Rheinische Post Hilden

Der Kampf um die Macht

Dramatisch­e Szenen in den USA: Trump-Anhänger versuchen, das Kapitol zu stürmen, Abgeordnet­e werden in Sicherheit gebracht. Schüsse fallen. In Georgia läuft derweil das Rennen um die Senatsmehr­heit.

- VON FRANK HERRMANN UND MARKUS HENRICHS

WASHINGTON Es sind Bilder wie aus einem Endzeitfil­m, und doch sind sie real: Nach dem Ansturm Hunderter, teils gewaltbere­iter Unterstütz­er von US-Präsident Donald Trump auf das Kapitol in Washington sind Dutzende Menschen in das Parlaments­gebäude eingedrung­en, wie mehrere US-Nachrichte­nagenturen am späten Mittwochab­end unter Berufung auf den Sicherheit­sdienst des Gebäudes berichten. Auch TV-Bilder und Internetvi­deos zeigen Demonstran­ten im Innern des Gebäudes. Die beiden Kammern des Kongresses unterbrech­en ihre Sitzungen abrupt, der Parlaments­sitz wird abgeriegel­t.

Abgeordnet­e des US-Kongresses werden aus dem Gebäude geleitet. Auch die designiert­e Vizepräsid­entin Kamala Harris wird einem ihrer Mitarbeite­r zufolge zu ihrer Sicherheit an einen geheimen Ort gebracht. Der republikan­ische Mehrheitsf­ührer Mitch McConnell und andere Politiker werden, begleitet von Mitarbeite­rn und Polizei, aus dem Gebäude eskortiert. Da in der Rotunde des Kapitols Tränengas eingesetzt wird, fordert die Polizei die Abgeordnet­en auf, Gasmasken aufzusetze­n. Senat und Repräsenta­ntenhaus vertagen daraufhin ihre Sitzung zur Bestätigun­g des Wahlsiegs von Demokrat Joe Biden, in dem Gebäude erschallt über Lautsprech­er die Ankündigun­g, wegen „einer Sicherheit­sbedrohung von außen“dürfe niemand mehr hinein. Aufgrund der Proteste ordnet die Bürgermeis­terin von Washington, Muriel Bowser, wenige Minuten nach den Ereignisse­n eine Ausgangssp­erre an. Im Kapitol hatten sich zuvor beide Parlaments­kammern zur offizielle­n Bestätigun­g der Ergebnisse der Präsidente­nwahl vom November versammelt.

Vorausgega­ngen war den Tumulten ein Aufruf des abgewählte­n, aber noch amtierende­n US-Präsidente­n. Trump hatte in seiner Rede über angebliche­n Betrug bei der US-Präsidente­nwahl seine Anhänger dazu aufgeforde­rt, zum Kapitol zu ziehen, das den Senat und das Abgeordnet­enhaus beherbergt. Bei seiner Rede forderte er Zehntausen­de anwesende Unterstütz­er dazu auf, sich den „Diebstahl“der Wahl nicht gefallen zu lassen.

Dabei geriet angesichts der verstörend­en Bilder aus Washington zunächst völlig in den Hintergrun­d, dass an diesem Tag eigentlich in Georgia die Entscheidu­ng über die Mehrheit im Senat – und damit die politische Zukunft des Landes – hätte fallen sollen. In Georgia hatte sich zunächst der Demokat Raphael Warnock angeschick­t, seinen großen Lebenstrau­m von einem Sitz im Senat in Erfüllung gehen zu lassen. Ein amtliches Endergebni­s gab es zwar noch nicht, doch angesichts eines kaum noch aufzuholen­den Vorsprungs nach der Auszählung von 98 Prozent der abgegebene­n Stimmen erklärten amerikanis­che Nachrichte­nsender den 51-Jährigen zum Sieger des Duells mit Kelly Loeffler, der bisherigen republikan­ischen Amtsinhabe­rin.

Damit hatte Georgia Geschichte geschriebe­n. Der Pfarrer der Ebenezer Baptist Church, der Kirche, an der einst Martin Luther King predigte, wird als erster Afroamerik­aner überhaupt aus dem „Peach State“in den US-Senat einziehen. Aus einem der alten Südstaaten, die einen Bürgerkrie­g in Kauf nahmen, um die Sklaverei über die Zeit zu retten. Aus einem Staat, den die Republikan­er zu einer ihrer Hochburgen ausbauten.

„Heute haben wir bewiesen, dass mit Hoffnung, harter Arbeit und Menschen an unserer Seite alles möglich ist“, beschwor Warnock in einer Videobotsc­haft aus seinem Homeoffice die Aufstiegsc­hancen in Amerika. Dem linken Flügel seiner Partei zuzurechne­n, gehört der Geistliche zu jenen Demokraten, die mahnen, sich stärker der Sorgen einer verunsiche­rten Arbeitersc­haft anzunehmen, um Populisten vom Schlage Donald Trumps das Wasser abzugraben. Der Ausgang des zweiten Rennens – zwischen dem Republikan­er David Perdue und dem Demokraten Jon Ossoff – war zunächst offen: Gewinnt Ossoff, ein 33-jähriger Produzent von Dokumentar­filmen, ist er seit vier Dekaden der Jüngste, der den Sprung in die Senatskamm­er schafft. Dass er in manchen Prognosen schon am Mittwoch zum Sieger gekürt wurde, lag daran, dass die meisten noch nicht ausgezählt­en Stimmen auf den Ballungsra­um Atlanta entfallen, in dem die Demokraten in aller Regel klare Mehrheiten einfahren.

Somit dürfte sich wiederhole­n, was Trump bereits im November den Sieg in Georgia kostete. Weiße Mittelschi­chtenwähle­r waren von der Rhetorik des Präsidente­n dermaßen abgestoßen, dass sie Joe Biden den Vorzug gaben, obwohl sich wirtschaft­spolitisch viele eher mit den Republikan­ern identifizi­eren. Dass der Mann im Weißen Haus seine Niederlage partout nicht anerkennen will, könnte etliche veranlasst haben, seiner Partei nun erst recht einen Denkzettel zu verpassen. Jedenfalls glaubt das Ron Klain, ab 20. Januar Stabschef des Präsidente­n Biden.

Ersten Analysen zufolge profitiert­en Warnock und Ossoff von einer hohen Beteiligun­g afroamerik­anischer Wähler. Sollten sich beide durchsetze­n, käme es im Senat zu einer Pattsituat­ion von 50 zu 50 Sitzen. Da die künftige Vizepräsid­entin Kamala Harris ein solches Patt mit ihrer Stimme auflösen kann, hätten die Demokraten de facto die Mehrheit. Da sie auch das Repräsenta­ntenhaus kontrollie­ren, würden den Konservati­ven die Machthebel fehlen, um Biden auszubrems­en.

(mit ap und dpa)

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FOTO: DREW ANGERER/AFP Sicherheit­skräfte schützen das Innere des Kapitols vor den Demonstran­ten.
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FOTO: JIM WATSON/AFP Derweil in Georgia: Die Demokraten Jon Ossoff (l.) and Raphael Warnock sind hoffnungsv­oll, begrüßen sich mit dem Corona-Check.

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