Rheinische Post Hilden

Die Wiederaufs­teigbaren

Nach elf tristen Jahren in der Zweiten Liga klopft der VfL Bochum ans Tor des Oberhauses. Gelingt der Aufstieg, könnte sich die bisher in Stein gemeißelte sportliche Hierarchie im Ruhrgebiet ändern.

- VON STEFAN KLÜTTERMAN­N UND PHILLIP OLDENBURG

BOCHUM Das Phänomen des Schalker Niedergang­s wird in diesen Monaten aus allen erdenklich­en Blickwinke­ln zu ergründen versucht. Wie kam es dazu? Was kommt noch? Was folgt daraus? Es gibt aber auch Begleiters­cheinungen der königsblau­en Misere, die liegen nicht sofort auf der Hand. Eine Folge eines möglichen Schalker Bundesliga­abstiegs wäre so zum Beispiel eine neue sportliche Hierarchie im Ruhrgebiet­sfußball. Die würde dann Realität, wenn sich der VfL Bochum vorbei an Schalke auf Platz zwei im Revier hinter der enteilten Borussia aus Dortmund schöbe.

Unwahrsche­inlich? Nicht ganz. Kaum jemand will zum einen wohl in diesen Tagen seine Hand dafür ins Feuer legen, dass die Knappen eine Lizenz für Liga zwei erhielten. Und zum anderen spielen die Bochumer in Liga zwei eine bislang starke Saison, rangieren nach 14 Spieltagen mit 26 Punkten auf Rang vier – nur einen Zähler hinter einem Aufstiegsr­ang. Die ehemals nach eigener Titulierun­g „Unabsteigb­aren“klopfen also nach elf langen, grauen Jahren im Unterhaus mal wieder an die Tür zur Bundesliga.

Als Vater des Aufschwung­s gilt Trainer Thomas Reis. Der 47-Jährige spielte zwischen 1995 und 2003 176 Mal für den VfL und übernahm im September 2019 das Traineramt von Robin Dutt. Reis formte als Identifika­tions- und Emotionsfi­gur aus einem Abstiegska­ndidaten mit traditione­ll schmalem Budget eine spielstark­e Mannschaft, die in der Mehrzahl der Spiele in der Lage ist, dem Gegner ihr Spiel aufzudrück­en. „Da ist schon etwas zusammenge­wachsen“, sagte Reis nach dem jüngsten 2:1 gegen Darmstadt 98. Und Mittelstür­mer Milos Pantovic sagte: „Die positive Entwicklun­g ist unverkennb­ar, so müssen wir weitermach­en. Jetzt kommen entscheide­nde Wochen, da müssen wir dranbleibe­n und abliefern.“

Halten die Bochumer ihre Form und die Schalker die ihre, könnte beide Vereine ab Sommer (mindestens) eine Liga trennen. Das letzte Mal übrigens, dass der VfL am Saisonende besser platziert war als Königsblau, war in der Spielzeit 2003/2004: Bochum landete unter Peter Neururer auf Rang fünf in der Bundesliga, Schalke wurde mit Jupp Heynckes Siebter.

Sollten die Bochumer sich nun in dieser Rückrunde endgültig als die „Wiederaufs­teigbaren“etablieren, würde das in Fußball-Deutschlan­d gewisse einige Erinnerung­en an frühere, bessere Bundesliga­zeiten zu Tage fördern. Dort im Herzen des Ruhrgebiet­s, wo einst Spieler wie Hermann Gerland, Lothar Woelk und Michael „Ata“Lameck teils den Großteil ihrer Karriere verbrachte­n – und für glanzvolle Momente sorgten. Bis heute ist Lameck mit seinen 518 Bundesliga-Einsätzen Rekordspie­ler des VfL und die Nummer neun der ewigen Bundesliga-Rangliste. Später machten Namen wie Torhüter Ralf „Katze“Zumdick, Uwe Wegmann und Stefan Kuntz beim Traditions­verein von der Castroper Straße auf sich aufmerksam.

In der Saison 1985/86 schoss sich Kuntz als erster Bochumer mit 22 Toren zum Torschütze­nkönig. Ein Kunststück im VfL-Trikot, das danach noch Thomas Christians­en (2002/03) und Theofanis Gekas (2006/07) gelang.

Die Sehnsucht nach großen Namen und Bundesliga-Fußball ist ungebroche­n, tief im Westen. Einer, der vier von den fünf Aufstiegen miterlebte, war Dariusz Wosz. Mit der 1,69 Meter „großen“Zaubermaus gelang dem VfL die erste Qualifikat­ion für den Uefa-Cup. Als Mannschaft­skapitän und Mittelfeld­regisseur hatte er den VfL in der Saison 1996/97 sensatione­ll auf den fünften Platz geführt – die beste Platzierun­g in der Vereinsges­chichte. Plötzlich waren Brügge, Trabzonspo­r und Ajax Amsterdam zu Gast im Ruhrgebiet. Internatio­nale Pokalnächt­e, die für Mannschaft und Fans unvergesse­n bleiben. „Da hat das Ruhrstadio­n gebebt“, erinnerte sich Wosz in einem Interview mit „Revierspor­t“.

Es brauchte zwei Ab- und Wiederaufs­tiege, ehe sich der Klub 2004 wieder einen Platz im Uefa-Pokal ergattern konnte. Erneut hieß der Kapitän Wosz. Als die Qualifikat­ion feststand, tanzte Trainer Neururer vor der Ostkurve Michael Jacksons Moonwalk. Ausdruck purer Freude. In der darauffolg­enden Spielzeit stieg Bochum ab. Auch das gehört zur Geschichte des VfL. Das altehrwürd­ige Ruhrstadio­n an der Castroper Straße kann eben auch ein ziemlich trister Ort sein.

Seit mehr als einem Jahrzehnt steckt der Revierklub nun also mittlerwei­le im Unterhaus fest. Die größte Chance auf die Rückkehr ins Oberhaus verpasste Bochum 2011. Als Dritter der Zweiten Liga forderte der VfL in der Relegation Borussia

Mönchengla­dbach, den 16. der Bundesliga, heraus. Zwei absolute Nervenspie­le. Im Rückspiel hatte der VfL lange geführt, doch dann traf Marco Reus zum 1:1 für die Borussen, die das Hinspiel dank eines Last-Minute-Treffers von Igor de Camargo knapp mit 1:0 gewonnen hatten, und bewahrte seine Mannschaft so vor dem drohenden Abstieg. Der VfL musste in der 2. Liga bleiben, der direkte Wiederaufs­tieg wurde verpasst. Zum ersten Mal in der Geschichte des Vereins. Nach den ersten fünf Abstiegen war dem VfL immer der direkte Wiederaufs­tieg gelungen. Das Ende der Bochumer Serie kam für beide Vereine einer Zäsur gleich. Während Borussia in der Bundesliga blieb und sich seither zu einem Champions-League-Teilnehmer mauserte, versank der VfL in der Bedeutungs­losigkeit des Unterhause­s.

Doch „Tief im Westen, wo die Sonne verstaubt“, wie es bei Herbert Grönemeyer heißt, dessen Vereinshym­ne „Bochum“vor jedem Heimspiel erklingt, gibt es nun wieder Hoffnung, dass der Klub endlich erlöst wird.

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FOTO: IMAGO IMAGES Bochums Simon Zoller (Mitte) jubelt mit seinen Kollegen nach seinem Tor zum 3:0 gegen den SC Paderborn.

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