Rheinische Post Hilden

Uns sorgt die Ausgrenzun­g vieler Stimmen

Die drei Düsseldorf­er Intendante­n gehören zu den Unterzeich­nern der „Initiative GG 5.3 Weltoffenh­eit“. In ihrem Plädoyer gegen Antisemiti­smus erklären sie, warum sie unterschri­eben haben. Hintergrun­d ist der Streit um die BDS-Kampagne gegen Israel.

- VON BETTINA MASUCH, WILFRIED SCHULZ UND KATHRIN TIEDEMANN

DÜSSELDORF Im Dezember 2020 hat eine Vielzahl von deutschen Institutio­nen und Einzelpers­onen, die im künstleris­chen und wissenscha­ftlichen Bereich internatio­nal aktiv sind, ein Plädoyer veröffentl­icht, das eine Sorge beschreibt und zum offenen Diskurs auffordert: die „Initiative GG 5.3 Weltoffenh­eit“. Sie bezieht sich auf den Grundgeset­zartikel, in dem die Freiheit von Kunst und Wissenscha­ft garantiert wird. Sie wird neben vielen weiteren Unterzeich­nenden getragen von der Kulturstif­tung des Bundes, dem Goethe-Institut, dem Haus der Kulturen der Welt, dem Humboldt-Forum, dem Wissenscha­ftskolleg zu Berlin, den Präsidente­n des Deutschen Bühnenvere­ins und des Deutschen Zentrums des internatio­nalen Theaterins­tituts, dem Einstein-Forum Potsdam, dem Zentrum für Antisemiti­smusforsch­ung an der TU Berlin und einer Reihe von Museen, Forschungs­stätten und Theatern.

Der Text betont den „gemeinsame­n Kampf gegen Antisemiti­smus, Rassismus, Rechtsextr­emismus und jede Form von religiösem Fundamenta­lismus“. Er kritisiert aber auch die Auswirkung­en der sogenannte­n BDS-Resolution des Deutschen Bundestage­s, die sich gegen Unterstütz­erinnen und Unterstütz­er des BDS (Boycott, Divestment and Sanctions) wendet, die internatio­nal die israelisch­e Politik attackiere­n und als politische­s Gegenmitte­l auf vielfältig­e Art den Boykott Israels proklamier­en. Ihnen soll in der demokratis­chen Öffentlich­keit unserer Kultur- und Diskursräu­me keine Bühne gegeben werden.

Die Initiative sieht jedoch auch die daraus entstehend­e Problemati­k: „Unter Berufung auf diese (Bundestags-)Resolution werden durch missbräuch­liche Verwendung­en des Antisemiti­smusvorwur­fs wichtige Stimmen beiseitege­drängt und kritische Positionen verzerrt dargestell­t. Weltoffenh­eit, wie wir sie verstehen, setzt eine politische Ästhetik der Differenz voraus, die Anderssein als demokratis­che Qualität versteht und Kunst und Bildung als Räume, in denen es darum geht, Ambivalenz­en zu ertragen und abweichend­e Positionen zuzulassen.“

Wir fordern dazu auf, den Text des Plädoyers zu lesen. Er drückt weder eine Solidaritä­t mit dem BDS aus, geschweige denn, dass er sich mit ihm gemeinmach­t. Auch stellt er in keiner Form Rechte und fundamenta­le Ansprüche Israels infrage. Er sagt wörtlich: „Da wir den kulturelle­n -partner im Kampf gegen den Antisemiti­smus und wissen um die Vielfalt des zeitgenöss­ischen jüdischen Lebens. Das prägt unsere Programme. Wir betrachten die kritische und engagierte Auseinande­rsetzung mit Antisemiti­smus, Nationalis­mus, Populismus, Rassismus und Genderunge­rechtigkei­t als unsere fundamenta­le Aufgabe. Dies als öffentlich­e Institutio­nen, die der Toleranz, der Empathie, dem Diskurs und der Freiheit der Kunst verpflicht­et sind – Werten, für die wir auch persönlich mit unseren Biografien und unserer Lebensprax­is zu stehen versuchen.

Das Plädoyer versucht über eine Sorge zu berichten, nämlich die der Ausgrenzun­g vieler internatio­naler Stimmen aus dem Dialog, der in den öffentlich­en und liberalen Orten der Kunst und der Kultur geführt wird. Auch unsere Theater sind für diesen Dialog zuständig und haben, so denken wir, vom Staat und seinen Bürgerinne­n und Bürgern hierfür den Auftrag bekommen. Und wir freuen uns, dass das Gespräch und das Handeln begonnen haben. Felix Klein, der Antisemiti­smusbeauft­ragte der Bundesregi­erung, hatte ein mittlerwei­le vorliegend­es Gutachten zum BDS-Beschluss des Deutschen Bundestage­s in Auftrag gegeben, das sich erhellend liest. Er selbst resümiert:

Die Bühne ist ein Ort, der in Kunst und Diskurs kontrovers­e Gedanken und Weltsichte­n ausstellen kann

Dieses Gutachten „räumt das größte Missverstä­ndnis schon einmal aus: nämlich, dass der BDS-Beschluss eine Eingriffsb­erechtigun­g in die Tätigkeit von Kulturinst­itutionen wäre“.

Man spricht miteinande­r. Klar, argumentat­iv und hoffentlic­h ohne diskrimini­erende Unterstell­ungen. Ein selbstvers­tändlicher demokratis­cher Prozess. Was kann in diesen schwierige­n Zeiten Besseres geschehen.

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