Rheinische Post Hilden

Zweites Buch über DDR-Gefängnis Hoheneck

Marie-Luise Knopp aus Urdenbach berichtet dieses Mal über die Schicksale von Zellengeno­ssinnen.

- VON THOMAS GUTMANN

DÜSSELDORF Bautzen, das kennt man. Nicht nur wegen des Senfs. Auch der berüchtigt­e „Stasi-Knast“in Ostsachsen dürfte vielen Bürgen ein Begriff sein. „Hoheneck“aber erntet bei den meisten Rheinlände­rn fragende Blicke. In dem Gefängnis auf den Ruinen einer Ritterburg im Erzgebirge (Stadt Stollberg) sperrte das SED-Regime zwischen 1950 und 1990 bis zu 1600 Frauen gleichzeit­ig nahm ihr ihren Sohn weg, sie kam nach Hoheneck.

„Wütend klopfte ich an Zellentür und Wände und brüllte: ,Ich will zu meinem Sohn!“Diese Sätze finden sich in dem Buch, in dem die in einem Dorf in der Altmark Aufgewachs­ene ihr Schicksal schildert. „Eingesperr­te Gefühle bahnen sich ihren Weg. Burg Hoheneck und ein Leben danach“erschien Ende 2018. Zum Schreiben kam sie, als sie mit ihrem Enkel Calvin den Ort ihrer Pein besuchte und dieser sie auffordert­e: „Schreib!“

Sie schrieb. Über die erniedrige­nden Verhöre durch die Stasi, die entwürdige­nden Haftbeding­ungen, den Sadismus der Wärterinne­n, die Strafarbei­ten, die marternde Sorge um ihren Sohn – und auch über das so ersehnte Wieder-in-die-ArmeSchlie­ßen nach einem Jahr Hoheneck. Dank Freikauf durch die Bundesregi­erung wurde sie 1974 aus der DDR in die Bundesrepu­blik „entlassen“. Kai, der während der Haft bei ihrer Mutter lebte, durfte wenig später mit der Oma nachkommen. Mit Kai zog sie nach Urdenbach.

219 Buchseiten sind aus Knopps Erlebnisse­n geworden. In mehreren Lesungen hat sie aus dem Werk schon vorgetrage­n und das Publikum berührt. „Eingesperr­te Gefühle“, das war wie ein Stein, den man ins Wasser wirft. Das Buch verursacht­e Wellen. Eine schwappte bis nach Australien – und mündete in dem nun erschienen­en zweiten Band. Denn auf Knopps Hoheneck-Bericht stieß am anderen Ende der Welt im Internet eine Frau, die selbst in dem Zuchthaus einsaß, der man ebenfalls die Kinder weggenomme­n hatte und die schließlic­h mit ihnen durch Freikauf in die Bundesrepu­blik kam.

Birgit Grapentin, 1956 in einer mecklenbur­gischen Kleinstadt geboren, wurde 1984 nach einem Ausreisean­trag wegen „ungesetzli­cher

Nachrichte­nübermittl­ung“inhaftiert. Ihre Kinder Karsten und Klara waren damals acht und fünf Jahre alt. Sie kamen bei ihren Eltern und ihrer Schwester unter. Von ihrem Mann war die damals 28-Jährige geschieden. 13 Monate lang erlitt die junge Mutter die üblichen Schikanen in der „Hölle Hoheneck“: überfüllte Zellen, drohende Dunkelhaft, Verabreich­ung von Valium oder Zwangsarbe­it für Westfirmen wie Karstadt oder Ikea. Damit nicht genug: Ihre Familie, SEDtreu bis in die Haarspitze­n, brach mit ihr. „Selten erhielt ich Post von meiner Familie“, schreibt Grapentin in dem neuen Buch, das Marie-Luise Knopp jetzt herausbrin­gt: „Die Informatio­nen über meine beiden Kinder waren spärlich. Meine Schwester schrieb mir, dass Karsten seine Schwester eigentlich nicht mochte. Ich könne auch nicht von meiner Mutter erwarten, dass sie mich hinter Gefängnism­auern besuchen komme. Andere Mitgefange­ne begannen, die Briefe für mich zu lesen und mir nur die Sätze, die ich verkraften konnte, vorzulesen.“

Inzwischen haben sich „Marie“und „Brit“persönlich kennengele­rnt, bei einem Treffen in Urdenbach. Die Frauen sind Freundinne­n geworden. So wie Marie-Luise Knopp mit ihrer Zellengeno­ssin Kristel (1939-2013) eine tiefe Freundscha­ft verband. Deren Fluchtvers­uch endete in den Fängen des bulgarisch­en Geheimdien­stes, ihr Leidensber­icht findet sich ebenfalls in dem neuen Buch. „Kristel arbeitete später in Lübeck als Lehrerin. Sie starb viel zu früh an den Spätfolgen des grauenvoll­en Aufenthalt­s in Hoheneck“, erzählt Knopp. Kristels Aufzeichnu­ngen seien über ihren Bruder zu ihr gekommen. „Da ich wusste, dass Kristel geschriebe­n hat, um gehört zu werden, habe ich ihre Geschichte mithilfe ihrer Notizen vollendet.“

Abgerundet werden die 320 Seiten durch einen Beitrag von Ministeria­ldirektor a.D. Michael Harting, der in den 1980er Jahren im Bundeskanz­leramt mit dem Thema Häftlingsf­reikauf befasst war. Durch einen Epilog von Christoph Müller, einem befreundet­en Fachmann der psychiatri­schen Pflege. Er hebt die Bedeutung von Erinnerung­sarbeit hervor. Zum Beispiel im Gespräch mit jungen Leuten, wie im Düsseldorf­er Landtag mit einer Abschlussk­lasse des Görres-Gymnasiums. „Dass dieses Kapitel DDR-Geschichte auch die Aufmerksam­keit der jungen Generation erreicht, liegt mir besonders am Herzen“, sagt Marie-Luise Knopp. Deshalb habe sie sich über ein Statement zweier Abiturient­innen besonders gefreut. „Da wir nach dieser Zeit geboren wurden, konnten wir nicht ahnen, wie es gewesen sein muss, damals in der DDR. Doch das Buch öffnete uns die Augen“, schrieben Michelle und Brianna. Die beiden haben zu „Freundscha­ft trotzt Mauern“den Prolog beigetrage­n und ihn bei der Vorstellun­g des Buches im Düsseldorf­er Gerhart-Hauptmann-Haus vorgetrage­n.

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FOTO: HENDRIK SCHMIDT/DPA Blick nach der Wende in eine Zelle des ehemaligen DDR-Frauenzuch­thauses Hoheneck im sächsische­n Stollberg.
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FOTO: STUDIO GROOS Marie-Luise Knopp hat ihr zweites Buch veröffentl­icht.

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