulten ein Aufruf des abgewählten, aber noch amtierenden US-Präsidenten. Trump hatte in seiner Rede über angeblichen Betrug bei der US-Präsidentenwahl seine Anhänger dazu aufgefordert, zum Kapitol zu ziehen, das den Senat und das Abgeordnetenhaus beherbergt. Bei seiner Rede forderte er Zehntausende anwesende Unterstützer dazu auf, sich den „Diebstahl“der Wahl nicht gefallen zu lassen.
Dabei geriet angesichts der verstörenden Bilder aus Washington zunächst völlig in den Hintergrund, dass an diesem Tag eigentlich in Georgia die Entscheidung über die Mehrheit im Senat – und damit die politische Zukunft des Landes – hätte fallen sollen. In Georgia hatte sich zunächst der Demokat Raphael Warnock angeschickt, seinen großen Lebenstraum von einem Sitz im Senat in Erfüllung gehen zu lassen. Ein amtliches Endergebnis gab es zwar noch nicht, doch angesichts eines kaum noch aufzuholenden Vorsprungs nach der Auszählung von 98 Prozent der abgegebenen Stimmen erklärten amerikanische Nachrichtensender den 51-Jährigen zum Sieger des Duells mit Kelly Loeffler, der bisherigen republikanischen Amtsinhaberin.
Damit hatte Georgia Geschichte geschrieben. Der Pfarrer der Ebenezer Baptist Church, der Kirche, an der einst Martin Luther King predigte, wird als erster Afroamerikaner überhaupt aus dem „Peach State“in den US-Senat einziehen. Aus einem der alten Südstaaten, die einen Bürgerkrieg in Kauf nahmen, um die Sklaverei über die Zeit zu retten. Aus einem Staat, den die Republikaner zu einer ihrer Hochburgen ausbauten.
„Heute haben wir bewiesen, dass mit Hoffnung, harter Arbeit und Menschen an unserer Seite alles möglich ist“, beschwor Warnock in einer Videobotschaft aus seinem Homeoffice die Aufstiegschancen in Amerika. Dem linken Flügel seiner Partei zuzurechnen, gehört der Geistliche zu jenen Demokraten, die mahnen, sich stärker der Sorgen einer verunsicherten Arbeiterschaft anzunehmen, um Populisten vom Schlage Donald Trumps das Wasser abzugraben. Der Ausgang des zweiten Rennens – zwischen dem Republikaner David Perdue und dem Demokraten Jon Ossoff – war zunächst offen: Gewinnt Ossoff, ein 33-jähriger Produzent von Dokumentarfilmen, ist er seit vier Dekaden der Jüngste, der den Sprung in die Senatskammer schafft. Dass er in manchen Prognosen schon am Mittwoch zum Sieger gekürt wurde, lag daran, dass die meisten noch nicht ausgezählten Stimmen auf den Ballungsraum Atlanta entfallen, in dem die Demokraten in aller Regel klare Mehrheiten einfahren.
Somit dürfte sich wiederholen, was Trump bereits im November den Sieg in Georgia kostete. Weiße Mittelschichtenwähler waren von der Rhetorik des Präsidenten dermaßen abgestoßen, dass sie Joe Biden den Vorzug gaben, obwohl sich wirtschaftspolitisch viele eher mit den Republikanern identifizieren. Dass der Mann im Weißen Haus seine Niederlage partout nicht anerkennen will, könnte etliche veranlasst haben, seiner Partei nun erst recht einen Denkzettel zu verpassen. Jedenfalls glaubt das Ron Klain, ab 20. Januar Stabschef des Präsidenten Biden.
Ersten Analysen zufolge profitierten Warnock und Ossoff von einer hohen Beteiligung afroamerikanischer Wähler. Sollten sich beide durchsetzen, käme es im Senat zu einer Pattsituation von 50 zu 50 Sitzen. Da die künftige Vizepräsidentin Kamala Harris ein solches Patt mit ihrer Stimme auflösen kann, hätten die Demokraten de facto die Mehrheit. Da sie auch das Repräsentantenhaus kontrollieren, würden den Konservativen die Machthebel fehlen, um Biden auszubremsen.
(mit ap und dpa)