Zweites Buch über DDR-Gefängnis Hoheneck
Marie-Luise Knopp aus Urdenbach berichtet dieses Mal über die Schicksale von Zellengenossinnen.
DÜSSELDORF Bautzen, das kennt man. Nicht nur wegen des Senfs. Auch der berüchtigte „Stasi-Knast“in Ostsachsen dürfte vielen Bürgen ein Begriff sein. „Hoheneck“aber erntet bei den meisten Rheinländern fragende Blicke. In dem Gefängnis auf den Ruinen einer Ritterburg im Erzgebirge (Stadt Stollberg) sperrte das SED-Regime zwischen 1950 und 1990 bis zu 1600 Frauen gleichzeitig nahm ihr ihren Sohn weg, sie kam nach Hoheneck.
„Wütend klopfte ich an Zellentür und Wände und brüllte: ,Ich will zu meinem Sohn!“Diese Sätze finden sich in dem Buch, in dem die in einem Dorf in der Altmark Aufgewachsene ihr Schicksal schildert. „Eingesperrte Gefühle bahnen sich ihren Weg. Burg Hoheneck und ein Leben danach“erschien Ende 2018. Zum Schreiben kam sie, als sie mit ihrem Enkel Calvin den Ort ihrer Pein besuchte und dieser sie aufforderte: „Schreib!“
Sie schrieb. Über die erniedrigenden Verhöre durch die Stasi, die entwürdigenden Haftbedingungen, den Sadismus der Wärterinnen, die Strafarbeiten, die marternde Sorge um ihren Sohn – und auch über das so ersehnte Wieder-in-die-ArmeSchließen nach einem Jahr Hoheneck. Dank Freikauf durch die Bundesregierung wurde sie 1974 aus der DDR in die Bundesrepublik „entlassen“. Kai, der während der Haft bei ihrer Mutter lebte, durfte wenig später mit der Oma nachkommen. Mit Kai zog sie nach Urdenbach.
219 Buchseiten sind aus Knopps Erlebnissen geworden. In mehreren Lesungen hat sie aus dem Werk schon vorgetragen und das Publikum berührt. „Eingesperrte Gefühle“, das war wie ein Stein, den man ins Wasser wirft. Das Buch verursachte Wellen. Eine schwappte bis nach Australien – und mündete in dem nun erschienenen zweiten Band. Denn auf Knopps Hoheneck-Bericht stieß am anderen Ende der Welt im Internet eine Frau, die selbst in dem Zuchthaus einsaß, der man ebenfalls die Kinder weggenommen hatte und die schließlich mit ihnen durch Freikauf in die Bundesrepublik kam.
Birgit Grapentin, 1956 in einer mecklenburgischen Kleinstadt geboren, wurde 1984 nach einem Ausreiseantrag wegen „ungesetzlicher
Nachrichtenübermittlung“inhaftiert. Ihre Kinder Karsten und Klara waren damals acht und fünf Jahre alt. Sie kamen bei ihren Eltern und ihrer Schwester unter. Von ihrem Mann war die damals 28-Jährige geschieden. 13 Monate lang erlitt die junge Mutter die üblichen Schikanen in der „Hölle Hoheneck“: überfüllte Zellen, drohende Dunkelhaft, Verabreichung von Valium oder Zwangsarbeit für Westfirmen wie Karstadt oder Ikea. Damit nicht genug: Ihre Familie, SEDtreu bis in die Haarspitzen, brach mit ihr. „Selten erhielt ich Post von meiner Familie“, schreibt Grapentin in dem neuen Buch, das Marie-Luise Knopp jetzt herausbringt: „Die Informationen über meine beiden Kinder waren spärlich. Meine Schwester schrieb mir, dass Karsten seine Schwester eigentlich nicht mochte. Ich könne auch nicht von meiner Mutter erwarten, dass sie mich hinter Gefängnismauern besuchen komme. Andere Mitgefangene begannen, die Briefe für mich zu lesen und mir nur die Sätze, die ich verkraften konnte, vorzulesen.“
Inzwischen haben sich „Marie“und „Brit“persönlich kennengelernt, bei einem Treffen in Urdenbach. Die Frauen sind Freundinnen geworden. So wie Marie-Luise Knopp mit ihrer Zellengenossin Kristel (1939-2013) eine tiefe Freundschaft verband. Deren Fluchtversuch endete in den Fängen des bulgarischen Geheimdienstes, ihr Leidensbericht findet sich ebenfalls in dem neuen Buch. „Kristel arbeitete später in Lübeck als Lehrerin. Sie starb viel zu früh an den Spätfolgen des grauenvollen Aufenthalts in Hoheneck“, erzählt Knopp. Kristels Aufzeichnungen seien über ihren Bruder zu ihr gekommen. „Da ich wusste, dass Kristel geschrieben hat, um gehört zu werden, habe ich ihre Geschichte mithilfe ihrer Notizen vollendet.“
Abgerundet werden die 320 Seiten durch einen Beitrag von Ministerialdirektor a.D. Michael Harting, der in den 1980er Jahren im Bundeskanzleramt mit dem Thema Häftlingsfreikauf befasst war. Durch einen Epilog von Christoph Müller, einem befreundeten Fachmann der psychiatrischen Pflege. Er hebt die Bedeutung von Erinnerungsarbeit hervor. Zum Beispiel im Gespräch mit jungen Leuten, wie im Düsseldorfer Landtag mit einer Abschlussklasse des Görres-Gymnasiums. „Dass dieses Kapitel DDR-Geschichte auch die Aufmerksamkeit der jungen Generation erreicht, liegt mir besonders am Herzen“, sagt Marie-Luise Knopp. Deshalb habe sie sich über ein Statement zweier Abiturientinnen besonders gefreut. „Da wir nach dieser Zeit geboren wurden, konnten wir nicht ahnen, wie es gewesen sein muss, damals in der DDR. Doch das Buch öffnete uns die Augen“, schrieben Michelle und Brianna. Die beiden haben zu „Freundschaft trotzt Mauern“den Prolog beigetragen und ihn bei der Vorstellung des Buches im Düsseldorfer Gerhart-Hauptmann-Haus vorgetragen.