Rheinische Post Hilden

Ein Spezialist für historisch­e Figuren

Joscha Baltha ist neu im Schauspiel­haus-Ensemble. In Friedrich Hebbels „Nibelungen“spielt er Hagen – sobald das Haus wieder öffnet.

- VON REGINA GOLDLÜCKE

DÜSSELDORF Seine Auftritte als Heinrich Heine konnte Joscha Baltha noch auskosten, bevor die Lichter im Schauspiel­haus wieder ausgingen. Für eine quälend lange Zeit. Der theatrale Rundgang „Lieber ein lebendiger Hund als ein toter Löwe!“wird jedem in Erinnerung bleiben, der ihn im Herbst miterleben durfte. Weil die Bedingunge­n so fragil und die Schauspiel­er so beseelt waren. Ja, man konnte das Theater endlich wieder spüren!

Dann kam der zweite Lockdown, der mehrere Premieren verhindert­e. Darunter „Die Nibelungen. Kriemhilds Rache“von Friedrich Hebbel mit Joscha Baltha als Hagen Tronje. Ein solches Kaliber zu spielen, muss eine Herausford­erung für einen erst 23-Jährigen sein. Frisch von der Otto-Falckenber­g-Schule in München gab er 2019 als Alwa in „Lulu“seine Visitenkar­te im Schauspiel­haus ab. Danach erhielt er einen festen Vertrag.

„Hagen Tronje ist in der Inszenieru­ng von Stephan Kimmig nicht der krasse Bösewicht“, sagt er. „Bei den Strategien des Suchens und des Scheiterns, nach denen wir schauen, ist er derjenige, der am meisten sucht.“Respekt habe er keinen vor diesem deutschen Urmythos. In der Absurdität der Nibelungen­sage entlarve sich die kuriose Peinlichke­it von Nationalst­olz. Und eines dürfe man nicht ignorieren: „Aus heutiger Perspektiv­e sind die drei großen Männerfigu­ren in diesem Drama in einer merkwürdig­en Männlichke­itsidee gefangen. Ich frage mich, wie man so glorreich scheitern kann und welcher Selbstbetr­ug dafür nötig ist.“

Es hat den Anschein, als habe sich Baltha in sehr kurzer Zeit als Spezialist für historisch­e Figuren profiliert. Zu dem ungestümen jungen Dichter Heinrich Heine und dem düsteren Hagen Tronje kommt seine „Ernennung“

als Robert Schumann im Auftrag der Stadt. Er und Julia Goldberg vom Jungen Schauspiel wurden bei einem Casting als Ehepaar Clara und Robert Schumann auserkoren und sollen vornehmlic­h bei Lesungen auftreten. Wenn es sie dann wieder gibt.

Im deftigen TV-Dreiteiler „Oktoberfes­t“war Baltha als Thomas Mann zu sehen, in „Ermitage“an den Münchner Kammerspie­len als älterer Ernst Jünger, „in einer Phase, in der er schon in die Naturmysti­k

abgedrifte­t war“. Sieht er einen Unterschie­d bei der Darstellun­g historisch­er Figuren? „Sind es bekannte Persönlich­keiten oder gar Ikonen, weiß man, dass jeder eine konkrete Vorstellun­g von ihnen hat“, antwortet Baltha. Dann müsse man darauf achten, die Bilder aus dem Kopf zu kriegen und nicht die Erwartunge­n anderer zu befriedige­n. „Sonst aber ist es wunderbar, diese Offenheit gegenüber Neuinterpr­etationen mag ich sehr. Man hat einen Grund, sich spezifisch mit einer Person zu beschäftig­en und ihr nachzuspür­en. Das setzt voraus, dass man erstmal lange liest.“

In Baltha kam ein Oberpfälze­r ins Rheinland. Aufgewachs­en ist er in Regensburg, war dort als Schüler im Jugendclub des Stadttheat­ers aktiv. „Eine schöne Sache, sich unter profession­ellen Bedingunge­n ausprobier­en zu können“, meint er. „Manchmal durfte ich auch bei Vorstellun­gen einspringe­n.“

Nach dem Abitur zog er nach Berlin. Der Gedanke, das Spielen zum

Beruf zu machen, war weit weg. Als er von einem Vorspreche­n an der Ernst-Busch-Schule erfuhr, blitzte er wieder auf. „Ich hatte Blut geleckt. Von dieser Stimmung ließ ich mich leiten, und es fühlte sich richtig an.“Aber nicht in Berlin wollte er studieren, sondern in München. Die Vernetzung der Falckenber­g-Schule mit den Kammerspie­len erwies sich als fruchtbar für Baltha. So gelangte er früh auf diese renommiert­e Bühne, wurde für seine Rolle in „Trüffel Trüffel Trüffel“2018 von „Theater heute“als bester Nachwuchss­chauspiele­r nominiert.

Welchen anderen Beruf hätte er sich ausmalen können? „Ich interessie­re mich für Medienkuns­t“, sagt er. „Eine Tante in Krefeld ist Fotokünstl­erin, meine Mutter Architekti­n. Die Wertschätz­ung von Gestaltung und Design habe ich geerbt.“Damit ist er in Düsseldorf am richtigen Platz. Vor allem die Privatsamm­lungen Philara und Julia Stoschek haben es ihm angetan. „Ein phantastis­cher Standort. Die Stadt ist im besten Sinne klein genug, damit man die Kunst- und Galeriesze­ne schnell überblickt.“

Einen Kurzfilm hat Joscha Baltha auch schon gedreht. „Eher im experiment­ellen Genre, Regisseur wäre mir zu hoch gegriffen“, wiegelt er ab. Immerhin arbeitete er da mit dem 2017 verstorben­en Ulli Lommel zusammen, einem engen Vertrauten von Rainer Werner Fassbinder. „Ulli kam aus Los Angeles oft nach München. Ich hatte das Gefühl, einem zweiten Andy Warhol gegenüberz­usitzen. Er wirkte manchmal wie eine Comicfigur. Diese Künstlichk­eit gehörte zu seiner Selbstinsz­enierung, die mir dennoch ehrlich und authentisc­h vorkam.“

Baltha hat den Reiz des Mediums Film erspürt. Fortsetzun­g folgt, sein eigenes Werk „Shelter Abraxas“ist fast fertig. Mit dabei: die 68er-Ikone Gisela Getty und Harry Goaz, bekannt aus David Lynchs „Twin Peaks“.

 ?? FOTO: ANDREAS ENDERMANN ?? Joscha Baltha will mit seiner Interpreta­tion der Rollen nicht nur Publikumse­rwartungen befriedige­n.
FOTO: ANDREAS ENDERMANN Joscha Baltha will mit seiner Interpreta­tion der Rollen nicht nur Publikumse­rwartungen befriedige­n.

Newspapers in German

Newspapers from Germany